Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

THE FLY
(Howard Shore)
18. Januar 2014
(Premiere)

Theater Trier


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Das neue Fleisch

Veronica Quaife, Reporterin für ein Naturwissenschafts-Magazin sitzt zitternd in einem OP-Kittel auf einem Sofa, hinter ihr untersuchen Kriminalbeamte den Raum, auf ihrer Brust ein Blutfleck. Veronica hat den Mann, den sie liebt, verloren. Niedergeschossen von einer Salve aus einem Maschinengewehr, am Abzug stand ihr Ex-Freund. Die Geschichte wird in Rückblicken erzählt und klingt erst mal nach einem „normalen“ Eifersuchtsdrama. Wäre da nicht ein winziges Detail, das es zu beachten gilt. Ihr Freund war Dr. Seth Brundle, der gerade an einem waghalsigen Experiment zum Thema Teleportation arbeitete. Bei einem Selbstversuch übersah er eine Kleinigkeit, nämlich eine Fliege in seinem Telepod. Er teleportierte sich, erfolgreich. Und die Fliege gleich mit. Am anderen Ende seiner Maschine kam allerdings nur ein einziges Wesen heraus: Brundlefly soll es heißen.

Die Idee von George Langelaan aus dem Jahr 1957 wurde bereits zwei Mal verfilmt, es folgte eine Oper aus der Feder des Komponisten Howard Shore, der auch die Musik zum Film aus dem Jahr 1986 schuf. Uraufgeführt wurde das Werk in Paris unter der musikalischen Leitung von Plácido Domingo, nun folgt die deutsche Erstaufführung im Theater Trier.

Dort arbeitet Regisseur Sebastian Welker mit den Bühnenbildnern Gerd Hoffmann und Arlette Schwanenberg, die gemeinsam eine vielschichtige Bühne schaffen. Der Einsatz der Unterbühne und jedes Winkels der Bühne ermöglichen, ähnlich zum Film, einen raschen Szenenwechsel, die Bühne ist praktisch nie leer. Die Inszenierung erhält so ein Tempo, das eine ungewöhnliche Spannung erlaubt. Der Zuschauer bekommt schnell das Gefühl, dran bleiben zu müssen, sich nicht wie gewohnt im Sessel zurücklehnen zu können. Ein besonderes Augenmerk muss die Teleportationsmaschine erhalten, ein einziges zusammenhängendes Konstrukt, in der Mitte umspannt mit milchiger Folie, die schemenhafte Einblicke in die innenliegenden Vorgänge ermöglicht. Die Kostüme von Angela C. Schuett lassen den Chor und die Nebenrollen zu einer einheitlichen, leicht zu verortenden Masse verschmelzen. Das räumt den Hauptdarstellern zusätzliche Aufmerksamkeit ein. Besonders schön die Transformation des Chors im Inneren der Teleportationsmaschine von in weiße Hygieneoveralls gehüllte, nach Reinheit verlangenden Geistern, hin zu schwarz ummantelten, soldatenhaften Alptraumgestalten.

Obwohl die Vorstellung einer genetischen Verschmelzung von Tier und Mensch bereits in der Antike einen Schauer über den Rücken laufen ließ, sind es bei The Fly gerade die dramatischen Folgen, die eine Gänsehaut hervorrufen. Nichtsdestotrotz handelt es sich hier um eine Liebesgeschichte, was auch das Libretto von David Henry Hwang klar herausstellt. Sie ist Dreh- und Angelpunkt für die Entwicklung des Dramas, für den körperlichen und seelischen Verfall Brundles und auch für die Inszenierung von Welker in Trier. Am Ende soll beim Zuschauer nicht der Schrecken über das Experiment bleiben, sondern der Herzschmerz über zwei Liebende, die sich nicht halten konnten.

Das funktioniert. Im Vordergrund stehen die Menschen, nicht die Fliegen und auch nicht die Mischwesen aus beiden. Ein kurzes Surren kündet das Verhängnis an, durch die genetische Veränderung bedingte Wunden werden mit blutverschmierten Verbänden notdürftig verdeckt, den grausigen Rest erledigt das überzeugende Spiel von Alexander Trauth. Der verfällt auf der Bühne langsam und qualvoll, schluchzt und kriecht über den Boden hin zu einer leuchtenden Erscheinung. Ganz in Weiß, gebettet im Inneren seiner Maschine. Seine Veronica, die er eben noch verstoßen hat, weil er ihre Angst und ihre Bedenken in seinem Hochgefühl übermenschlicher Stärke und Ausdauer nicht hören wollte. Gesanglich tut Trauth sich etwas schwer mit der fehlenden Eingängigkeit der Musik. Sein Bariton, obwohl durchaus versiert, wirkt angestrengt von den wenig melodischen, schnellen Übergängen. In den weniger schroffen Momenten der Musik kommt die Wärme seines klangvollen Baritons dennoch zum Vorschein. Übertroffen wird Trauth nur von seiner Kollegin Kristina Stanek. Von der kalten, abgebrühten Reporterin, die nichts mehr schocken und nichts mehr reizen kann, hin zur aufopferungsbereiten, liebenden Frau, die in letzter Instanz auch nicht davor zurückschreckt, ein großes Risiko auf sich zu nehmen. Und auf die Menschheit. Denn Veronica erwartet ein Kind von Brundlefly. Fast messianisch verkündet sie das neue Wesen, was da in die Welt kommen wird. Von dem sie hofft, dass es noch einen letzten Rest des Mannes in sich trägt, den sie geliebt hat. Wohlwissend, dass das eine trügerische Hoffnung sein kann. Immerhin gibt sie selbst zu bedenken, ob nur die Gesunden, die Schönen, die Perfekten es verdient haben, geliebt zu werden. Erwarten wird sie das von ihrem Baby also nicht. Stimmlich überragt Stanek ihre männlichen Kollegen mit ihrem für ihr Alter ausgereiften Mezzosopran bei weitem. Mühelos wechselt sie von strahlenden Höhen in stimmlich sichere Tiefen, trifft nicht nur die Töne, sondern auch den Nerv der Inszenierung. Luis Lay als Exfreund Stathis Borans ist sowohl stimmlich, als auch körperlich voll überzeugend, mit spielerischer Leichtigkeit erzeugt er eine Körperspannung mit der er sich leicht auf die Stimmung der Musik legen kann.

Darstellerisch keine leichte Übung für die gewandten Sänger und stimmlich erst recht nicht. Die Musik von Shore ist kaum eingängig, wenig melodiös, bleibt im Hintergrund, verschwimmt mit der Darstellung. Für die Oper bildet sie eher ein stimmungsvolles Grundgerüst, eine durchgängige Energie, die sich auf Sänger und Zuschauer überträgt. Sie passt sich nicht an, schon gar nicht an Sprech- und Gesangsweisen, sondern verlangt nach einer Unterstützung der Angst machenden Grundstimmung. I am afraid wird zum Motto. Nicht einfach, doch schaffen Sänger und Chor es, sich auf dieses Grundgerüst an Stimmung zu legen, bauen sie eine Masse aus Fleisch darum. Das neue Fleisch. Welcome, the new flesh.

Doch gerade hier liegt die Tücke. Sobald der Verfall Brundles sichtbar wird, gerät es zunehmend schwieriger, nicht zu viel zu tun. Jedes überschüssige Muskelzucken zerstört die Stimmung. Der Zauber liegt in der Andeutung, nicht in der Ausführung. Zuviel des Guten wird sofort zum Schlechten.

Eine starke Unterstützung in dem Konstrukt bildet der Chor unter der Leitung von Angela Händel. Mal als Wissenschaftler in Partystimmung auf der Preisverleihung von Veronicas Magazin, dann als fanatische Anhänger Brundles, doch am stärksten als Organik der Teleportationsmaschine. Hier erreicht der Chor, sowohl stimmlich als auch darstellerisch eine Intensität, dass es dem Zuschauer kalt den Rücken herunter läuft. The Ghost in the machine wird zum theatralen Schreckgespenst.

Das Orchester findet in Joongbae Jee einen präzisen, konzentrierten Leiter und erreicht selbst diesen Status, was es wiederum nahtlos in die Stimmung der Inszenierung eingliedert. Stärker als sonst sind Orchester und Sänger, Musik und Inszenierung, Ton und Bild nicht zu trennen.

Das Experiment: eine neue Seh- und Hörgewohnheit für das Publikum, eine Annäherung zweier Genres, die sich möglicherweise viel zu geben haben. Das Risiko: Ein Misston bringt das Stimmungsgerüst ins Wanken, das angebrachte Fleisch wird gestört, die Wirkung bleibt aus oder geht fehl. Anders als beim Film können die schnellen Szenenwechsel nicht wiederholt werden. Misston bleibt Misston. Ergebnis: Experiment geglückt? Im Theater Trier wird sich das von Vorstellung zu Vorstellung immer wieder aufs Neue zeigen müssen. In der Premiere gibt es schon mal lang anhaltenden Applaus.

Stefanie Braun

 

Fotos: Marco Piecuch