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Fakten zur Aufführung 

SUNSET BOULEVARD
(Andrew Lloyd Webber/Don Black/ Christopher Hampton)
8. November 2013
(Premiere)

Mainfranken Theater Würzburg


Points of Honor                      

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Traumfabrik fordert Opfer

Es ist eine Scheinwelt, ein in sich abgeschlossener fiktionaler Kosmos, die Filmwelt mit ihren Super-Stars; der Glamour der Göttinnen und Götter der Leinwand fasziniert viele. Dabei wird oft vergessen, dass die Objekte der Bewunderung künstlich geschaffen sind von einer schnell rotierenden PR-Maschine. Wehe aber, wenn diese Stars fallen gelassen werden, wenn sie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit verlieren, sich aber immer noch im Fokus der Bewunderung wähnen. Dann wird’s gefährlich.

Damit befasst sich das Musical Sunset Boulevard von Andrew Lloyd Webber aus dem Jahr 1993, entstanden nach dem gleichnamigen Film von Billy Wilder von 1950. Dass trotz der spannenden Handlung dieses Werk nicht ganz an die Riesenerfolge Webbers wie etwa Cats anknüpfen konnte, liegt vielleicht an dem doch etwas anspruchsvolleren Stoff, ist aber auch darin zu suchen, dass die Hauptrolle der Norma Desmond eine absolut mitreißende Gestaltung benötigt; denn als damals Glenn Close ging, wurde das Stück bald vom Spielplan abgesetzt, weil das Publikumsinteresse nachließ. Im Mainfranken-Theater Würzburg ist das kaum zu befürchten.

Regisseur Ivan Alboresi entwickelt aus dem Ganzen eine höchst interessante Konfrontation der Scheinwelt des Films in „unechten“ Schwarz-Weiß-Bildern, oft unscharf, zu Grau tendierend und durch Video-Sequenzen scheinbar bewegt, mit der ganz banalen Welt der Filmschaffenden und der Leute, die sich beim Film eine Karriere erhoffen, dort eine kleine Rolle spielen; ihre Sphäre ist gedämpft farbig, irgendwie aber auch unecht. Alles das trägt den Touch des angestaubt Vergangenen, nostalgisch Überhöhten. Das bunte Film-Völkchen kommt in Kleidern der Nachkriegszeit daher oder in Verkleidungen der Kitsch-Monumental-Filme. Die vergessene Diva Norma Desmond aber tritt in pompös-eleganten, schillernden Roben der Stummfilm-Ära groß auf. Kristopher Kempf hat dafür tolle Kostüme entworfen. Unterstützt wird die gegensätzliche Wirkung noch durch die Kontraste zwischen der vergangenen, veralteten Welt des Stummfilms und der quirligen Atmosphäre in den Studios von Paramount. Durch schwarze Schiebewände mit gelegentlichen Projektionen darauf gewährt die Bühne von Sandra Dehler Einblicke in diese verschiedenen Ebenen. Normas Villa ist eigentlich ein gespenstisches Leichenhaus, düster, mit schwarzen Möbeln, einer geschwungenen Treppe vor hohen Bogenfenstern mit Ausblicken in eine Leere, einer Orgel und dem steifen Butler Max, der eigentlich Normas erster Ehemann ist und sie vor der für sie deprimierenden Außenwelt hermetisch abschirmt. Er wirkt wie ein Angestellter eines Beerdigungsinstituts, und auch die erste Begegnung mit diesem Haus setzt ein bei der Bestattung des toten Affen, einem symbolischen Verweis darauf, dass der junge Joe Gillis, der nur zufällig in die Villa am Sunset Boulevard geraten ist, demnächst dessen Platz einnehmen wird. Wenn es aber bunt wird, wie bei den Dreharbeiten in den Hollywood-Studios zu Samson besitzt das oft einen Anflug von Größenwahn. Immer wieder ergibt sich ein Widerspruch zwischen Traum und Realität. Dass Norma sich rühmt, sie habe die Welt durch „Träume aus Licht“ verschönert und werde sie noch weiter verschönern, zeigt ihren Verlust der Realität. Sie klammert die harte Wirklichkeit aus, glaubt an ihr Comeback – dabei will Hollywood nur ihren Oldtimer, nicht sie selbst – und beharrt egozentrisch und egoistisch auf ihrer Scheinwelt. Daran geht schließlich Joe zugrunde. Sie möchte ihn abrichten zu ihrem Drehbuchautor und Geliebten, trotz des Altersunterschieds. Als aber der junge Mann sie verlassen will, erschießt sie ihn; im Wahn, sie sei die Verkörperung der Salome, genießt sie ihren letzten großen Auftritt vor der internationalen Klatschpresse, bevor sie abgeführt wird. All das weiß der Zuchauer schon vorher, denn das Ende wird gleich zu Anfang erzählt. Und trotzdem ist spannend zu verfolgen, wie sich alles auf die Katastrophe hin entwickelt.

Vor allem durch die Figurenkonstellationen und die glaubhaften Rollenzeichnungen gelingt in Würzburg eine hintergründige, äußerst interessante Inszenierung. Vor allem die Darsteller wirken lebendig. Georg Ferstl ist dabei ein netter, sicher singender Artie, Verlobter der reizenden Betty Schaefer, der Produktionsassistentin, in die sich der erfolglose Schriftsteller und Drehbuchautor Joe verlieben wird. Anja Gutgesell gibt der Betty jugendliche Frische, ehrliche Ausstrahlung und das nötige Quäntchen stimmlicher Kraft durch ihren sehr hellen, bisweilen etwas flach klingenden Sopran. Als alternder Regisseur Cecil DeMille wirkt Tobias Germershausen manchmal etwas blass. Dafür aber stattet Daniel Fiolka den treuen Max mit großer stimmlicher Stärke und der starren Beharrlichkeit aus, seiner angebeteten Frau alle Wünsche zu erfüllen. Dass er den jungen Joe als deren Geliebten duldet, mag der übergroßen Liebe zu ihr geschuldet sein. Robert D. Marx ist in der Rolle des Joe ein angenehm sympathischer junger Mann ohne Allüren, auf der Flucht vor seinen Gläubigern ungewollt in den Fängen der alten, reichen Diva landend, und er singt wunderbar geschmeidig und mit der nötigen Einfühlung. Als Norma Desmond aber ist Barbara Schöller überragend. Nicht nur, wie sie mit exaltierten Bewegungen die Emotionen der Stummfilmzeit wieder aufleben lässt, auch in Figur und Mimik vermag sie den Glanz verblichener Leinwand-Größen nachzuzeichnen. Jeder Auftritt von ihr ist eine Wucht, überraschend vielfältig und doch nur auf Außenwirkung bedacht, ohne eigentliche innere Anteilnahme, und wie sie dabei ihre Stimme einsetzt, flexibel, lockend, stark in den Höhen, nie angestrengt, das verlangt Bewunderung.

Nicht ganz so begeisternd fällt das Urteil über die musikalische Seite aus. Zwar entlockt Frank Obermair dem Philharmonischen Orchester Würzburg viel Süffiges, viel Schmeichelndes, aber manches gerät auch recht laut, und die sich wiederholenden, an Swing und romantischer Filmmusik orientierenden gefälligen Klänge wirken auf Dauer wie Endlos-Schleifen im Ohr. Der Chor, geleitet von Michael Clark, ist vielfach solistisch eingesetzt, singt gut und bewegt sich natürlich, zeigt nur selten, wo es angebracht ist, dezente Show-Elemente; durch die Choreographie von Alboresi, immerhin gelernter Tänzer und hier mit seiner ersten großen Aufführung im Glück, sind auch die wenigen Balletteinlagen sinnvoll integriert.

Kein Wunder, dass das Publikum alle Mitwirkenden mit Beifall überschüttet und sie nach vielen Vorhängen einfach nicht gehen lassen will.

Renate Freyeisen





Fotos: Falk von Traubenberg