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Fakten zur Aufführung 

SEMIRAMIDE
(Leonardo Vinci,
Georg Friedrich Händel)
12. Oktober 2013
(Premiere am 23. September 2013)

Theater an der Wien in der Wiener Kammeroper


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Tanzcompetition im Club Babilonia

Genau lässt es sich heute nicht mehr feststellen, wie viele Opern auf Grund der antiken Legende der assyrischen Königin Semiramide komponiert wurden. Die Anzahl dürfte jedoch erklecklich gewesen sein und so um die 100 (!) Produktionen liegen. So schuf fast jeder bedeutende Komponist im mittleren 18. Jahrhundert eine Oper nach diesem Sujet. Nicolo Porpora sogar drei. Ungefähr ein Drittel davon basiert auf Metastasios Semiramide riconosciuta aus dem Jahr 1729. Die Erzrivalen Popora und Leonardo Vinci vertonten den Stoff mehr oder weniger simultan. Das Interesse an der beliebten Legende setzte sich bis ins 19. Jahrhundert fort. Selbst von Giacomo Meyerbeer um 1819 und fünf Jahre später von Gioacchino Rossini wurde der gleiche Stoff vertont.

Nun hat sich der amerikanische Cembalist, Musikwissenschaftler und Dirigent Alan Curtis des Stoffes angenommen. Ausgehend von Leonardo Vincis Dramma per Musica 1729, aus dem Georg Friedrich Händel mit neuen Rezitativen eine Pasticcio-Fassung angefertigt hat, hat der bekannte Barock- und Händelspezialist Curtis die meisten Teile dieses Konglomerats beibehalten und mit einigen weiteren Arien von Nicola Porpora , Leonardo Leo und Francesco Feo angereichert, wobei dankenswerterweise im Programmheft die Autorenschaft jedes Teils minutiös angeführt ist. Curtis ist dabei ein recht unterhaltsamer Abend mit so manchen reizvollen Arien und einem Fest für Freunde Händelscher Rezitative gelungen, der zum Finale allerdings etwas zu abrupt ins „lieto fine“ stolpert. Jetzt erlebt diese Fassung an der Wiener Kammeroper, die bereits in der zweiten Saison recht erfolgreich als zweite Veranstaltungsstätte des Theaters an der Wien fungiert, seine erfolgreiche Aufführung.

Sehr komplex und verwirrend ist die Handlung, der man jedoch durch die Übertitel und die szenische Umsetzung recht gut folgen kann: Königin Semiramide herrscht als Mann verkleidet anstelle ihres Sohnes Nino über Assyrien. Diesen hat sie als Frau erziehen lassen – er wird von Schauspieler Alessio Calciolari gespielt, der als stummer Transvestit quasi als Spielmacher immer wieder die Handlung vorantreibt beziehungsweise in diese einbezogen wird. Drei Prinzen werben um die baktrische Prinzessin Tamiri. Diese entscheidet sich für Scitalce, einen früheren Geliebten von Semiramide. Das weckt bei dieser wieder die Eifersucht, denn die beiden sind nur auf Grund einer Intrige von Sibari, der auch Semiramide liebt, auseinandergekommen. Nach etlichen Verwirrungen, raffinierten Intrigen, großen Gewissens- und Liebesqualen, was zu einem gewaltigen Durcheinander führt, beschließt ein großes Verzeihen das Werk. Und wie könnte es anders sein: beim Happy End kommen die Paare alle richtig zusammen. Eine Story, an der heute Fans von mehrfolgigen TV-Soaps durchaus ihre Freude hätten.

Francesco Micheli, der auch die Ausstattung für die winzige Bühne der Wiener Kammeroper kreiert hat, lässt die Handlung in einer sparsamen, kaum vorhandenen Kulisse des Tanzsalons oder Nachtclubs „Babilonia“ mit nur einigen wenigen weißen Stufen spielen. Wie bei den heute so modernen Tanz- und Gesangscompetitions werben die drei Prinzen um die Hand der Prinzessin. Ständige Vitalität ist angesagt. Auch bei allen Da-Capo-Arien gibt es keinen Stillstand. Diese hat er mit allerlei verschiedenseitigen Würfeln, die man als Puzzle zusammenfügen kann, allerhand Slapsticks, künstlicher Dynamik und sogar Zeitlupe unterfüttert, um ja keine Langeweile aufkommen zu lassen, was teilweise doch etwas zu bemüht wirkt. Mit zwei durchscheinenden Fadenvorhängen schafft er ganz raffiniert neue Räume. Von den männlichen Kostümen her gibt es Anspielungen an den Kubrick-Film Clockwork Orange. Es gelingt ihm ganz glaubhaft und folgerichtig, die permanenten Gefühlskonfusionen der Protagonisten aufzuzeigen. Aufgemotzt mit so manchen Videoprojektionen wie tanzenden Figuren gelingt ihm ein recht vergnüglicher Abend.

Ein Vergnügen bereitet auch das junge, fix engagierte Ensemble der Kammeroper, eigentlich ohne Schwachstelle: Gaia Petrone ist allen voran ein raffinierter, sehr präsenter Intrigant Sibari, stilistisch exzellent, mit agilen Koloraturketten. Cigdem Soyarslan verkörpert eine intensive, sauberst singende Titelheldin, eine Spur zu veristisch, die sich immer wieder vor einem imaginären Spiegel umziehen muss. Tamiri, die baktrische Prinzessin, wird von Gan-ya Ben-gur Akselrod mit etwas zu leichtgewichtigem Sopran gesungen. Andrew Owens, der indische Prinz Scitalce, verfügt über einen feinen, lyrischen Tenor. Rupert Enticknap ist der sensible und stilistisch schon hochstehende, herrlich phrasierende Countertenor, der ägyptische Prinz Mirteo. Igor Bakan, vom Typ der ideale, derbe sykthische Prinz Ircano, poltert mit seinem kraftvollen Organ manchmal zu sehr.

Der Bach Consort Wien unter Alan Curtis wirbelt mit seinen Originalinstrumenten zwar nicht immer ganz sauber und intonationsrein sowie fallweise mit etwas zu schwerem Klang, aber immer akzentreich mit großer Energie und enormem Drive durch den Abend.

Der heftige Applaus zeugt von einem restlos zufriedenen Publikum.

Helmut Christian Mayer

Fotos: Armin Bardel/Barbara Zeininger