Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

PORGY AND BESS
(George Gershwin)
12. Mai 2013
(Gastspiel der Cape Town Opera)

Staatstheater Wiesbaden


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Man muss lange rudern

Die Catfish Row heisst am Western Cape in Südafrika Khayelitsha oder Khayamandi, „frohes Zuhause“; auch hier leben die Menschen, die Schwarzen, nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens. Christine Crouse verlegt Gershwins Klassiker Porgy and Bess aus den USA nach Südafrika, sie sieht am Western Cape, wo 1902 das erste Township entstand, viele Parallelen zum Leben der Schwarzen in den USA, als 1935 Porgy and Bess in New York uraufgeführt wurde. Außerdem kann sie hier für ihre Inszenierung auf ein erfahrenes Ensemble der Cape Town Opera zurückgreifen, das sich in kurzer Zeit unter Leitung von Albert Horne weltweit Reputation erworben hat. Von den zahlreichen Preisen sei nur der diesjährige internationale „Best Opera Chorus Award“ erwähnt.

Die Cape Town Opera (CTO) ist mit dieser Inszenierung 2012 in England gewesen und hat bei ihren zehn Vorstellungen in London große Erfolge gefeiert. Auf die Besetzung der Hauptrollen mit Amerikanern, für die Gershwin die Besetzung mit schwarzen Künstlern vorschreibt, kann die CTO inzwischen gut verzichten, für die Aufführung im Rahmen der Wiesbadener Maifestspiele stehen genügend südafrikanische Künstler zur Verfügung.

Crouse setzt ihre Inszenierung in die heutige Zeit, was angesichts vieler Ähnlichkeiten der Lebenssituationen der Schwarzen in den USA und Südafrika keine großen Bearbeitungen erfordert. Entsprechend steckt Michael Mitchell die Protagonisten in einfache Alltagskleidung, lediglich Bess macht mit kurzem Lederrock und Stiefeln einen milieugerechten „modernen“ Eindruck. Zur Bühnenausstattung reicht ihm ein großes Versatzstück, das mal die schäbige Häuserfront der Catfish Row, dann den Platz vor Porgys Wohnung, den Treffplatz der Männer oder einen einfachen Wohnraum zeigt. Ein heraufziehender Sturm, das Auftreten der – natürlich weißen - Polizei oder eine Beerdigungsfeier werden von Kobus Rossouw mal weich und mild, dann blitzleuchtend hell ausgeleuchtet.

Xolela Sixaba in der Rolle des Porgy bringt den behinderten Porgy, auf einem Kniebrett rollend, mit Würde, starkem Ausdruck und wunderschön warmem Bariton auf die Bühne. Nonhlanhia Yendes Bess zeigt alle Variationen dieser gespaltenen Person, die sich nicht zwischen treuer Gefährtin des Porgy und von Crown und drogenabhängigem Flittchen entscheiden kann. Mit hellem Sopran, zu Beginn in den Höhen ein wenig unsicher, changiert sie zwischen der keifenden Nachbarsfrau, der verführerischen Sexbiene und der hoffnungslosen Drogenabhängigen und füllt stimmlich und darstellerisch die Rolle der Bess mit großer Intensität. Mandisinde Mbuyzwe gibt dem jungen, gewalttätigen Crown, dem „König der Catfish Row“ die nötige Härte in Darstellung und Bassstimme. Ergreifend und mit ausgezeichneten Stimmen überzeugen Philisa Sibeko als Clara, die schließlich ihren Mann, den Fischer verliert, und Miranda Tini als Maria. Den Drogendealer Sportin`Life gibt Tshepo Moagi mit oft zynischem Tenor, der aber die Schlitzohrigkeit des legendären Sammy Davis jr. von 1959 nicht erreicht. Die zahlreichen weiteren kleineren Partien formen ein Ensemble, das stimmlich und darstellerisch begeistert und der Aufführung eine unerwartete Intensität und Emotionalität verleiht. Hier spüren die Zuschauer etwas von dem, was Christine Crouse so bezeichnend findet: „Musizieren in den Straßen und Bars war Teil des anscheinend zufriedenen täglichen Lebens. Musik und Tanz wurden (…) zu einem Mittel der Lebensbewältigung.“

Wesentlicher Bestandteil dieser Intensität ist die Musik Gershwins, die von dem einfachen Moll-Motiv des Summertime über ungewohnte, aufregende Passagen rhythmischer Xylophone bis zur donnernden Instrumentierung des Sturmes reicht. Ihm ist es gelungen, Elemente des Jazz, des Spiritual, der Romantik und der Broadwaymusik zu einer neuen Form von „Volksoper“ zu verbinden. Zahlreiche Songs wie Summertime, I got plenty o' nuttin' oder It ain´t necessarily so haben die Opernbühne längst verlassen und sind in zahlreichen Bearbeitungen Teil moderner Unterhaltungsmusik geworden.

Vor allem in der zweiten Hälfte der Aufführung treten religiöse Motive in den Vordergrund. Es ist überraschend, wie glaubwürdig und intensiv gerade diese naiv-religiösen Passagen gelingen und das Publikum spürbar erreichen. Hieran hat der ausgezeichnete Chor seinen großen Anteil. Er gibt den tumultartigen Straßenszenen ebenso wie dem Duett Porgy – Bess oder der Trauer um den vom Sturm angetriebenen Fischer Jake bewegenden Ausdruck, kann aber auch den Zorn der Nachbarschaft über den anmaßenden Crown mit stimmlicher Wucht darstellen. Ein weiteres Element der Chorauftritte ist eine gelungene Choreografie der Figuren, einige Male mit ballettartigen Rap-Einlagen ergänzt. Diesen Sängerinnen und Sängern gelingt es vorzüglich, Gesang und Bewegung lebendig zu verbinden. Die hessischen Musiker des Orchesters sind während der Proben von der Professionalität und Stimmgewalt des Chores überrascht.

Albert Horne, der auch den Chor vorbereitet hat, stand für die Probenarbeit mit dem Orchester des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden eine Woche Probenzeit zur Verfügung. Mit hörbarer Spiellust und routinierter Erfahrung gibt Horne mit dem Orchester der Aufführung eine sichere, moderne Basis, der den drohend aufziehenden Sturm ankündigt, die Verzweiflung des verlassenen Porgy gefühlvoll unterstreicht oder die religiöse Zuversicht der chorischen Gemeinde leuchten lässt. Überhaupt ist die starke religiöse Hinwendung, die die zweite Hälfte der Oper kennzeichnet, für viele Besucher überraschend. Dem Ensemble gelingt es, diesen besonderen Akzent, der sich in vielen schwarzen Communities findet, in der Inszenierung unaufdringlich und überzeugend zu spielen und damit das Hoffnungsmotiv des Summertime auch szenisch umzusetzen.

Nach dem Schlussbild, in dem Porgy auf der Suche nach Bess langsam nach hinten in die Bühne abgeht, bricht tosender Beifall aus, das Publikum ist hellauf begeistert, es feiert für hessische Verhältnisse diese Aufführung stürmisch, erst der nach minutenlangem Beifall langsam sich senkende Vorhang beendet den Applaus. Schade, dass diese so gelungene moderne Opernaufführung vor allem für jüngere Besucher wegen der sehr hohen Einrittspreise wohl unerreichbar bleibt.

Horst Dichanz







Fotos: Lena Obst