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Fakten zur Aufführung 

FIDELIO
(Ludwig van Beethoven)
7. März 2012
(Premiere)

Castle of Good Hope

Cape Town Opera


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

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Nach der Premiere

Phillip Pointner steht bei Fidelio am Dirigentenpult. Mit Horst Dichanz spricht er über seine Arbeit in Südafrika und darüber, was sich zu Deutschland unterscheidet (5'53).


 

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Parallelwelten

Der Kerker der Gefangenen eines spanischen  Gefängnisses, das pentagonale Castle of Good Hope, Gefängniswärter im Geschehen der Oper, Gewalt und Unterdrückung gegenüber der Bevölkerung am Cap um 1670, das Aufbegehren von Florestan und  Leonore gegen Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit, Nelson Mandelas gewaltloser Kampf gegen die Rassendiskriminierung, Robben Island, die Gefängnisinsel in Sichtweite des Castle - beängstigende Parallelen, die bereits im Jahr 2004 zu einer Aufführung von Beethovens Fidelio auf Robben Island führten. Eine Kulisse, die durch kein Bühnenbild zu übertreffen ist.  Am 7.3.2012 findet eine neue Premiere in den um 1666 errichteten Gemäuern des Castle of Good Hope  im Zentrum der südafrikanischen Kulturmetropole Cape Town statt.

Die Bühne beherrscht ein dunkles, schweres Gerüst, ein wuchtiger Holzturm, an einen Wachtturm,  eine Kampfmaschine, einen Galgen erinnernd. Der natürliche Mond hängt fahles Licht über die Szene. Am  Fuße lagern stumme schwarze Gestalten, die tragen weiße Gesichter,  ihre eigenen Gesichter haben sie verloren; weiße Gesichter, sie sind auch ein Zeichen der afrikanischen Nation der Xhosa, die ursprünglich das Land am Western Cape bewohnte.

Michael  Mitchell, verantwortlich für Bühnenbild und Kostüme, kann sich bescheiden: Im  Schatten des Turmes vegetieren Gefangenen dahin, werden gefoltert und ermordet. Im Hintergrund läuft symbolträchtig ein riesiges Mühlrad, die Mühsal nimmt kein Ende. Die eingekerkerten  Männer in zerschlissenen, grauen Kleiderfetzen, die Frauen – Geste der verbliebenen Menschlichkeit - mit helleren Gewändern ausgestattet, agieren auf der Bühne, der dahinter liegenden Kaserne mit Treppen und Fenstern, auf den Dächern des Castle Wachen und Wärterkommandos. Unter dem Vollmond liegt eine gespenstische Szene voller Gefahr und Bedrohung, die Kobus Rossouw  sparsam mit wenigen Spots ausleuchtet und dabei die Architektur des Castle geschickt nutzt. Die Hauptrollen und die Soldaten hat Mitchell mit historischen Gewändern ausgestattet.

Art Director Chrstistine Crouse betont in ihrer Inszenierung die Parallelen zwischen Beethovens “Freiheitsoper” und Südafrikas Geschichte. Sie sieht eine starke Beziehung zwischen “South Africa’s own political history and … Beethovens opera of dark versus light and freedom versus imprisonment”. Konsequent entscheiden sie und der musikalische Leiter Phillip Pointner, der normalerweise in Wien und Nürnberg wirkt, sich für eine Aufführung in deutscher Sprache, was überraschend gut gelingt.

Pointner steht das erfahrene Cape Philharmonic Orchestra zur Verfügung, das er von zahlreichen früheren Gastdirigaten gut kennt. Er freut sich darüber, mit den fast ausschließlich farbigen Sängern exzellente Stimmen als Partner zu haben, die neben solider Gesangsqualität viel Musikalität und Emotionalität in die Aufführung bringen. Auch aus der ungewohnten Position seitlich der Bühne hat Piontner keine Mühe, Chor und Solisten über Monitore sicher und ausdrucksstark in die Musik einzubinden. Hauptdarstellerin Nkosazana Dimande, Sopran, als Leonore, begeistert mit einer  kräftigen Stimme, deren Ausdruck sich im Laufe der Vorstellung noch steigert.  John Treveaven als Florestan gibt einen klassischen Tenor, dem jedoch neben den Stimmen der schwarzen Sänger die überzeugende emotionale Wärme fehlt. Einen besonderen Akzent setzt die Sopranistin Siphamandla Yakupa in der Rolle der Marzelline mit ihrem jungen, wunderbar klaren und freundlichen Sopran, mit dem sie  in Wettstreit zu Leonore tritt, zwei wundervolle Stimmen. Monde Masimini berührt mit einem warmen, ausdrucksstarken Bass in der Rolle des Rocco. In weiteren Rollen ergänzen Mandisinde Mbuyazwe als Don Pizarro, Lukhanyo Moyake, Tenor,  als Jaquino und Owen Metsileng, Bariton,  als Don Fernando das Solistenensemble mit reifen,  sicheren Stimmen.

Bis auf Florestan  sind alle Rollen mit schwarzen Sängern besetzt, auch der Chor besteht  weitgehend aus schwarzen Mitgliedern, die mit herrlichem Stimmvolumen beeindrucken. Mit ihrem körperbetonten Gesang geben sie dem Gefangenenchor einen besonderen emotionalen Ausdruck. Albert Horne hat den Theaterchor und den hinzugenommenen Chor Men of  Praise hervorragend eingestellt und auch für den deutschen Text eine gute Verständlichkeit erzielt. Leider verweht ein starker Seewind einen Teil der Orchestermusik, wobei  vor allem Passagen im Piano verloren gehen.

Die Zuschauer erleben einen Fidelio, den Pointner nach eigenen Worten eng an Beethovens Partitur anlehnt, für den Crouse sich durch einen Besuch der Slave Lodge, einem Museum zur Dokumentation der Sklaverei im Zentrum Capetowns, inspirieren lässt, und dem Sänger, Chöre und Orchester darstellerisch und musikalisch kraftvollen und bewegenden Ausdruck verleihen. Einerseits ist das ein vertrauter Fidelio und doch ein schwarzafrikanischer, in dem körperlicher Ausdruck und Emotionen selbstverständlicher sind als in Europa, in dem vor allem die emotionale Tiefe der Musik bewegt.

Es ist wohl der Open-Air-Situation  geschuldet, dass das Publikum weniger konzentriert ist und auch der Schlussapplaus ein wenig “verweht”. Schade. Das vorwiegend grau-weiße Publikum schwelgt wohl in europäisch-deutschen Erinnerungen und ist auch bei der anschließenden after-the-show-reception weitgehend unter sich - ein merkwürdiger Gegensatz zur Aufführung und ihrer Intention.

So bleibt nach diesem beeindruckenden Opernabend ein doppeltes, ein zwiespältiges Gefühl zurück: Eine wuchtige, musikalisch gelungene und von der Chorleistung besonders beeindruckende musikalische Deutung von Problemen, die alle Menschen, schwarze wie weiße betreffen und erschüttern - aber auch die Frage, sind die bewegende Musik Beethovens und die Form einer Oper die adäquaten Ausdrucksmittel der Menschen, die dieser Oper  hier in Südafrika begegnen?

Cape Town Opera hat für den Sommer  eine Mandela-Trilogie als Musical angekündigt, ein großes Experiment.  Vielleicht findet sich darin eine Antwort…

Horst Dichanz, z.Zt. Capetown

Fotos: Wayne Keet