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Fakten zur Aufführung 

DIE GLÜCKLICHE HAND/SCHICKSAL
(Arnold Schönberg / Leoš Janáček)
11. März 2012
(Premiere)

Oper Stuttgart


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Vor der Premiere

Jossi Wieler bildet mit Sergio Morabito ein äußerst erfolgreiches Regie-Gespann. Wieler erzählt von den Hintergründen zur Vorbereitung dieser Doppeloper (6'30).


 

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Menschen am Abgrund

So soll das bloß fürs Auge klingen“, philosophiert Arnold Schönberg über seine Kurzoper Die glückliche Hand, die kurz vor dem ersten Weltkrieg entsteht. Schönberg nimmt das Zerbrechen von Gewissheit vorweg, er thematisiert das Scheitern. Das Drama mit Musik erzählt von einem Mann, der den Lockungen seiner Sinne trotz der Mahnungen von sechs Männern und sechs Frauen weiter erliegen will. Doch die Frau seiner Sehnsucht wendet sich einem anderen zu, und im Schlussbild versucht er – wie Sisyphos – einen Berg zu erklimmen, der ihn abstürzen lässt. In diesem Fall eine extrem überdimensionale Gummipuppe, in deren Weiten er sich verlieren und damit scheitern muss. Die 12 Begleitfiguren – in asiatische Kimonos gewandet – klagen ihn an. Klar, diese seltsamen Schamanen wussten es schon vorab. 

Ein genialisches Stück, dessen exzessive, in knapper Diktion gehaltene, grelle Musik von Sylvain Cambreling am Pult superb ausgedeutet wird. Und dessen Protagonist mit dem japanischen Bariton Shigeo Ishino brillant besetzt ist. Die Regie lässt ihn ein wenig in der Manier von Buster Keaton agieren, jenem Stummfilmstar, dem das Scheitern bildlich inskribiert bleibt. Shigeo Ishino wird am Ende der Saison auch als Don Giovanni zu erleben sein, das Publikum darf sich darauf freuen.

Der gut 20-minütige „Prolog“ eines glanzvollen, wertigen Premierenabends mündete in die etwa 80-minütige Oper Schicksal von Leoš Janáček, die ebenfalls vom Scheitern eines Mannes erzählt, hier vom Komponisten Živný. Wir sehen die Szenerie eines Kurbads, die Welt ist morsch und hält sich an Konventionen fest. Der Komponist trifft seine frühere Geliebte Míla, die heimlich ein Kind der Liebe zur Welt gebracht hat; Mílas Mutter hat die Hochzeit verhindert, ein Komponist kann keine bürgerliche Existenz garantieren. Erinnerungen werden wach, Verklärung keimt, die beiden heiraten. Mílas Mutter – welch ein Graus – stört die Gemeinsamkeit, verfällt dem Wahn, stürzt sich in die Tiefe und reißt Mila mit sich in den Tod. Wieder Jahre später soll im Konservatorium die unvollendete Oper des Komponisten aufgeführt werden. Alle gieren nach dem Schlussakt, aber Živný dekretiert „Der ist in Gottes Hand“ und bricht zusammen. Das ist die Metapher für eine Weltordnung, die im ersten Weltkrieg ihre Maßstäbe verliert, Metapher auch fürs zwiespältige Seelenleben von Leoš Janáček.

Die Umsetzung in Stuttgart ist grandios, denn Jossi Wieler und Sergio Morabito gelingt eine ebenso subtile wie in der Emotionalität geradezu brutale Figurenzeichnung. Es sind gebrochene Menschen, die aus dem Korsett ihrer Egomanie nicht ausbrechen können und deshalb sich willenlos-willentlich ihrem Schicksal ergeben. Große Bühnenpsychologie, die einen packt, verstört, mitnimmt!

Die Bühnengestaltung von Bert Neumann und die Kostüme der Nina von Mechow  harmonieren kongenial, der Chor in der Einstudierung von Winfried Maczewski und Michael Alber trumpft in der vielfältigen Aufgabenstellung groß auf, und das Staatsorchester Stuttgart glänzt. Denn Sylvain Cambreling zaubert ein ungeheuer plastisches Espressivo, in dem eine Scheinwelt zertrümmert wird. In der Hauptfigur glänzt John Graham-Hall, dessen Tenor nicht nur begeistert, sondern auch dem tschechischen Idiom gewachsen ist; zudem verdeutlicht er im Komponisten einen Menschen, dessen Unentschlossenheit mit zur Katastrophe beiträgt. Als Míla verdeutlicht Rebecca von Lipinski mit farbenreichem Sopran die innere Zerrissenheit dieser Figur, und Rosalind Plowright führt ihren Mezzo hochdramatisch durch die wahnhafte Zerrüttung der Mutter. Hinzu kommen reichlich mittlere, kleinere und ganz kleine Rollen, mit denen Leoš Janáček das Thema Schicksal begleitet.

Das Premierenpublikum schenkt dem großen Opernabend angemessene Begeisterung.

Eckhard Britsch

Fotos: A. T. Schaefer