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Fakten zur Aufführung 

PETER GRIMES
(Benjamin Britten)
24. März 2012
(Premiere)

Theater Trier


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Im Zwielicht

Vieles auf der Bühne liegt im Halbdunkel. Wie die Dinge, die sich nicht so einfach darstellen, wie man es gerne hätte. Der Strich, der nach Solschenizyn  gut und böse trennt, durchkreuzt jedes menschliche Herz: Das der Vielen, die es sich in der Gerüchteküche gemütlich machen, mit Gesichtern, der die Maske die Maske nimmt, wenn sie halb hell, halb dunkel bemalt in Erscheinung treten. Mit Ölzeugschürzen, an denen der Dreck abperlen soll, um den sie sich ungefragt kümmern. Nur zwei können sich dem Trend ungeschürzt entziehen: Der Kapitän in seinem Rock und Ellen Orford, die verwitwete Lehrerin, in ihrem. Der Strich durchkreuzt genauso das Herz des Peter Grimes – fleißig, mutig, heimatliebend. Und anders. Ein Außenseiter, der darum bettelt, mit Misstrauen und Argwohn verfolgt zu werden. Zugleich Projektionsfläche des Bösen, die die Trinker und Ehebrecher, die braven Bürgersleute mit der religiös verbrämten Doppelmoral  von den eigenen Unzulänglichkeiten erfolgreich ablenkt, von den unzähligen Niederlagen gegen sich selbst. Der, dem man zutraut, dass sich hinter der Unfähigkeit zu Empathie, der Fixierung auf seine Träume, mit dem kaputten Selbstbewusstsein, nur über materielle Versorgung die Liebe einer Frau gewinnen zu können, ein sadistischer Knabenmörder seine latente Pädophilie nur notdürftig verberge. Der Junge aus dem Armenhaus erstarrt vor Angst, wenn er dem Peiniger begegnet. Sein ganzer Körper wehrt ab, gerät zu einem  einzigen Hilferuf. Matthias Kaiser gelingt es, jedes Klischee zu vermeiden, er vermeidet platte Schwarzweißmalerei, er bringt eine packende, psychologisch stimmige Inszenierung auf die Trierer Bühne, mit visualisierten Hierarchien, mit mitreißenden Bildern, eine Zeitlosigkeit, die die Anliegen bedrängend und aktuell machen.

Mit Manfred Gruber, zuständig für das Bühnenbild, und Angela C. Schuett, aus deren prall gefüllten Phantasiekästchen die Kostüme kommen, stehen dem Regisseur zwei Künstler zur Seite, die die dramaturgischen Anliegen beeindruckend umsetzen: Ein überdimensionales Dreieck, wie der Bug seines Schiffes, dann wieder Deck, unter dem der seelisch Verwundete liegt, im Hintergrund Segeltuch, dazu ein Konstrukt aus geometrischen Figuren, die mal Beheimatung verheißen, um dann steil aufgerichtet daran zu erinnern, dass die Menge zum Haifisch werden kann. In den Himmel gespannte Seile, mit denen man ebenso Segel setzen wie Tabledance aufführen kann. Rot wie Blut. Diese Kostüme beeindrucken typisierend, schrill und erotisch.

Herausragend die sängerische Leistung von Susanne Schimmack in der Rolle der Ellen Orford. Die amerikanische Sopranistin verfügt über eine wohlgefärbte, dramatische Sopranstimme, eine exzellente Technik und enorme Ausstrahlung.  Überzeugend auch Gianluca Zampieri als Fischer Peter Grimes: anrührend und abstoßend, in Stimme und Spiel charaktervoll. László Lukács tritt als Captain Balstrode für den Verfemten ein, um dann sein Urteil zu sprechen. Einmal mehr belegt Lukács seine Vielseitigkeit, Interpretationsstärke und Wandlungsfähigkeit. Von den Nebenrollen fallen gesanglich Evelyn Czesla als herrlich erotische zweite Nichte ebenso positiv auf wie Joana Caspar als erste Nichte, Svetislaw Stojanovic als Reverend Horace Adams und Dieter Hechler in der Rolle des Dr. Crabbe. Viel Beifall erhalten zu Recht auch Carlos Aguirre in der Rolle des Apothekers Ned Keene, Carsten Emmerich als Hobson, der sich auch aufs Trommeln versteht. Claudia-Denise Buck gefällt herrlich skurril in der Rolle der Mrs. Sedley, ebenso Pawel Czekala als Rechtsanwalt und Bürgermeister Swallow mit seiner fein differenzierenden Stimme sowie Diane Pilcher als kultiviert singend Wirtin Auntie und Wirbelwind Luis Lay in der Rolle des schmierigen Methodisten Bob Boles.  Philipp Voigtländer spielt wie ein Großer, mit bemerkenswerter Professionalität und Körpersprache den Knaben John.

Einen grandiosen Britten-Abend schenkt GMD Viktor Puhl mit dem Philharmonischen Orchester Trier den Premierenbesuchern: Stimmungsmalerei vom Feinsten. Seelische Bewegungen werden ebenso hörbar wie die der Natur, Sturm und Meer. Das Publikum liefert sich der Musik aus, leistet bald keinen Widerstand mehr gegen das Ungewohnte. Auch Chor und Extrachor laufen zu großer Form auf, von Angela Händel wunderbar ein- und abgestimmt,  choreografisch bestens aufgestellt. 

Das Publikum stellt neue Rekorde im Applaus auf. Am Ende stehen alle und zeigen ihren Respekt vor einer denkwürdigen, hörens- und sehenswerten Inszenierung. Eine großartige Aufführung, nicht nur für Britten-Liebhaber. 

Frank Herkommer







Fotos: Friedemann Vetter