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Fakten zur Aufführung 

PARADISE RELOADED (LILITH)
(Peter Eötvös)
25. Oktober 2013
(Premiere)

Neue Oper Wien

Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Adams selbstbewusste Frau

Lilith war laut der hebräischen Mythologie die erste Frau Adams. Sie war selbstbewusst und dem Adam völlig gleichberechtigt. Sie wurde wie Adam von Gott aus Lehm geschaffen und nicht wie Eva aus Adams Rippe. Wegen ihrer Dominanz kam es immer wieder zu Konflikten, weswegen sie letztlich von Adam verstoßen und dann über Jahrhunderte zur Dämonenmutter hochstilisiert wurde. Sie soll auch die Schlange im Paradies gewesen sein, die Eva den Apfel reichte. In den Bibeltexten wird man sie jedoch vergeblich suchen. Sie wurde bei den Feministinnen des 19. Jahrhunderts zum Synonym von Freiheitsliebe und Unabhängigkeit.

Lilith steht jetzt im Mittelpunkt der neuen Oper von Peter Eötvös Paradise Reloaded (Lilith), die jetzt im Wiener Museumsquartier der Neuen Oper Wien in Koproduktion mit dem Festival Wien Modern, wo dem derzeit sehr erfolgreichen, ungarischen Komponisten ein Schwerpunkt eingeräumt wird, uraufgeführt wurde. Die Genesis dieses neuen Musikdramas von Eötvös, der vor allem mit seinen Opern Die drei Schwestern sowie Angels of America berühmt geworden ist, ist jedoch so einfach nicht. Denn schon bald nach der Uraufführung der Oper Die Tragödie des Teufels, 2010 in München, beschloss er den Reset-Knopf zu drücken und das Werk neu zu bearbeiten, da ihm die Dramaturgie nicht gefiel. Die Handlung des Ausgangswerks sollte neu gedeutet werden. Deshalb schrieb er gemeinsam mit dem Librettisten Albert Ostermaier ein neues Libretto, dessen Sprache teils sehr bedeutungsschwer, teils sehr nihilistisch wirkt. War in Die Tragödie des Teufels Lucifer die Hauptperson, so fokussiert nun die Figur der Lilith. Dabei betreibt Eötvös das gedankliche Experiment, was geschehen wäre, wenn unsere abendländische Kultur Adams erste Frau Lilith und nicht Eva zur Ahnfrau der Menschheit erwählt hätte.

In Paradise Reloaded bestimmen Liliths Absichten gemeinsam mit dem gefallenen Engel Lucifer die Ereignisse. Lucifer führt das erste Menschenpaar Adam und Eva durch die Menschheitsgeschichte, um ihnen das missratene Experiment Gottes vor Augen zu führen. Doch Lilith benutzt Lucifer als Handlanger für ihr Ziel, Adam zurückzugewinnen und Eva zu töten. Am Ende muss sich Adam für eine der Frauen, die mittlerweile beide von ihm geschwängert wurden, entscheiden: Für die mütterliche und aufopfernde Eva oder die selbstbewusste und unabhängige Lilith. Er entscheidet sich für Eva, Lilith bleibt allein…

Plot und Szenenfolge werden jedoch auch trotz der packenden und dichten Regie von Johannes Erath, dem viel eingefallen ist, der auch nicht mit erotischen Szenen und einer Eva im knappen Bikini spart, nicht sehr schlüssig. Da wird über Jahrhunderte durch Kriege und andere Katastrophen geirrt, da erfolgen krampfhafte Aktualisierungen mit der Ermordung eines Journalisten, der den Tod eines Soldaten fotografiert. Da wird der Islam hereingeholt, da legt sich eine schwarze Witwe einen Sprengstoffgürtel an. Katrin Connan hat dafür eine variable Bühnenkonstruktion gebaut, mit einer Art Tribüne im Hintergrund, auf welcher ständig eine große Schale voll von Äpfeln – einer davon wird Eva von Lilith zum Essen gereicht – mit einem Spot beleuchtet wird. Auch kleinere Schrägen dienen als Spielflächen. Und auch der Hintergrund der wunderbaren Jugendstilhalle mit ihren Balkonen und Stuckaturen wird himmelsgleich bespielt.

Dazu schrieb Eötvös seine neue Musik, die dramaturgisch immer auf den Effekt der Handlung gerichtet ist und immer wieder zündet: Mit breiten Klangflächen und -farben, teils reduziert, dann wieder in einer sehr komplexen Tonsprache, ruhigen dahin fließenden Klangteppichen, dann wieder schneidend grell. Dirigent W alter Kobéra weiß sie mit dem groß besetzten Amadeus-Ensemble Wien mit großer Energie, vielen Nuancen und Farben umzusetzen.

Gesungen werden die extremen und fallweise regelrecht artistisch klingenden Gesangslinien herausragend und wortdeutlich mit Mikros, was zusätzliche Effekte wie Hall und Verfremdung erlaubt: Annette Schönmüller ist eine hocherotische, ausdrucksstarke Lilith, die ebenso wie Rebecca Nelsen die Eva mit einem unglaublich riesigen Stimmumfang von extremen Höhen bis zu extremen Tiefen singen muss. Eric Stoklossa ist ein sehr sensibler und flexibler Adam. David Adam Moore singt den Lucifer mit großer Macho-Männlichkeit. Auch die kleineren Partien, die drei gefallenen Engel, wie auch die Damen vom Orakel singen tadellos.

Das Publikum lässt sich uneingeschränkt auf das neue Musikdrama ein und jubelt ohne Einschränkungen heftig.

Helmut Christian Mayer

 



Fotos: Werner Kmetitsch