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Fakten zur Aufführung 

DIE NACHTWANDLERIN
(Vincenzo Bellini)
22. Januar 2012
(Premiere)

Staatsoper Stuttgart


Points of Honor                      

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Hintergründiges Drama

Klar, Mikrofone und Kameras sind auf die Szene gerichtet, denn die Produktion von Vincenzo Bellinis Oper Die Nachtwandlerin ist quasi ein Staatsakt an der Staatoper Stuttgart. Der neue Opernintendant Jossi Wieler legt gemeinsam mit Sergio Morabito seine Version vom zweiaktigen Melodram La Sonnambula (Die Nachtwandlerin) von Vincenzo Bellini vor, und gewinnt dabei in der Ausstattung von Anna Viebrock eine raffinierte Mischung aus Drama und bitterer Ironie. Denn die Figuren um das Ziehkind Amina erfahren fragiles Leben, weil sie alle ihre Existenz auf trügerischem Grund durchlaufen.

Wieler und Morabito gehen zurück auf die Ursprungsabsicht von Librettist Felice Romani, der dem Grafen Rodolfo schärfere Kontur beigeben wollte. Dadurch gerinnt das Melodram zu einem Psychodrama voll hintergründiger Substanz. Denn eine immanente Vorgeschichte gilt es einzubauen, die vorantreibt und alle  Figuren gefangen hält. Plötzlich wird imaginiert, dass Rodolfo – wahrscheinlich – der Erzeuger von Amina ist, und das blutbefleckte Gewand von Amina im Schlussbild legt die Vermutung nahe, dass sie eben doch im nachtwandlerisch besetzten Bett von Rodolfo missbraucht worden ist. Entsprechend gebrochen steht dieser abseits, und Amina kann sich der wieder gewonnenen Liebe des Gutsbesitzers Elvino nicht erfreuen. Diese Verbindung steht unter einem ungünstigen Stern.

Auch deshalb, weil die Inszenierung unreife Menschen aufeinander zugehen lässt. Für diese Sicht der Dinge werden hervorragende Sänger-Darsteller eingesetzt.  Ana Durlovski zieht als Findelkind Amina, das von einer Ziehmutter mühsam hergerichtet wird für den Ehebund, alle Register eines schüchternen, naiven, völlig vom Leben überrumpelten Mädchens. Perfekt passt für diese Figurenzeichnung ihre Stimme, die wegrückt von dramatischer Schärfung, sondern feine Farben und herrlich ausgezierte Koloraturen in ein Korsett aus Ängstlichkeit und Zuneigung, Hoffen und Bangen, Verwirrung und mühsamer Selbstfindung einsetzt. Auch ihr Partner Elvino, der Liebe schwört und bei der geringsten Belastung auf die mannstolle Wirtsfrau Lisa umschwenkt, wird von Luciano Botelho mit weichem Belcanto-Timbre ohne heldische Attitüde als unsicherer Kandidat gezeichnet. Und Rodolfo ist ein zwiespältiger Typ. Seine Rückkehr aus der Fremde in eine aus der Vergangenheit belastete Gegenwart wird hier zum persönlichen Scheitern, wofür Liang Li einen festen, großen Bass einsetzt. Nicht ganz so stark tritt Catriona Smith als Lisa in Erscheinung, weil sie ihren Sopran in den Höhen mit starkem Vibrato leicht übersteuert. Alessio, der Lisa nachstellt, erhält von Motti Kastón duldsame Bass-Züge. Ein Genuss nach wie vor der Mezzo von Helene Schneiderman als Ziehmutter Teresa, die bekümmert hin und her eilt, um zu retten, was kaum zu retten scheint.

Eine Inszenierung, die in sich hervorragend stimmig ist und – wie im wahren Leben – die Szene mit Situationskomik anreichert. Im Bild von Anna Viebrock wird existenzielle Brüchigkeit vorgeführt. Biertischgarnituren stellen einen halb morbiden Wirthauskeller zu, alte Schränke dienen auch als Versteck, wenn etwa Amina oder Rodolfo die Augen vor der Wirklichkeit verschließen wollen. Großartig trumpft der Chor auf, für den es in dieser Oper sehr viel zu tun gibt; er ist von Michael Alber bestens vorbereitet. Das Staatsorchester Stuttgart bereitet den Sängern unter Leitung von Gabriele Ferro, früherer GMD in Stuttgart, ein prächtiges Klangbett, in dem sie wohlbehütet ihrer Lust am Gesang frönen dürfen. Das Dirigat steuert sehr genau nicht nur die Phrasen, sondern auch die farbige Instrumentierung aus und hinterlässt einen außerordentlich kompetenten Eindruck.

Das Premierenpublikum, sonst eher in schwäbischer Selbstzufriedenheit gefangen, geht aus sich heraus und feiert alle, doch ganz besonders die Titelfigur, der Ana Durlovski so facettenreiche Züge mitgibt.

Eine Aufzeichnung der Premiere ist am 28. Januar 2012 ab 19.05 Uhr im Deutschlandradio Kultur zu hören.

Eckhard Britsch



Fotos: A. T. Schaefer