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Fakten zur Aufführung 

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL
(Wolfgang Amadeus Mozart)
5. März 2011
Gastspiel der Oper Köln

Telary Honer, Sulaimania


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Grandioses Intermezzo

Keine Atempause – Geschichte wird gemacht. In der Innenstadt von Sulaimania findet wieder eine Demonstration statt. Eine Gruppe des Ensembles gerät hinein, und Uwe Eric Laufenberg bekommt Gelegenheit, ein paar Worte zur Notwendigkeit der Demokratie zu sprechen. Anschließend findet ein Empfang bei Mulla Baxtiar, dem Gastgeber der Oper Köln, statt. Der Vorsitzende der Patriotischen Union Kurdistans, die derzeit die Regierungspartei stellt, unterstreicht die Bedeutung der politischen Demonstrationen und begrüßt sie ausdrücklich. Der ehemalige Partisan wirkt glaubwürdig und überzeugend, wenn er für die Rechte der Demokratie eintritt. Die Demokratie des Iraks der Zukunft solle aber keine 1:1-Übernahme etwa des deutschen Modells sein, sondern dürfe Tradition und Kultur des eigenen Landes nicht außer Acht lassen, betont er. Wobei die Kultur des Landes sich durchaus von der Kultur anderer Länder beeinflussen lassen dürfe. Und eben deshalb findet am Abend die Premiere der Entführung aus dem Serail in der Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg statt.

Das Telary Honer ist gut besucht. Damit ist der erste Erfolg schon verbucht. Staatspräsident Jalal Talabani hat sein Kommen für den Sonntag angekündigt. Viel wichtiger als staatstragende Persönlichkeiten im Publikum ist aber, dass sich ein überwiegend junges Publikum versammelt. Auch die Kleinkinder werden mitgebracht. Erstes Anzeichen dafür, dass diese Vorstellung etwas anders ablaufen wird, als es der deutsche Opernbesucher gewohnt ist. Lebendig geht es vor der Aufführung zu, lebhaft wird es bleiben. Für das Gürzenich-Orchester gibt es bei seinem Auftritt Vorschusslorbeeren. Dirigent Konrad Junghänel wird bejubelt. Tobias Werner und Susanne Reinhard haben bis zuletzt an den Übertiteln gearbeitet, jetzt nimmt Werner seinen Platz am Computer ein. Die Technik unter Volker Rhein ist bestens vorbereitet. Während die Entführung ihren Lauf nimmt, werden im Publikum die Ereignisse diskutiert. Ein Kind, das eine Stelle aus unersichtlichem Grund besonders lustig findet, lacht hell auf, was zu allgemeinem Gelächter im Zuschauerraum führt. Selbstverständlich müssen die Mobilfunkgeräte eingeschaltet bleiben. Irgendetwas Wichtiges gibt es immer, weshalb die Besucherinnen und Besucher erreichbar bleiben müssen. Wenn ein Handy klingelt, geht der Eigentümer aus dem Saal – weil die Musik zu laut ist, um zu verstehen, was der Anrufer sagt.

Dem Geschehen auf und vor der Bühne nimmt das nichts. Laufenberg hat Mozarts Singspiel von 1732 bewusst in die Gegenwart verlegt und spielt gekonnt mit Klischees und Übertreibungen. Antje Sternberg hat seine Vorstellungen perfekt auf die Kostüme projiziert. Die Solistinnen mit ihren knappen Bustiers und transparenten Seidenhosen kontrastieren die konservativen Verhüllungstheorien der orientalischen Welt, die sich in der Statisterie mit ihren Burkas wiederfinden und nur zwei Mal in dann allerdings mitreißenden Tanzeinlagen als Enthüllungsorgien „gegen das Establishment“ aufbegehren. Die Bühne von Matthias Schaller spiegelt das karstige, verkrustete, versteinerte Grau der Konvention, in dem die Farben der Neuzeit umso stärker aufleuchten. Michael Werner unterstreicht mit diffusem Licht und sparsamen Lichtwechseln die Langsamkeit des Umbruchs.

In diesem Umfeld können sich die Protagonisten frei entfalten. Wolf Matthias Friedrich interpretiert allein mit seiner Stimme in der Bandbreite zwischen Bariton und Bass die wechselvollen Stimmungen des Osmin. Dem Pedrillo verleiht John Heuzenroeder in einer Mischung aus australisch-britischem Humor und harlekinesker Feinsinnigkeit mit kleinen Gesten große Überzeugungskraft. Die perfekten Vorlagen für Konstanze liefert Marco Jentzsch als Belmonte mit scheinbar leicht gesungenem Tenor einer schwierigen Partie. Wunderbar ergänzen sich Susanne Elmark als Konstanze und Rebecca Nelsen als Blonde. Wo die Elmark der Konstanze tiefes Gefühl überzeugend einhaucht, verleiht Nelsen der Blonde an passenden Stellen eine Lebensfreude, die weit über die Möglichkeiten opernhafter Darstellung hinausreicht. Im schnellen Wechsel der Emotionen verfliegt die Zeit bis zum letzten Ton.

Kaum ist aber der verklungen, geschieht das für den einen oder anderen Europäer so Unglaubliche. Das Publikum reißt es wie ein Mann von den Stühlen, um mit frenetischem Beifall Künstlerinnen und Künstler zu bejubeln. Schon der Arienapplaus – nur allzu berechtigt – zeigt ein musikkundiges Publikum. Das Urteil zur Gesamtleistung aber fällt mit einer Begeisterung aus, die man so in deutschen Opernhäusern wohl nur selten erlebt. Genauso hoch, wie die Wellen schlagen, verklingt der Applaus wieder. Keiner der völlig verausgabten Darstellerinnen und Darsteller wird zu quälend häufigen Verbeugungen gezwungen. Statt nun eilends das Theater zu verlassen, um etwa als erster im Parkhaus zu sein, gehen viele der Zuschauerinnen und Zuschauer hinunter zur Bühne, um den Künstlern die Hände zu schütteln und ihnen persönlich zu gratulieren. Junghänel kommt kaum noch von der Bühne weg, weil immer wieder neue Gratulanten nach seiner Hand greifen. Am Seitenausgang warten die neu gewonnenen Fans, weil sie sich mit Darstellerinnen und Darstellern persönlich fotografieren lassen wollen. Es ist wohl kein großes Kunststück, die Prognose zu wagen, dass über diese Aufführung noch lange gesprochen werden wird, und zwar nicht allein ihrer historischen Bedeutung wegen.

Während des Abendessens, zu dem der Bürgermeister von Sulaimania, Zana Hama Salih, eingeladen hat, überwiegt noch ein wenig die Erschöpfung, bei der Premierenfeier Erleichterung und Freude, dass sich der Einsatz gelohnt hat. Bei diesem Gastspiel gibt es nur einen Star, und der ist: das Team; auch wenn Susanne Elmark den Theaterhimmel ganz besonders leuchten ließ.

Michael S. Zerban

 









 
Fotos: Michael S. Zerban