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Fakten zur Aufführung 

LA TRAVIATA
(Giuseppe Verdi)
13. Oktober 2012
(Premiere)

Theater Trier


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Von der Einsamkeit des Sterbens

Einsamer kann man nicht sterben. Violetta in ihrem kahlen Kasten, in der Ecke aufgetürmt kleine Steine, auf denen liegend sie sterben wird. Angesammelt vermutlich im Lauf der Zeit, Heuchler werfen gern in unbeobachteten Augenblicken. An der Wand in Liegehöhe in gebrochener Schrift ein letzter Ruf nach Alfredo. Kaltes Licht strahlt aus sieben Deckenröhren. Als wolle der Tod in septischen Räumen zur Welt kommen. Beide sind sie da, Sohn und Vater, aber keiner betritt den Raum des Todes. Sie bleiben auch im metaphorischen Sinn auf ihrer Bühne. Spürbar ihre bedrückende Unfähigkeit, Anteil zu nehmen und zu trauern, eine unaufhebbare Distanz wird sichtbar, emotionale Krüppel beide. Ein Schacht in der Decke, durch den post mortem das Licht der Auferstehung flutet, Violetta eingegangen in die Ewigkeit der unsterblichen, durch nichts zu enttäuschenden Liebe, die sich selbst die Treue hält.

Birgit Scherzer gelingt eine kluge, emotional ergreifende, stimmige und mit unzähligen außergewöhnlichen Einfällen bestückte Inszenierung. Die einzigen, die auf der abschüssigen Bahn wandeln, sind die so genannten feinen Leute, La Traviata bleibt auf ihrem geraden Weg. Und weil das Leben nicht so oder so ist, setzt die Regisseurin auch auf Ästhetik und Humor, die Stierkämpfereinlage erotisch und fröhlich. Eine traurige allegorische Gestalt wandelt durch das Geschehen und erzählt in ihrer Sprachlosigkeit von Brechungen und zweiter Wahrnehmung. Ob wirklich etwas fehlen würde, träte diese schwer einzuordnende Figur nicht auf, sei dahin gestellt. Die Kunst der Raumaufteilung, Choreographie, Farben, Personenführung, alles steht im großen Zusammenhang. Keine Sekunde Stillstand, aber Tempi, die einander ablösen, die quälen können. Die unerträgliche Dehnung der Zeit, wenn es um die ewige Glückseligkeit geht.

Das Bühnenbild von Gerd Hoffmann und Arlette Schwanenberg staffelt die Räume, gibt dem Geschehen Tiefe. Ein unglaublich schneller Wechsel der Spielorte wird so ermöglicht, viel Lichtsymbolik, für die die entsprechenden Flächen gestellt werden. Ein Spiegel von hinten, an dem die illustren Gäste ihre Eitelkeit bedienend vorbei defilieren. Drei Matten, die man vom Friedhof für die Auslegung der Gräber kennt, um beim Blick hinab der materiellen Wahrheit des Todes nicht zu begegnen, sie verwandeln den Raum in einen Garten. Große Bühnenbildkunst. Der Preis, dass durch die Geometrisierung der Welt von den Seitenplätzen aus manches Geschehen nicht immer einsehbar ist, kann vernachlässigt werden. Schade, dass die Übertitelung technische Mängel aufweist. Am besten, man schaut nicht hin.

Die Kostüme von Gerda Graf heutig, witzig, ironisierend, ästhetisch. Wenn der Gast-Torero im sexy Gazehemd alle seine Muskeln spielen lässt. Die beiden Saubermänner in weiß, die feinen Damen in schwarz, Violetta im futuristischen Gewand. Dann die elegante Kamliendame, auch am Ende bleibt ihr der rote Kurtisanensaum anhaften. Die Partygäste, denen es nur um das eine geht, in köstlichen Mausmasken. Vorzügliche Arbeit!

Umjubelt das Philharmonische Orchester der Stadt Trier unter Leitung des GMD Victor Puhl. Seelenmalerei, Auftrumpfen ohne Pathos, dann wieder feinste Differenzierungen. Der Chor und Extrachor unter Leitung von Angela Händel ist den Herausforderungen Verdis absolut gewachsen. Und auch spielerisch in großer Form und Laune.

Was für eine Violetta! Das ganze Haus steht für sie auf. Adréana Kraschewski kehrt im Triumph zurück an ihre Wirkungsstätte zwischen 2007 und 2008. Scheinbar spielerisch, auf technisch hohem Niveau, nimmt sie die Herausforderung der Partie an. Ob Koloratur, ob dramatischer Sopran oder Parlando, alles beherrscht sie im fliegenden Wechsel. Schön, wie sie ist, erzählt sie von einer schönen Seele, von Tragik ohne Schwulst. Sie verschmilzt mit Violetta, ihre Stimme wird zur Sehnsucht und zur Kränkung, sie ist Liebende und Leidende. Ihr ganzer Körper, jede Haltung verdoppelt die Botschaften. Eine strahlend schöne und kräftige Tenorstimme macht Svetislav Stojanovic zu einem Ausnahme-Alfredo Germont. Auch spielerisch sehr ansprechend. Giorgio Germont wird von Amadeu Tasca gesungen und gespielt. Das brasilianische Ensemblemitglied wirkt trotz seiner Jugend glaubwürdig in der Vaterrolle, sein Bariton zeichnet sich aus durch eine unaufdringliche Präsenz und Wärme. Wehmut und Verzweiflung, die Fähigkeit, in die Abgründe seiner Seele vorzudringen, dann wieder stolze Fürsorglichkeit, die ganze Palette an Gefühlen kommt zum Tragen. Schade, dass die Regie ihm das Mätzchen mit den Herztropfen zugemutet hat. Wir hätten seinen Herzschmerz lieber anders interpretiert. Auch die sonstigen Rollen werden vorzüglich ausgefüllt. Respekt vor den Möglichkeiten des Hauses. Kristina Stanek als Flora Bervoix, Angela Pavonet als Annina, Luis Lay auch als tänzerischer Hochgenuss in der Rolle des Gastone, László Lukász als Barone Douphol, Alexander Trauth als Marchese D'Obigny, Pawel Czekala spielt den Doktor Grenvil, Sergej Snegirev als Guiseppe, Carsten Emmerich als Commissionario und den Monsieur Partout gibt Thomas Grünholz.

Das Publikum feiert die drei Hauptprotagonisten frenetisch. Großer Beifall auich für die mittleren und Nebenrollen. Was selten in Trier vorkommt: Von Anfang an steht das ganze Haus. Auch das Orchester wird mit tosendem Beifall bedacht. Bei so viel Euphorie bekommt das Regieteam genauso seinen gebührenden Beifall. Ein Abend, von dem man in Trier noch lange schwärmen wird.

Frank Herkommer

Fotos: Marco Piecuch