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Fakten zur Aufführung 

ALBERT HERRING
(Benjamin Britten)
23. Februar 2014
(Premiere am 15. Februar 2014)

Wiener Volksoper


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Ein Muttersöhnchen nimmt Reißaus

Er trinkt plötzlich Alkohol, raucht, rülpst, flucht, pinkelt ungeniert in eine Telefonzelle und haut, ohne ein Wort zu sagen, von zu Hause ab: Das Muttersöhnchen Albert Herring nimmt Reißaus. Es wurde aber auch höchste Zeit, dass sich der sympathische Bursche aus dem Gemüseladen emanzipiert, nachdem ihn seine Mutter über Jahre drangsaliert hat und er aus dem Käfig der mütterlichen Strenge nicht herausgekommen ist.

Die Wiener Volksoper zeigt als Nachtrag zum Benjamin-Britten-Jahr 2013 seine einzige komische Oper Albert Herring, 1947 in Glyndebourne uraufgeführt. Glänzend fällt dabei das Regiedebüt von Brigitte Fassbaender am Haus aus, der ehemals großartigen Sängerin, die diese amüsante Satire auf die scheinheilige und verlogene Moral der Gesellschaft schon 2012 als Abschied ihrer 13-jährigen Intendanz am Tiroler Landestheater herausbrachte. Es geht wieder um Brittens lebenslange Hauptthemen um den Außenseiter der Gesellschaft und den Verlust einer Unschuld. Sehr geschickt rückt die Regisseurin die Spießbürgermoral des idyllischen, englischen Städtchens Loxford um 1900 in die Gegenwart herauf. Sie zeichnet jede einzelne Figur sehr präzise und liebevoll, aber durchaus mit Augenzwinkern, und bringt den jeweiligen Charakter mit leichtfüßigem Esprit und doppelbödigem Witz auf den Punkt. Und das alles in einer sparsamen Ausstattung von Bettina Munzer mit einem gewundenen Steg und Schattenrissen, die je einer Figur zugeordnet sind und durch deren Silhouette die jeweiligen Auftritte erfolgen.

Daniel Johannsen ist ein zuerst, vor allem gegenüber Mädchen sehr schüchterner Titelheld, völlig unter der Knute der Mutter. Wie er voller Peinlichkeit die ihm aufgezwungene Ernennung zum „Maienkönig“ über sich ergehen lassen muss und dabei lächerlich ausstaffiert wird, ist schon köstlich. Zudem singt er mit seinem lyrischen Tenor exzellent. Elisabeth Flechl, die selbsternannte moralische Instanz der Kleinstadt namens Lady Billows, spielt und singt diese sehr herrisch mit allen Spitzentönen. Ihre Haushälterin Florence Pike, die sie ständig drangsaliert, wird von Alexandra Kloose sehr expressiv wiedergegeben. Cornelia Horak ist eine spitzstimmige Schulvorsteherin Miss Wordsworth. Alexander Trauner spielt den immer wieder lüsternen Pfarrer Mister Gedge mit unmotivierten Lachern und mächtiger Stimme. Alexander Mitschke ist ein etwas derber Polizeichef Mister Budd. Christian Drescher ein vor allem wichtiger, hellstimmiger Bürgermeister Mister Upfold. Sulie Girardi ist die böse Mutter des Titelhelden. Julian Orlishausen als der lebenslustige Metzgerbursche Sid sowie Christiane Marie Riedl als seine Nancy lassen als junges Paar mehr als aufhorchen, ebenso wie die drei gut singenden Schulkinder.

Meisterhaft wie das nur mit zwölf Musikern, also eigentlich rein solistisch besetzte Orchester der Volksoper Wien unter Gerrit Prießnitz zwischen erstaunlicher Klangfülle und zarten Einzellinien changiert und für Kenner immer wieder musikalische Pointen bereithält, etwa Anspielungen auf den Tristan. Da werden auch viktorianische Balladen parodiert, da hört man aufgeblasene Klänge, Groteskmärsche, leichtgewichtig, dahineilende Fugen. Alles wurde nicht nur penibel einstudiert, sondern auch meist präzise und mitreißend gestaltet. Grandios dabei, wie die von Britten komponierte, kollektive, heuchlerische Trauerekstase um den vermeintlich toten Albert in virtuos steigernder Regie zu einer wahren Jammerorgie anschwillt.

Das in der ersten Hälfte eher zurückhaltende und teils ob der Satire sogar verunsicherte Publikum lässt sich dann im zweiten Teil zu einem wahren Begeisterungssturm hinreißen.

Helmut Christian Mayer







Fotos: Barbara Pálffy