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Fakten zur Aufführung 

DIE DIEBISCHE ELSTER
(Gioachino Rossini)
15. Februar 2014
(Premiere)

Mainfranken Theater Würzburg


Points of Honor                      

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Das Gute siegt – im letzten Moment

Erstaunlich: Die Ouvertüre zu Rossinis La gazza ladra, also zur Oper Die diebische Elster mit ihren charakteristischen Trommelwirbeln am Anfang hat fast jeder schon mal gehört. Das zugehörige Werk aber kennt kaum jemand. Dabei ist Rossini doch so beliebt wegen seiner süffigen, spritzigen Melodien, seinem mitreißenden Schwung; meist identifiziert man ihn mit seinen komischen Opern. Ein Grund, warum ausgerechnet Rossinis längste und mit eigens dafür geschriebener Musik versehene Oper so selten erklingt, liegt wohl darin, dass der Komponist hier 1817 eine Opera semiseria schuf. Im damals gängigen Verständnis war das eine dramatische Oper ernsten Inhalts mit gutem Ausgang, und sie spielte in der damaligen Gegenwart im dörflichen Milieu. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts entsprach sie dem Bedürfnis des Publikums nach spannender Unterhaltung, wobei Naturkatastrophen Schauder hervorrufen durften, und nach rührseliger Aufregung, so dass einige Damen schon mal in Ohnmacht fielen. Knallige Effekte waren erwünscht, und an mechanischem Zauber störte sich niemand. So flog bei der Uraufführung in Mailand eine künstliche Elster am Draht über die Bühne. Dass das heutzutage eher Lachen auslöst, ist klar.

Also dachte sich Regisseur Andreas Beuermann für seine bejubelte Inszenierung am Würzburger Mainfranken Theater etwas Anderes aus: Bei ihm huscht eine „lebendige“ Elster als Unheilsbote durch die Szene, verkörpert von einem Tänzer. Und die Handlung selbst changiert zwischen Realismus und Märchen. Einerseits spielt sie zur Zeit der napoleonischen Kriege, sichtbar an den Uniformen, und greift ein Geschehen auf, das wirklich passiert ist: Eine Dienstmagd wird wegen eines kleinen Diebstahls zum Tod verurteilt, denn so sieht es das Kriegsrecht vor. Während aber in Wirklichkeit das arme Mädchen sterben musste, geht das Ganze bei Rossini und seinem Librettisten Giovanni Gheradini gut aus: Im letzten Moment wird entdeckt, dass die Elster der Dieb war, und die unschuldige Ninetta wird gerettet. Regisseur Beuermann betont andererseits bei seiner ersten Operninszenierung das Märchenhafte und dazu passend den moralischen Sieg des Guten über das Böse, über den Podestà, den verschlagenen Bürgermeister mit seinen sexuellen Absichten, seiner korrupten Amtsführung, seiner ungesetzlichen Anmaßung. Er wird schließlich weggejagt. Doch was passiert mit der Elster? Abgesehen von ein paar Federn, die sie beim Schuss verliert, scheint sie weiter ihr Unwesen treiben zu können. Der zeitliche Hintergrund der Handlung, der Anfang des 19. Jahrhunderts, wird dabei nicht verlassen. Die biedermeierlichen, bunten, sehr abwechslungsreichen Kostüme von Götz Lancelot Fischer kennzeichnen die Mitglieder der Dorfgemeinschaft als Träger verschiedener Berufe und Altersgruppen, wobei ein gewisser Hang zur Übertreibung und Karikatur – spitze Nasen, riesige Hauben und jede Menge lustiger Einfälle – dem Ganzen den Ernst nimmt und komische Momente aufblitzen lässt. Es herrscht ständig reges Treiben, ob nun der Herr Pfarrer, die Waschfrauen, die dicke Bäckerin sich auf dem Dorfplatz treffen, Oma und Opa sich auf ihren Stock stützen, Lausbuben herumflitzen oder ein Kurzwarenhändler an die Türen klopft. Dazwischen immer die Elster. Wie sie flügelschlagend, hüpfend oder niederkauernd quasi im Verborgenen am Dorfleben teilnimmt und dieses durcheinander bringt, kann Ivan Alboresi bedrohlich und mit geschmeidigen Bewegungen bestens im Tanz ausdrücken. Insgesamt aber wirken manche Szenen wie aus einem heiteren Märchen-Bilderbuch. Die Bühne von Herbert Buckmiller zeigt ein kleines Dorf mit freundlichen Häusern und einer Kirche an den Seiten, einem Platz mit Bank und Dorflinde in der Mitte, den Blick auf Weinberge in der Ferne oder auf einen nächtlichen Sternenhimmel. Alles atmet ländliche Idylle, nur manchmal wird es durch Licht verzaubert oder geheimnisvoll verdüstert, wenn über das Schicksal der armen Ninetta durch das vom Bürgermeister bestochene Dorf-Gericht entschieden wird. Die Zuschauer aber werden schon bei der Ouvertüre auf den künftigen Gang der Handlung vorbereitet. Da taucht die Elster bereits auf, versteckt sich, während ein Trauerzug den verstorbenen Podestà zu Grabe trägt und der neue Bürgermeister eintrifft, der alles Unheil verursacht.

Schon hier aber, während den ersten, fein abgestuften Trommelwirbeln, dem darauf folgenden martialischen Marsch, dem vibrierenden Klangzauber aus dem Orchestergraben, horcht das Premierenpublikum auf: Das Philharmonische Orchester Würzburg spielt mit Präzision, Hingabe, packenden Steigerungen, runder Fülle, aber stetiger Durchsichtigkeit, nie zu laut, nie zu schnell, dass es eine Wonne ist. Kein Wunder: Am Pult steht ein wahrer Rossini-Spezialist, Giovanni Battista Rigon, derzeit am Teatro Fenice in Venedig im Barbiere beschäftigt. So können sich die Sänger im Einverständnis mit dem Orchester bestens entfalten, ohne zugedeckt zu werden, und die einzelnen Instrumente prunken mit ihren Klangfarben. Der erste Akt der Oper beginnt dann festlich mit dem Jubelchor Was für ein glücklicher Tag, und der zweite bietet dazu den Kontrast mit Was für ein schrecklicher Tag, der mit dem Trauermarsch ganz andere Gefühle als am Anfang hervorruft, sicher von Rossini beabsichtigt. Der Chor aber, sehr individuell bewegt und ständig auf der Bühne beschäftigt, gefällt sehr mit klanglicher Ausgewogenheit und angemessener Fülle sowie feinen Nuancen, hervorragend einstudiert von Michael Clark. Wunder aber vollbringen auch die Sänger in ihren mit Schwierigkeiten wie Registerwechseln und Koloraturen rauf und runter gespickten Partien. Dass das Würzburger Haus das mit eigenen Kräften und zwar bestens leisten kann, ist wohl der musikalischen Leitung zuzuschreiben. Lediglich Giulia Bolcato als Ninetta stammt nicht aus dem eigenen Ensemble. Die 23-jährige Italienerin ist eine Entdeckung des Würzburger GMD Enrico Calesso. Die junge Sopranistin passt nicht nur äußerlich wunderbar zu dem reinen, unschuldigen Mädchen; ihre sehr helle, äußerst bewegliche Stimme meistert mühelos alle Höhen und Sprünge ihrer Partie, und die Verzierungen laufen locker auf der Linie. Ninetta ist die moralisch gefestigte Bastion innerhalb der Dorfgemeinschaft; sie bleibt ihren Prinzipien treu, liebt nur zwei Menschen, Giannetto, ihren Verlobten, einen schneidigen Soldaten, und ihren Vater, einen verwundeten, aber innerlich integren Deserteur. Joshua Whitener gibt den Giannetto als verliebten jungen Mann, singt ihn mit dem nötigen Schmelz und tenoraler Fülle. Daniel Fiolka als Vater Fernando scheint von Anfang an von schicksalhafter Trauer bestimmt, die sich erst am Ende durch das Edikt des Königs glücklich löst, und mit seinem schön timbrierten, kräftigen Bariton kann er auch die schmerzvollen Gefühle ausdrucksvoll gestalten. Die künftigen Schwiegereltern der Ninetta werden recht bodenständig dargestellt; Barbara Schöller, mit nicht allzu kräftigem, aber sicheren Mezzosopran singend, gibt eine etwas spießige Kleinbürgerin Lucia, der Besitz alles gilt und die zu spät merkt, dass sie ihre Schwiegertochter beinahe dem Verderben ausgeliefert hat. Ihre Reue kommt gerade noch rechtzeitig, während ihr Mann Fabrizio von Anfang an zu Ninetta gehalten hat; Ji-Su Park singt ihn mit angenehm klingender Stimme. Eine besonders wichtige Rolle hat Pippo, der junge Bauernbursche und Freund Ninettas, der schließlich entdeckt, dass die Elster ihr Diebesgut im Kirchturm versteckt hat und so für ein glückliches Ende sorgt. Sonja Koppelhuber begeistert in dieser Hodenrolle durch ihr lebendiges Spiel und vor allem durch ihren runden, vollen, wohl klingenden Mezzosopran. Neben diesen „tragischen“ Personen gefallen auch die komisch-grotesken, so der Händler Isacco, Fabian Christen, mit bewusst flacher, schneidender Stimme und natürlich der eingebildete Podestà. Mit wuchtigem, starkem Bass, übertrieben würdevollem Auftreten und schmierigen sexuellen Angeboten reizt Johan F. Kirsten seine Machtposition bis zum Letzten aus. Doch das Gute siegt: Als seine Machenschaften am Schluss entlarvt werden und er fliehen muss, wirft ihm sein übereifriger, allzu willfähriger Diener Giorgio, David Hieronimi, den Koffer hinterher. Dabei trifft er leider nur die Wand – ein Versehen, ein Wink des Schicksals? Denn das Böse ist wohl nur für kurze Zeit aus der Gemeinschaft vertrieben.

Das Publikum im voll besetzten Mainfranken Theater genießt diese pralle und detailverliebte Inszenierung aus vollem Herzen, spendet immer wieder Szenenbeifall, und am Ende bricht ein Jubelsturm mit standing ovations für alle Mitwirkenden los, vor allem für Dirigent und Orchester. Diese Oper ist wohl kaum geeignet als Versuchsfeld fürs Regietheater, und die Besucher sind dankbar, dass hier für sie und nicht fürs Feuilleton inszeniert wird.

Renate Freyeisen





Fotos: Falk von Traubenberg