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Fakten zur Aufführung 

ALCINA
(Georg Friedrich Händel)
23. März 2014
(Premiere)

Wuppertaler Bühnen


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Traurige Aussichten

Die vorletzte Premiere unter Intendant Johannes Weigand beweist am heutigen Abend nach dem Projekt Der Universums-Stulp mit einer der schönsten Opern Händels, wie vielfältig Stadttheater sein kann. Ein regionaler und situationsbedingter Bezug, der wahrscheinlich – zusammen mit dem Ensemble – bald passé sein wird, lässt sich in der Regie durch Weigand selbst nicht leugnen. Viele Dinge lassen einen heute mit Schaudern an die nächste Spielzeit denken, und sei es nur die tolle Leistung des bis auf eine Ausnahme aus dem Ensemble besetzte Stück – es drängt sich eine symbolische zweite Deutungsmöglichkeit auf, die jedem klar sein muss, dem die Situation der Wuppertaler Opernsparte auch nur ein bisschen geläufig ist. Alcina, in den ersten beiden Akten noch im regenbogenfarbenen Kleid und mit roten Locken, ist am Ende ergraut und ihre Welt entzaubert. Um ihr verzweifeltes Leiden zu beenden, schießt sie sich eine Kugel in den Kopf. Ein schockierender Moment, das Publikum zuckt zusammen, während Elena Fink langsam zu Boden sinkt. Auch der Abgang der Protagonisten von der Bühne, die wehmütig zurück schauen, geben dem lieto fine einen morbiden Beigeschmack – nur Chor und Orchester und eine zögerliche Morgana bleiben. Wohl kaum ein Zufall. Die Handschrift Weigands und seines Teams ist unverkennbar. Insgesamt steht die Musik heute im Vordergrund, das Szenische ist schmückendes Beiwerk. Die schwierige Hürde der Inszenierung der Dacapo-Arien, die Affekte wie Eifersucht, Wut und Liebe darstellen, nimmt Weigand ganz ruhig: Buchstäblich unaufgeregt orientiert er sich an der Musik und gestaltet szenische Untermalungen der jeweiligen Emotion, die durch Zusammenspiel der beteiligten Sänger umgesetzt werden. Das ist zwar ziemlich sängerfreundlich, mündet aber zuweilen in schlichtem Rampentheater und könnte auf Dauer etwas langweilig werden. Doch die Sänger zeigen, dass sie auch Darsteller sind – ohne großartige Show. Im Mittelpunkt stehen nicht Inszenierung, Pomp und große Namen, sondern das Ensemble. Die Kostüme von Judith Fischer sind so phantasievoll wie die Bühne von Moritz Nitsche funktional und schlicht ist. Ein Trenner aus weißem Tuch mit drei Türausschnitten dient als Projektionsfläche für die Videoprojektionen Christian Hampes und dem Licht von Fredy Deisenroth. So kann die Zauberwelt ohne viel bühnentechnischen Aufwand, für den Alcina zu Entstehungszeiten bekannt war, angedeutet werden. Die Urne ist ein Kunstobjekt, das einem fahrbaren Garderobenständer mit verschiedenen Spiegeln ähnelt, das bei der Beschwörung der Zauberin mit Licht gespiegelte „weiße Schatten“ wirft. Der Zauberstab ist die Energiequelle. Weigands Personenführung ist nicht überraschend, und er erzählt auch keine neue Geschichte – in einem zeitlosen, mit versatzstückhaft märchenhaften Elementen und sonst kargem Raum gibt es außer den Kostümen keine barocke Üppigkeit. Gerade die Reduziertheit und Konzentration auf die einzelnen Affekte ist barocker als jede Turmperücke.

Auf der musikalischen Seite funkelt nicht immer alles, dafür stimmt aber das Gefühl. Die ungewöhnliche Interpretation scheint mit Weigands Inszenierung Hand in Hand zu gehen. Boris Brinkmann zieht die Handbremse an, statt das Feuerwerk Händels zu zünden. Moderate Tempi überraschen, die Sänger können die halsbrecherischen Koloraturen teilweise richtig auskosten. Ein melancholischer Schleier legt sich über die Köpfe des Sinfonieorchesters Wuppertal, das um einige Gäste für den historischen Klang ergänzt und im hochgefahrenen Orchestergraben gut sichtbar ist. Es entstehen einige atemlose Augenblicke, kein Husten, kein Flüstern unterbricht das Spiel. So ein magischer Moment entsteht im dritten Akt, in der Arie der Morgana Credete al mio dolore, in der man Michael Kempa mit seinem Cello-Solo zusammen atmen hört, so gefühlvoll intoniert er die seufzenden, klagenden Melodiebögen.

Die Titelpartie singt Elena Fink, der man die Anspannung zunächst etwas anmerkt. Mit eleganten Bewegungen in ihrem regenbogenfarbenen Kostüm gibt sie die Herrscherin über das Zauberreich. Mal mütterlich, mal liebevoll, aber auch zerbrochen, verzweifelt und rachsüchtig zeigt sie nicht nur stimmlich eine Vielfalt an Emotionen und kann so das Publikum wie immer für sich einnehmen. Und auch ohne geplatzte Blutpatrone ist ihr Abgang ergreifend genug. Als Ruggiero zieht Joslyn Rechter alle Register. In der Hosenrolle brilliert sie nicht nur darstellerisch – es ist erstaunlich, wie real sie den männlichen Part durch Mimik und Gestik darzustellen vermag – ihr Mezzosopran ertönt in außerordentlicher Qualität. Christian Sturm als Oronte macht trotz seines in den schnellen Läufen hölzern klingenden Tenors mit wallenden Haaren und kriegerischem Auftreten in froschgrünem Anzug eine gute Figur. Dorothea Brandt, in der Partie der Morgana mit wilder Lockenpracht, spielt mit erfrischender Lebendigkeit und überzeugt auch gesanglich mit einem runden, pointierten Sopran. Einziger Gast ist Mezzosopranistin Nohad Becker, die mit einer edel und weich getönten Stimme als Bradamante bezaubert. Martin Js. Ohu stehen die würdevollen Partien einfach gut, er lässt souverän seinen Bass als Ratgeber und Ränkeschmieder Melisso ertönen. Annika Boos lässt als Oberto aufhorchen, ihre Arien trägt sie mit geschmeidigem Sopran und jungenhaftem Charme vor und beweist auch ihr rhythmisches Talent an der Trommel. Der Opernchor kann in seinen wenigen Auftritten seine hohe Wertigkeit beweisen, die auch Jens Bingert als Leiter zu verdanken ist.

Es ist vielleicht nicht die aufwändigste Alcina, aber mit ihrer ruhigen Detailverliebtheit und großartigen Ensembleleistung ist sie Wuppertal allemal ein Besuch wert. Betroffen wäre vielleicht der richtige Ausdruck für die Gesichter der Beteiligten, die zwar lächelnd den Applaus entgegen nehmen, aber richtige Premierenstimmung will nicht aufkommen. Das Publikum feiert das Ensemble und das Regieteam um Weigand lautstark und lange und bekundet so seine Sympathie für eine Ära, die bald zu Ende gehen wird. Ob Oberbürgermeister Peter Jung nicht zumindest ein kleines schlechtes Gewissen hat, während er den scheidenden Sängern lauscht, ist zu bezweifeln.

Miriam Rosenbohm

Fotos: Uwe Stratmann