Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

DON QUICHOTTE
(Jules Massenet)
13. April 2013
(Premiere)

Wuppertaler Bühnen


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Das Innere eines Phantasten

Die Memoiren des ersten Sängers des Don Quichotte – der russische Bass Fjodor I. Schaljapin – besagen, er habe geweint, als Massenet ihm Teile der Oper auf dem Klavier vorgespielt hat. Am heutigen Premierenabend muss man ebenfalls weinen, und das zum Glück nicht aus negativen Gründen: Bis heute ergreifen die Story des närrischen Weltverbesserers und besonders die erst knapp 100-jährige Musik Massenets das Publikum.

Massenet greift nicht direkt auf die bekannte Version von Miguel de Cervantes Saavedra, sondern auf das Schauspiel Le chevalier de la longue figure von Jaques Le Lorrain zurück. Trotzdem startet die Oper mit einem Prolog aus dem Original Cervantes mit der wohltuenden Stimme von Thomas Braus aus dem Off, während man Don Quichotte in einer Badewanne lesen sieht. Moment – in einer Badewanne? In der Inszenierung von Jakob Peters-Messer steht nicht die Realität der Ereignisse im Vordergrund, sondern die innere Welt des Protagonisten – eine Welt, in der Träume real werden können, in der der Wille zur Tat zählt und Glaube retten kann. Dass der durch das viele Lesen verrückt gewordene Phantast selber zum kreativ-schaffenden Künstler wird, geht nicht ohne eine verschobene Selbstsicht, die sich im Bühnenraum äußert.

Die Ausstattung Markus Meyers geht Hand in Hand mit der Regie-Idee. Anstatt auf gewaltige Bühnenmaschinerie zurückzugreifen, in der sich Windmühlen drehen und Pferde und Esel auf die Bühne gebracht werden müssen, entsteht ein dem Surrealismus verpflichtetes Bühnenbild. Türen und Treppen führen ins Nichts, eine weitere Tür lässt sich um sich selbst drehen, ein Sessel steht sowohl auf dem Boden als auch auf der Wand, einer Wanduhr fehlt ein Viertel und ein Regenschirm hängt an der Wand. Und das alles in Farben von grau bis beige. Elemente, die man teilweise aus surrealistischen Gemälden und Installationen kennt, zeigen dem Zuschauer, dass er sich nicht in der Realität befindet. Die Kostüme bewegen sich zwischen Stereotypen und Traum – sie passen einerseits mit den Torerokostümen und der majestätischen Robe Dulcinées zu den spanischen Klischees der Musik, haben aber durch die meist einheitliche Farbgebung einen Bezug zum Bühnenbild. Die Ikonographie des typischen Don Quijote wird eingehalten, sofort erkennt man seine wirren grauen Haare, seinen kräuseligen Bart und vor allem den spitzen Schnurrbart. Auch sonst werden typische Topoi der Don-Quichotte-Rezeption beibehalten, wie beispielsweise die Lanze. Farbiges Licht, von Henning Priemer und Freddy Deisenroth installiert, taucht die sonst milchig gefärbte Bühne je nach Szene in kräftigere Farben und projizierte Fotos ersetzen aufwändige Bühnenbildwechsel, transparente Zwischenwände den Vorhang. Und statt Esel und Pferd – tja… Der getreue Diener Sancho Pansa im schlecht-sitzenden Fatsuit ist selbst der Esel und vielleicht auch eine Karikatur seiner selbst. Das alte Pferd Rosinante ist eine rollende Trittleiter, die im Laufe des Geschehens für einiges herhalten muss. Aber da man sich in der Innenschau des halbverrückten Protagonisten befindet, sind diese Ideen durchaus annehmbar. Der anfängliche Humor wirkt hin und wieder etwas aufgesetzt, und die Personenführung gerät streckenweise steif, das Gesamtergebnis kann aber überzeugen. Das Regieteam hat ja auch ein As im Ärmel – mit der Musik und der herzzerreißenden Story kann man gar nicht viel falsch machen.

Überhaupt präsentiert sich die musikalische Seite dieser Premiere vom Besten. Die Leistung des Sinfonieorchesters Wuppertal beweist unter der Leitung von Tobias Deutschmann, dass es die für die Handlung maßgeblichen emotionalen Impulse aus Massenets Musik liefern kann. Klangschön, pointiert und vor allem mit viel Gefühl beeindruckt der Klangkörper. Berückend schön gelingt zum Beispiel das Vorspiel zum fünften Akt, in dem alle Traurigkeit der letzten Szene bereits vorweggenommen wird. Jens Bingert hat den Chor, der in grau-silbernen Torero-Kostümen steckt, wieder einmal gründlich vorbereitet. Die Chorszenen besonders im ersten und vierten Akt zeichnen sich durch Aufmerksamkeit und akzentuierte Einsätze aus.

Don Quichotte ist am Ende ein gebrochener, alter Mann. Jung dagegen John In Eichen in der Titelpartie, doch er schafft es durch großartiges Schauspiel, der Rolle mehr als gerecht zu werden und kann so das Mitgefühl nicht nur von Dulcinée als Bühnenpartnerin gewinnen. Sein dabei immer kontrollierter Bass überzeugt dabei besonders in den emotionalen Szenen. Mezzosopranistin Joslyn Rechter zeigt Bühnenpräsenz als Diva und Kurtisane Dulcinée. Sie geht die Koloraturen ihrer Partie gekonnt an und gewinnt vor allem im vierten Akt eine emotionale Tiefe, die so manchen im Publikum die Augen wischen lässt. Martin Js. Ohu muss seinen sonst schlanken Körper in einen Fatsuit zwängen und wird durch sein komödiantisches Talent und seinen volltönenden Bass der Buffo-Rolle des Dieners gerecht. Mehr noch brilliert er aber nach der Pause, vor allem als er sich für seinen gedemütigten Herrn einsetzt. Die Partie des Juan, sonst mit Tenor zu besetzen, übernimmt der Bariton Miljan Milović, und das passt sehr gut. Mit viel Schmelz gestaltet er die Rolle des eifersüchtigen Liebhabers Dulcinées. Auch Tenor Boris Leisenheimer als Rodriguez gefällt; die Ensembleszenen mit Miriam Ritter und Annika Boss als Garcias und Pedro gelingen klangschön und setzen einen schönen Kontrast zu den dunklen Stimmen der Hauptpartien. Auch die Nebenpartien sind aus dem Chor mit Marco Agostini als Räuberhauptmann mit einer schönen französischen Sprechstimme und Oliver Picker und Jochen Bauer als 1. und 2. Räuber und als 2. Torero Timasz Kwiatkowski passend besetzt. Javier Zapata Vera, ebenfalls aus dem Chor, übernimmt professionell auf der Bühne die Begleitung Dulcinées mit der Gitarre.

Der Szenenapplaus gerät vielleicht auch deshalb etwas dürftig, weil die Oper leider zu den seltener gespielten Opern Massenets gehört und Unsicherheit spontane Sympathiebekundungen schwierig macht. Doch nachdem der „chevalier de la longue figure“ seinen letzten Atemzug getan hat, bricht das sonst oft launische Wuppertaler Publikum in Bravo-Rufe für In Eichen, Ohu und das gesamte Ensemble aus, gegen Ende des Applauses stehen sogar knapp die Hälfte der Zuschauer. Ein musikalisch wie szenisch gelungener, kurzweiliger und berührender Opernabend geht zu Ende, das Ensemble lässt sich auf der Premierenfeier noch ein bisschen bejubeln – verdient.

Miriam Rosenbohm







Fotos: Uwe Stratmann