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Fakten zur Aufführung 

NORMA
(Vincenzo Bellini)
9. Dezember 2011
(Premiere am 29. Juni 2002)

Staatsoper Stuttgart


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Norma im Betonbunker

Vincenzo Bellini hat seine lyrische Tragödie Norma nach der Vorlage eines Dramas von Louis Alexandre Soumet geschrieben. In einem Brief an seinen Freund Pepoli schreibt er: „Die Oper muss die Menschen zum Weinen bringen, sie vor Entsetzen schaudern lassen, sie sterben lassen durch Gesang.“ Diesen Anspruch an die Wirkung seiner Musik löst er in Norma ein - die Stuttgarter spenden Szenenapplaus nach der berühmten Arie „Casta diva“, und ein nicht enden wollender Schlussapplaus lässt die Protagonisten und das Orchester der Württembergischen Staatsoper fast gar nicht mehr gehen. Welch eine Begeisterung für das Stuttgarter Publikum.

Die Woge der Hochstimmung steckt auch den Regisseur und Intendanten Jossi Wieler an, nach der Vorstellung strahlt er vor Glückseligkeit beim Gespräch mit seinen Künstlern und dem Publikum. Schon 2002 ist diese Inszenierung zur Premiere gekommen, und nun, bei der Wiederaufnahme mit derselben Besetzung der Titelrolle, ist sie kein Fünkchen verstaubt und wirkt so neu, als wäre sie nicht schon neun Jahre alt.

Die sperrige Handlung, in der der Befreiungskampf der Gallier gegen die römischen Besetzer als Hintergrund für die für Norma tragisch endende Liebe zum feindlichen Feldherrn Pollione dient, holt Wieler für seine Fassung ins Heute. Es stellt sich die Frage, welches Volk, welche Besatzung, welcher Widerstand, Norma als Priesterin welcher Glaubensvereinigung gemeint sein könnte. Die Kulisse, das martialische Gebäude, in dem sich das bedrohte Volk zusammenfindet,  damit könnte Frankreich zur Zeit der deutschen Besatzung gemeint sein. Wie auch immer, der tragische Konflikt, in dem sich Norma durch die Brechung ihres Keuschheitsgelübdes befindet, die Liebe zu einem Mann aus dem feindlichen Lager, mit dem sie zwei Kinder hat und der sie nun nicht mehr liebt und sein Herz einer anderen geschenkt hat, all diese Zerreißproben werden durch Catherine Naglestads intensives Spiel in der Titelrolle deutlich vor Augen geführt; das Ringen mit sich selbst, als sie glaubt, die eigenen Kinder töten zu müssen, und schließlich, als sie einsieht, Polliones Liebe nicht wieder gewinnen zu können, der Entschluss, sich selbst zu opfern. Das alles ist so intensiv und fesselnd gespielt und gesungen, dass die Anspannung im Zuschauerraum zu spüren ist.

So ungewöhnlich wie wohl bei der Premiere schon wirkt der strenge Bühnenraum von Anna Viebrock, die ja für ihre oft befremdlichen Ambientes berüchtigt ist, auch heute. Eine Mischung aus düsterem klösterlichen Sakralraum und strengem, an einen Betonbunker erinnernden Mauerwerk, das schräg die Bühne durchschneidet, ist die Szenerie, in der das Liebesdrama sich abspielt.

Die aus den Vereinigten Staaten stammende Sopranistin Catherine Naglestad ist eine weltweit gefragte Sängerin. Hier in Stuttgart wird sie empfangen, als kehre eine lange vermisste Angehörige nach Hause zurück. In ihrem schwarzen Kostüm weckt sie gar Assoziationen an die Callas, zu deren Glanzrollen die Partie der Norma gehörte. Seit 2006 hat Naglestad diese Partie hier nicht mehr gesungen, und viele der Zuhörer sind offenbar nur ihretwegen ins nahezu ausverkaufte Haus gepilgert. Ihr stimmliches Vermögen scheint über ein schier unerschöpfliches Repertoire von Formen und Farben zu verfügen. Auch ihre schauspielerischen Ausdrucksmöglichkeiten sind beeindruckend, noch in der kleinsten Geste übermittelt sich die Intensität dieser Sängerin. Wenige Chancen gibt es da scheinbar für ihre Mitspieler, nicht von diesem Glanz überstrahlt zu werden. Doch ihre Freundin und Gegenspielerin Adalgisa, gesungen von der Mezzosopranistin Marina Prudenskaja aus St. Petersburg, ist ihr ohne Weiteres ebenbürtig, wäre da nicht die etwas denunzierende Kostümierung, die sich Anna Viebrock für sie hat einfallen lassen – eine schlecht sitzende Perücke wie für ein blondes Dummchen und nichtssagende Alltagskleider, die an ihr hängen, als sei sie ein Kleiderständer, plumpe Halbschuhe, nichts Weibliches, kein Funken Erotik. Die sängerische Leistung lässt das zwar vergessen, die Idee dahinter bleibt jedoch unklar. Genauso verhält es sich mit Normas Vertrauter Clotilde, gesungen von Maria Tukarska, die in das Kostüm einer Schuhverkäuferin aus alten amerikanischen Filmen gesteckt wurde. Bei aller Liebe zur Kunst der Kostüm- und Bühnenbildnerin ist diese Wahl wenig nachvollziehbar. Die männlichen Protagonisten tragen schlichte Anzüge. Stimmlich ebenfalls sehr überzeugend der Bass Attila Jun als Oroveso, Normas Vater und Oberhaupt der Druiden, sowie der mexikanische Tenor Raffael Rojas in der Rolle des Pollione.

Bellinis Belcanto-Oper in der Bearbeitung von Regisseur Jossi Wieler und seinem Dramaturgen Sergio Morabito ist schon bei der Premiere 2002 wegen ihrer präzisen Personenführung hoch gelobt worden. Alle großen Partien sind heute neu besetzt, bis auf Catherine Naglestad, die schon damals die Titelpartie sang.

Ivan Anguelov führt das Staatsorchester zurückhaltend, dem Gesang den Vorrang lassend. Und auch der Chor, das Volk der Gallier, bleibt trotz seiner Präsenz angenehm im Hintergrund. Wirklich erstaunlich, wie kraftvoll diese Inszenierung auch neun Jahre nach ihrer Premiere ist.

Christina Haberlik

 



Fotos: A. T. Schaefer