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Fakten zur Aufführung 

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
(Richard Wagner)
7. September 2013
(Premiere)

Hessisches Staatstheater Wiesbaden


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Disneyworld und Kanonenschuss

Es ist gewaltig, gespenstisch und entert mit einem fetten, Nebel umhüllten Rums über den Orchestergraben hinweg den neobarocken Zuschauerraum des Staatstheaters Wiesbaden: das überdimensionale rot beflaggte Geisterschiff des Fliegenden Holländers. Beifall und laute Freude strömt in den Raum. Show- und Eventeffekt feiern Triumphe. Auf den Balkonen, in den Rängen und im Parkett prostet sich in festlicher, heutiger Premierenkleidung der Chor des Staatstheaters Wiesbaden zu und stimmt den letzen Aufzug der romantischen Oper des Leipziger Meisters Richard Wagner an. Dieser hat seine Oper nach einer stürmischen Überfahrt nach London, die er 1839 in einem Segelschiff mit Todesängsten überlebte, in Paris konzipiert. Kein geringerer als der spöttische Heinrich Heine gab Wagner Inspiration für sein dreistündiges Erlösungsdrama. Heines süffisante Fabel von dem Fliegenden Holländer aus den Memoiren des Herrn Schnabelewopski schildert den Holländer als einen, der „oft froh genug ist, von der Ehe selbst wieder erlöst zu werden und seine Erlöserin loszuwerden“. Der fahrende Grausame wird in jener Fabel in einem Theaterstück erlebt. Ein amouröses Erlebnis mit einer Apfelsine schälenden Dame, die auf dem Balkon des Theaters sitzt, erlebt unser Memoirenschreiber auch. Jene Ausführungen, die voller Spott und Hohn vor unglückbringenden Weibern und Holländern warnen, haben Wagner nie interessiert. Sehr wohl aber, dass ein treues Weib eine verflucht Seele erretten kann.

Regisseur und Bühnenbildner Michiel Dijkema liebt den Effekt und hat manch unverständliches Schmankerl in seine Inszenierung eingebaut. Blutrote Segel, Donnerschall, Captain Flint aus Stevensons Schatzinsel und Fluch-der-Karibik-Schurke John Sparrow nehmen als Holländer Gestalt an und versetzen das Wiesbadener Premierenpublikum des Fliegenden Holländer in Hollywoodlaune. Wagners romantische Oper verkommt zum Fluch-der-Karibik-Soundtrack. Die Welt des verfluchten Holländers, der sich dem Teufel anheim gegeben hat, alle sieben Jahre an Land kommt, um ein treues Weib zu finden, das ihn liebt, ist dem Rembrandtzeitalter entlehnt. Ein echter John Sparrow, leider nicht Jonny Depp, schreitet aus dem Hinterhalt als düsterer Holländer auf die Gothic-Look-getrimmte Senta zu. Ihre blauen Stiefel verleihen ihr einen Hauch von Emanzipation. Claudia Damm entwarf sie, die Kostüme der Traum- und realen Welt. Als besonderes Rätsel holt Regisseur Dijkema auch die Apfelsinen essende blonde Schöne aus Heines Fabel ins Theater und setzt sie im ersten Rang auf den Balkon. Keiner hat’s verstanden! Hier wird um zu viele Ecken gedacht. Denn die Blonde soll in das Theater von Heines Schnabelewopski führen. Der Zuschauer hat aber mit den zwei Zeitebenen plus Videoinstallation genug zu schauen. Die reale Welt, die der des Holländers gegenübersteht, ist die vom raffgierigen Kapitän Darland und seiner Tochter Senta. Beide leben auf einem großen Containerschiff. Die Mannschaft in gelber Montur und Regenjacken versetzen in die Jetztzeit. Das Spinnerlied im zweiten Aufzug wird von Damen im kleinen Schwarzen zelebriert. Dazu schnurren historische Spinnräder. Dirigiert werden sie schulmeisterlich von der alten Jungfer Mary. Treffen sich Senta und der Holländer in ihrem Traum, in einer nur für sie beide sichtbaren, erlebbaren Zeit, erscheinen ihre Gesichter als große Videoprojektion im Bühnenhintergrund.

Für Wagners Holländer braucht es textverständliche Sängerdarsteller. Das glückt wirklich nur einem. Dem Bayreuth-erfahrenen Arnold Bezuyen, der den Eric singt. Seine realistische, schön intonierende Traumschilderung zeigt einen kämpferischen, zur Gewalt neigenden, verletzlichen Mann, der sich keineswegs von Senta, die ihm versprochen ist, einschüchtern lässt. Senta, gesungen von der hochbegabten Maida Hundeling, besticht anfangs in der Senta-Ballade, neigt aber im hochdramatischen dritten Aufzug dazu, im Spitzentonbereich zu scharf zu tönen. Darland, gesungen von Petri Lindoos, wirkt zu verhalten in Diktion und Textverständlichkeit. Kerniger und mit fesselnd rauer Stimme hingegen der Holländer von Bastiaan Everink. Sehr schön, auffallend klar das Steuermann-Lied, das Markus Francke als Eröffnung der Oper intoniert. Zu blass wirkt die Mary von Diane Pilcher.

Großartig der im Zuschauerraum singende Chor und Extrachor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden, einstudiert von Anton Tremmel. Die musikalische Leitung hat Zsolt Hamar inne. Leider fehlt es seiner oft in Hau-Ruck-Manier tönenden, gar zu eindimensionalen Interpretation, die das Staatsorchester Wiesbaden wacker umsetzt, an einer feineren Differenziertheit und ausgewogenen Pianokultur.

Ein Holländer, der zu sehr auf Event und Showeffekte setzt, vom Publikum stürmisch gefeiert wird und so manchen jungen Jonny-Depp-Fan ins Opernhaus locken kann.

Barbara Röder

Fotos: Lena Obst