Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

IDOMENEO
(Wolfgang Amadeus Mozart)
15. November 2013
(Premiere am 13. Oktober 2011)

Theater an der Wien


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Ein leiser, gequälter Antiheld

Die verbrannte Erde von Kreta ist mit Stiefeln gefallener Soldaten übersät. Zunehmend türmen sich dann Koffer und anderes Mobiliar auf ihr, bis sie wie ein Trümmerhaufen nach einer schlimmen Katastrophe aussieht. Auf dieser sandigen Schräge, die mit Vorhängen oder schwarzen Wänden begrenzt ist, stapfen die Figuren unsicher schwankend herum. Not und Elend herrschen vor. Zweifellos hat ein brutaler Krieg stattgefunden, von dem noch alle traumatisiert sind: Griechen wie auch Trojaner. Von Anfang an macht das Bühnenbild von Paolo Fantin, das auch immer von raffinierten, vielfach von unten hereinstrahlenden Lichtstimmungen unterstützt wird, bei der Neuproduktion vom Wolfgang Amadeus Mozarts Idomeneo, Re di Creta am Theater an der Wien klar, dass es hier nicht um irgendeine antike Mythologie geht, sondern um zeitlose äußere oder vielmehr um innere emotionale Schlachtfelder.

Aber noch mehr sieht Damiano Michelietto in Mozarts 1781 uraufgeführtem, ersten Meisterwerk den Vater-Sohn-Konflikt im Heute, den er psychologisch feinsinnig herausgearbeitet. Deshalb lässt er bereits zur Ouvertüre auf einem Video den kleinen Sohn in Unterwäsche vor dem übermächtigen, riesigen Vater zuerst recht hilflos dastehen, bis er ihm dann beim Anziehen hilft. Vielleicht auch eine Anspielung auf das Verhältnis des Komponisten zu seinem dominanten Vater Leopold. Dieser Film geht dann durch einen Zwischenvorhang ins reale Geschehen über. Denn da steht dann Idamante als junger Mann, der seinen Vater etwa zehn Jahre nicht gesehen hat, denn solange schon ist er im Krieg. Und er muss sich erst von seinem Vater lösen, muss sich emanzipieren, hat aber schon etwas mit Ilia angefangen, denn die ist von ihm schwanger und gebiert das Kind zur finalen, stark gekürzten Ballettmusik unter lauten Schreien, während sich Idomeneo zum Sterben hinlegt und mit Sand zugedeckt wird. Ein Lebenskreislauf hat sich geschlossen. Dieses Finale ist aber der einzige, sehr plakative und überflüssige Moment in der Inszenierung des italienischen Regisseurs. Denn sonst hat Michieletto, der bereits letzten Sommer in Salzburg bei den Festspielen mit Verdis Falstaff und davor im Frühjahr auch hier im Theater an der Wien mit Puccinis Trittico höchst erfolgreich war, ungemein präzise mit den Protagonisten gearbeitet und zeigt den Idomeneo so packend und emotional aufwühlend wie schon lange niemand mehr. Sehr ergreifend etwa die Erkennungsszene zwischen Vater und Sohn, insbesondere in der Zerrissenheit des Titelhelden zwischen Vaterliebe und Ablehnung. Und er zeichnet jede seelisch kaputte Figur mit starkem Profil, etwa Idomeneo als älteren, fast gebrechlichen Mann, der immer wieder mit Albträumen von blutverschmierten Figuren gequält wird. Oder Elettra als heutige, gefühllose Shopping Queen mit blonder Perücke, Glitzerkleidchen und High Heels, die bei ihrer Arie mehrmals die Bekleidung wechselt. Die ansonsten grauen, schäbigen Kostüme stammen von Carla Teti. Elettra wird auch extrem hysterisch gezeigt und schreckt auch nicht davor zurück, Ilia zu misshandeln. Als Drahtzieherin reicht sie dem Idomeneo immer wieder das Beil, mit dem er seinen Sohn umbringen soll, und macht sich dabei an den Vater wie ein Vamp heran.

Wie überhaupt Marlis Petersen in dieser Rolle sowohl darstellerisch wie auch musikalisch ein Ereignis ist. Besonders, wenn sie sich in ihrer Wahnsinns-Arie Oh smania! Oh furie verzweifelt die Haare ausreißt, sich im Schlamm wälzt und stirbt, während sie die höchsten Töne und schwersten Koloraturen von sich gibt, ist schlichtweg sensationell. Aber sie lässt ihren Sopran nicht nur vor Zorn beben und vokale Funken sprühen, sondern auch sinnlich funkeln. Auch sonst gibt es sängerisch keine Schwachstellen. Eine Entdeckung ist die junge Französin Gaelle Arquez als ergreifender, seelenvoller Idamante. Sophie Karthäuser singt die Ilia mit sanften, berührenden Tönen ihres herrlichen Mezzos. Julien Behr ist ein sehr sicherer Arbace mit schönem Tenor. Etwas abfallend Mirko Guadagnini als Hohepriester. Und der Titelheld? Richard Croft singt ihn mit ungemein sanften, weichen und feinen Tönen, sehr grüblerisch als Antiheld und kommt über das Piano selten hinaus. Eine Wucht wie immer der Arnold-Schoenberg-Chor unter der Leitung von Erwin Ortner.

René Jacobs, der sich entgegen seiner CD-Aufnahme von 2008, bei der er die Maximalfassung eingespielt hat, hier für die heute übliche Münchner Uraufführungsversion mit einigen Strichen bei Arien, Rezitativen und Teilen der Ballettmusik entscheidet, zeigt am Pult des fabelhaft disponierten Freiburger Barockorchesters einen ungemein transparenten, feinziselierten, frischen Klang und Farbenreichtum: Ein wahres Wunder an edlem, kultivierten Originalklang.

Im ausverkauften Saal ist das Publikum reichlich begeistert, jubelt gehörig und spendet viel Beifall.

Fazit: Eine rundum gelungene Produktion, deren drei ¼ Stunden sowohl in musikalischer als aus szenischer Brisanz wie im Fluge vergangen sind.

Helmut Christian Mayer







Fotos: Werner Kmetitsch