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Fakten zur Aufführung 

EUGEN ONEGIN
(Piotr Iljitsch Tschaikowski)
14. März 2014
(Premiere am 7. März 2009)

Wiener Staatsoper


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Frostbeulen im russischen Wintersturm

Es schneit und schneit und schneit und…! Nicht erst am Schluss wissen wir jetzt wirklich alle, dass für Falk Richter, der mit Pjotr Iljitsch Tschaikowskys Eugen Onegin sein Debüt als Regisseur an der Wiener Staatsoper im Jahre 2009 gab, der dichte Dauerschneefall eine Metapher für das erstarrte Gefühlsleben der Protagonisten und der russischen Volksseele insgesamt ist. Jammerschade nur, dass den Zuschauer diese andauernde, weiße Reizüberflutung im Laufe des Opernabends ziemlich nervt, nicht nur, weil sie zu sehr von der Musik ablenkt, sondern vor allem auch, weil sie offenbar das einzige Konzept des Regisseurs darstellt. Auf der leeren Bühne von Katrin Hoffmann gibt es nur wenige Versatzstücke, wie künstliche, von innen erleuchtete Eisblöcke, die als Bett und als Sitzgelegenheiten dienen und auf denen sich Tatjana, Lifestyle-Magazine lesend, räkelt. „Lyrische Szenen“ benannte der russische Komponist seine Oper nach der Vorlage des Romans von Alexander Puschkin, aber hier in Wien fehlt es leider bewusst an jeglicher Wärme und Menschlichkeit, da fehlen Melancholie und Hoffnung: Die Knechte und Mägde kehren seltsamerweise in blauen Drillichanzügen mit Werkzeugkoffern von der Ernte heim, die normalerweise vitale Polonaise-Szene erstarrt ohne Ballett oder sonst irgendeinem Tanz im stoischen, schneckenhaften Herabschreiten gleichgewandeter Paare auf einer Art Showtreppe im nüchternen Schwarz-Weiß der Kulisse. Zudem sind alle Figuren nur beiläufig gezeichnet und geführt. Von jener exemplarischen, beinahe sezierenden, virtuosen Personenführung dieser Oper in der Inszenierung von Andrea Breth bei den Salzburger Festspielen vor einigen Jahren ist Falk mit seiner mangelnden Sensibilität weit entfernt.

Aber in erster Linie ist man ohnedies nicht wegen dieser nichtssagenden Inszenierung gekommen, die man schon kennengelernt hat, sondern wegen eines Sängers, und der heißt Rolando Villazón. Denn der gebürtige Mexikaner singt seinen ersten Lenski an der Wiener Staatsoper. Und wie erwartet, haut er sich entgegen aller inszenatorischen Vorgaben darstellerisch voll rein. Er spielt die Figur des empfindsamen Poeten, so, als wäre er es selbst: Seine Liebenswürdigkeit, Verliebtheit, Eifersucht und Verzweifelung ist nicht gespielt, sondern wird von ihm gelebt. Er entwickelt dabei eine Präsenz, die die anderen Protagonisten blass aussehen lässt. Auch seinen Tenor schont er keine Sekunde. Zwar verfügt er im Vergleich zu früher, vor seiner Stimmkrise, um viel bescheidenere, stimmliche Mittel und muss mit mehr Kraftaufwand singen. Auch ist sein dunkles Timbre dumpfer geworden. Und immer wieder gerät man ins Zittern wegen seines Durchhaltevermögens, das vor allem in der Auseinandersetzung mit dem Titelhelden am Fest mehrmals an die Grenzen stößt.

Darstellerisch kann ihm Mariusz Kwiecien als Titelheld nicht das Wasser reichen. Obwohl sein Bariton sehr kräftig und schön erklingt, fehlt es ihm auch an glaubwürdigen, hautnahen Gefühlen.

Aber man erlebt auch eine unerwartete, große Überraschung: Die jüngere Dinara Alieva aus Aserbaidschan, die als sopranistischer Geheimtipp gehandelt wird, singt eine sehr innige, sensible Tatjana, die sich in dieser Rolle auch erstmalig dem Wiener Publikum vorstellt. Besonders die Briefarie wie auch das Finale mit Onegin geraten ihr mit ihrem wunderbar dunkel timbrierten, glasklaren Sopran hoch emotional. Nadia Krasteva kann als spielfreudige, erotische Olga überzeugen. Norbert Ernst tritt als Monsieur Triquet wie ein Rockstar mit Brille und Glitzerjackett auf und meistert diese Partie beinahe bravourös. Und Ain Anger ist ein markanter Fürst Gremin mit edler Würde. Ohne Tadel singen sowohl Zoryana Kushpler als auch Larina Aura Twarowska als Filipjewna sowie der Chor des Hauses, der von Thomas Lang wie immer bestens einstudiert wurde.

Patrick Lange steht am Pult des Staatsopernorchesters. Er lässt es, nach kleineren Anlaufschwierigkeiten immer sängerfreundlich, farbenreich und nuancenreich musizieren. Etwas weniger Routine und mehr Feuer würden seinem Dirigat und seiner Interpretation aber nicht schaden.

Viel Jubel gibt es zum Schlussvorhang, ganz besonders für Villazón, der zur Gaudi des Publikums wiederum diesem seine berühmten „Küsschen“ und „Herzchen“ zuwirft. Aber auch Dinara Alieva wird stark umjubelt.

Helmut Christian Mayer







Fotos: Michael Pöhn