Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

1980
– EIN STÜCK VON PINA BAUSCH

(Pina Bausch)
30. November 2013
(Premiere am 18. Mai 1980)

Tanztheater Wuppertal, Opernhaus


Points of Honor                      

Musik

Tanz

Choreografie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Auf der grünen Spielwiese

Das Tanztheater Wuppertal feiert 2013 sein 40-jähriges Bestehen. In Wuppertal, Düsseldorf und Essen sind in der aktuellen Spielzeit Fotoausstellungen, Filmprogramme, Workshops, Konzerte von und über Pina Bausch und das von ihr ins Leben gerufene Tanztheater zu entdecken. Doch vor allen Dingen gibt es in dieser Spielzeit die Möglichkeit, besonders viele Stücke aus dem Repertoire des Ensembles in dichter Folge zu erleben. Im Wuppertaler Opernhaus ist derzeit 1980 – Ein Stück von Pina Bausch wiederzuentdecken. Wie der Titel schon vermuten lässt: ein 33 Jahre altes Stück – in dem aber kein Körnchen Staub zu finden ist.

Die Bühne von Peter Pabst kommt ohne Gassen und Wände aus. Der Zuschauer kann komplett bis auf die nackte schwarze Rückwand blicken und kann an den Seiten die abgestellten Requisiten begutachten. Große Scheinwerfer auf Stativen stehen am Rand. Der Großteil der Bühne ist mit grünem Rollrasen ausgelegt. Tische, Stühle, Podeste, Mikrofonständer, ein Barren für einen Turner, ein Rasensprenger, alles ist mobil und der ständige Wechsel lässt den Bühnenraum in immer anderem Licht erscheinen. Eine alte Fernsehkamera auf einem Stativ mit einem passend antiquierten Schwarzweiß-Bildschirm erinnert an das Entstehungsjahr des Stückes. Ab und an betreten schwarz gekleidete Bühnenarbeiter die Wiese, um ein Harmonium in der Mitte zu platzieren oder eine kleine Tribüne herumzutragen. Unaufgeregt, bedacht – sie sind Teil der Szenerie, und es würde nicht verwundern, wenn die Bühnenarbeiter sich einreihen würden in den Reigen der Tänzer.

Insgesamt 19 Tänzerinnen und Tänzer des Tanztheaters Wuppertal sind auf der Bühne versammelt. Sie werden verstärkt von einem Zauberkünstler, einem Geiger, einem Turner und einem Harmoniumspieler. Die Kostüme von Marion Cito sind charakteristisch für dieses Ensemble: Die Herren tragen gut sitzende Anzüge, Hemden und Krawatten in verschiedenen gedeckten Farben. Die Damen tragen verschiedene lange Abendroben und bunte Kleider, sowie die Tanztheater-typischen Pumps.

Die Inszenierung und Choreographie von Pina Bausch ist kurzweilig, obwohl der gesamte Abend eine für Tanz überdurchschnittlich lange Spieldauer hat. Auf der Bühne wird kein Handlungsfaden von Corps de Ballett und Solisten gesponnen, sondern alle Darsteller sind Solisten. Und diese spinnen viele parallele Handlungsfäden, die eine vielschichtige Collage entstehen lassen. Die damals so neue Arbeitsweise Pina Bauschs, ihren Tänzern Fragen zu stellen, kommt in diesem Stück voll zum Tragen. Wie zum Beispiel die Frage, wovor man Angst habe? Jeder Tänzer antwortet einzeln: „Davor senil zu werden; vor Krankheit; vor Ratten; vor Spinnen; vor gewissen Menschen; vor dem Wahnsinn und dem Tod.“ Es sind ganz individuelle Antworten, die den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben können. Jeder im Publikum kann sich mit mindestens einer der genannten Ängste identifizieren. Dass diese Arbeitsweise mit Fragen und Antworten nie langweilig wird, dürfte auch der Dramaturgie von Raimund Hoghe und der Mitarbeit von Hans Pop zu verdanken sein.

Aus den Lautsprecherboxen erklingt Musik von John Dowland, Beethoven, Debussy, aber auch Benny Goodman und die Comedian Harmonists sind zu hören. Das Prinzip der Collage wird konsequent weitergeführt. Die Tänzer sprechen, singen und tanzen nicht nur auf der Bühne. Immer wieder bilden sie eine lange Reihe und schreiten durch den Zuschauerraum mit wiederholenden, rhythmischen Armgesten-Folgen. Dabei fixieren sie die Zuschauer und lächeln selbstbewusst-kokett in den Saal. Sie schenken Tee aus und werfen Bonbons ins Publikum.

Rudelführer sind Lutz Förster und Mechthild Großmann, die, wie Nazareth Panadero, zur Besetzung der Uraufführung gehören. Der künstlerische Leiter des Tanztheaters Wuppertal, Lutz Förster, gibt der Gruppe wiederholt Anweisungen, stellt Fragen, fügt sich dann wieder nahtlos in die Reihe ein und zeigt Bein, wie bei einer Misswahl. Die rauchig-warme Stimme von Mechthild Großmann hebt sich berauschend von der Gruppe ab. Die Schauspielerin und Tänzerin hat das Publikum in ihrer Hand: Mal gibt sie die coole Rocker-Lady mit Fluppe im Mundwinkel, die verkündet, wie schön die grüne Wiese ist, auf der sie steht; dann lockt sie verführerisch mit einem Schlüssel an ihren Zehen die Herren aus der ersten Reihe an. Alle Tänzerinnen und Tänzer sprechen auf der Bühne: manchmal in ihrer Muttersprache, mal verstärkt durch ein Mikrofon, meist frei in den Zuschauerraum gerichtet, laut, leise, hysterisch oder ruhig und bestimmt. Es ist gerade dieser Unterschied der Darstellungen, der eine unverstellte Authentizität spürbar macht. Die Gruppe ist heterogen zusammengesetzt, und das macht ein breites Spektrum an Emotionen, Geschichten und Stimmen erlebbar. Es ist eine Besonderheit des Tanztheaters Wuppertal, dass Tänzer verschiedenen Alters auf der Bühne stehen. Fernab der Gier nach jungen, unverbrauchten und makellosen Körpern, erlebt man hier, wie viel reicher der Erzählschatz der Tänzerkörper jenseits der 25 wird.

Der Abend endet leise in einem Gruppenbild, und die Zuschauer im voll besetzten Wuppertaler Opernhaus erheben sich von den Sitzen. Sie zollen begeisterten Respekt vor den Tänzern, dem Tanztheater Wuppertal und dem bedeutenden Nachlass, den Pina Bausch geschaffen hat. Es ist den Tänzern anzusehen, dass die Abwesenheit der treibenden Kraft, von Pina Bausch, immer noch physischen Schmerz bereitet.

Jasmina Schebesta

 

Fotos: Ulli Weiss