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Fakten zur Aufführung 

HÄNSEL UND GRETEL
(Engelbert Humperdinck)
26. November 2013
(Premiere am 1. Dezember 1985)

Volksoper Wien

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Schön kitschig

Es ist dunkel. Ein eisiger Wind treibt Schneeflocken durch den 9. Bezirk, vorbei an Gebäuden, die aussehen, als habe sich im vergangenen halben Jahrhundert dort nichts verändert. Von allen Seiten streben Eltern und Großeltern mit ihren Kindern auf die Wiener Volksoper zu. Es ist die richtige Stimmung, um sich in ein Theater zu verkriechen und eine herrlich altmodische Vorstellung von Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel zu erleben.

Am Vorweihnachtsabend 1893 in Weimar uraufgeführt, gehört das „Kinderstubenweihfestspiel“ zu den Klassikern vieler Opernhäuser. Und hat ein Haus erst mal eine Inszenierung gefunden, die dem Charakter des Stückes zu entsprechen scheint, trennt es sich auch ungern wieder davon. Die Volksoper zeigt die 179. Vorstellung einer Inszenierung von 1985, verantwortet von Karl Dönch, mit einem herrlich altmodischen Bühnenbild und klassischen Kostümen der Spätromantik von Toni Businger. So stellt Klärchen Meier sich Oper vor, so wünschen sie sich viele zurück. Dementsprechend ist der Saal, sind die 32 Logen der so genannten Volksoper fast vollständig besetzt. Schön, dass in nahezu allen Logen auch Kinder Platz gefunden haben, um das märchenhafte Bühnenspiel zu verfolgen. Der erste Akt eröffnet mit einem Querschnitt des Besenbinderhauses, in dem Businger – aus Verehrung für Mozart, wie er sagt – die Kochstelle im Salzburger Geburtshaus des Musikers nachgebaut hat. Ein naturalistischer Wald löst die Szene ab, in dem schließlich eine Himmelstreppe erscheint, von der die Engel herabsteigen. Die Szene, eingetaucht in goldenes Licht, gehört sicher mit zu den schönsten Momenten des Abends. Im dritten Akt endlich das Hexenhaus mit links außenliegendem Ofen und Käfig auf der anderen Seite. Selbstverständlich darf im Hintergrund der Wald nicht fehlen. Businger verwendet die Drehbühnentechnik fließend im Spiel, und weil die Technik hervorragend funktioniert, macht das auch richtig Spaß. Und erst recht der Auftritt der Hexe. So muss eine Hexe aussehen! Kinder und Erwachsene sind entzückt. Der gebogene Hut, die weiten Umhänge, selbst der Rabe auf der Schulter und die unheimlichen, langgliedrigen Finger, aus denen mancher Zauber fließt, fehlen nicht. Wenn dann noch der rechte Sängerdarsteller im Kostüm steckt, kann der Abend eigentlich nur noch ein Erfolg werden. Und welch ein Moment, als die Hexe von Hänsel und Gretel in den Ofen gestopft wird. Da jubilieren die bis dahin auf das Äußerste gespannten Kinder, klatschen sich gegenseitig ab, nicken sich triumphierend zu. Da fragt man sich, ob wirklich das Geschehen auf der Bühne das Schönste an diesem Abend ist…

Bei der Balance immerhin sind Zweifel angebracht. Zwar agieren die Sängerdarsteller mit ausgesprochener Spielfreude. Zu hören sind sie allerdings nur sporadisch und auch dann nur mit Mühe. Hat sich hier eigentlich irgendjemand mal die Proben angehört? Da tritt ein Orchester in Wagner-Stärke an und spielt die wunderbare Musik von Humperdinck brillant; aber die Besucher sind ja nicht gekommen, um eine „Instrumentalaufführung“ zu sehen. Hinzu kommt eine wohl wenig sängerfreundliche Bühne. Einzig Martin Winkler, der sein Debüt als Besenbinder gibt, ist mit kraftvoller Stimme im ersten Akt zu hören. Später fällt es auch ihm schwer, sich Gehör zu verschaffen. Anja-Nina Bahrmann verwendet viel Kraft darauf, ihre Stimme als Gretel einzusetzen. Aber Kraft war schon immer ein schlechtes Mittel für gute Stimmen. Und so entfallen auch hier die feinen Nuancen, die der Rolle ihren Charme verleihen. Dorottya Láng hat vermutlich einen wunderbaren Mezzo, vor allem in der Mittellage deutet die Debütantin beim Hänsel einen schönen Körper an. Ursula Pfitzner, die ebenfalls ihr Debüt gibt, ist als Mutter gar nicht zu hören. Gleiches gilt für Sandmännchen Manuela Leonhartsberger und Taumännchen Sera Gösch. Jeffrey Treganza, zum ersten Mal als Knusperhexe auf der Bühne, ist ungemein witzig, und was als Wortfetzen über den Graben dringt, ist allemal hörenswert. Selbst der Jugendchor der Volksoper Wien, hervorragend einstudiert von Lucio Golino, hat noch seine Mühe, gegen die Musik anzusingen. Auf Übertitel hat man „natürlich“ auch verzichtet, ist ja schließlich ein deutscher Text – und was hätte es den kleinen Kindern nutzen sollen?

Dass Nicholas Milton das Bühnenorchester der Wiener Staatsoper und das Orchester der Volksoper Wien mit Verve und Engagement, vor allem aber kraftvoll durch die Partitur führt, ist nur noch ein halber Trost. Da ist es schön, dass Kinder nicht viele Worte brauchen, um die Handlung zu verstehen, und Erwachsene sie eh schon kennen. So bleibt ein schöner Bilderbogen mit hinreißender Instrumentalmusik in Erinnerung, den das Publikum höflich applaudiert. Unter den Sängerdarstellern werden dabei Jeffrey Treganza für seine Hexe, Dorottya Láng für den Hänsel und Besenbinder Martin Winkler besonders belohnt. Zu Recht.

Michael S. Zerban

 





Fotos einer früheren Aufführung:
Dimo Dimov