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Fakten zur Aufführung 

DON GIOVANNI
(Wolfgang Amadeus Mozart)
25. Juli 2012
(Premiere)

Oper Stuttgart


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Mit Mozart im Park

Mehr Multimedia geht nicht – zumindest zur Zeit nicht! Das Staatstheater Stuttgart spricht selbst von einer multimedialen Inszenierung: Premiere des Don Giovanni im Staatstheater als Schluss dieser und Eröffnung der nächsten Spielzeit, zeitgleiche Sendung auf SWR 3 und 3sat, Moderation der Sendung durch Harald Schmidt – gleichzeitig Public Viewing im Schlosspark – es wird ein Stuttgarter Sommererlebnis der besonderen Art! Während die Premierengäste sich auf den Stufen der Oper mit Sekt kühlen, begegnen im Park gut tausend Besucher, jung und alt fröhlich gemischt, den vielen bekannten „Songs“ von Mozart in der entspannten Atmosphäre eines gemütlichen Sommerabends, unterhalten sich mit Freundin und Freund, spielen Schach nebenbei oder lesen die Börsenkurse und denken kaum über Don Giovannis Treiben nach: „Ich wittre süßen Weiberduft.“ Oper einmal anders – dieser Don Giovanni hat das Potenzial.

Drinnen im ausverkauften Haus hat sich, zumindest zu Anfang, ein wenig die abendliche Schwüle auf die Aufführung gelegt, es dauert eine Weile, ehe sich die Sänger „frei“ gesungen haben. Andrea Moses hat in der Übernahme einer Inszenierung des Theaters Bremen den Don Giovanni ohne historische Reminiszenzen zeitnah platziert. So tritt Don Giovanni als sommerlich gekleideter Lebemann mit seinem Markenzeichen, einem weißen Krempenhut auf. Shigeo Ishinos Don Giovanni ist eine stimmlich überzeugende, dramatisch angelegte Figur, die mit großem Spielgestus die Verführerrolle präsentiert, dem aber die feinen, eher subtilen Untertöne des Verführungskünstlers fehlen. Dennoch scheinen die drei Damen, alle nobel und mondän ausgestattet, seinen Künsten zu erliegen.

An Donna Annas etwas harten Sopran von Simone Schneider muss man sich erst gewöhnen, Rebecca von Lipinskis Donna Elviras Intonation ist da gefälliger, wenngleich beide sichere Stützen der Aufführung sind. Der Auftritt der quirligen Zerlina, die Pumeza Matshikiza mit viel südafrikanischem Temperament spielt, wirkt erfrischend. Auch stimmlich gibt sie der Zerlina mit hellem, fröhlichen Sopran eine besondere Note und trägt wesentlich zur Belebung der Inszenierung bei. Stimmlich gilt das auch für Don Ottavio, den Atalia Ayan mit warmem, genau und bewegend phrasierenden Tenor singt, eine heller Kontrast zu den anderen bassnahen männlichen Partien. Allerdings sind seine darstellerischen Möglichkeiten deutlich begrenzt und stehen in auffälligem Kontrast zu seinen stimmlichen Fähigkeiten. Die Platzierung und Führung der übrigen Figuren, vor allem im ersten Akt, gerät häufig etwas steif.

Leporello, im Da Ponteschen Libretto als windig-zwielichtiger Diener konzipiert, erhält bei Moses ein unscharfes Profil, das zwischen Rüpel, Gernegroß und treuem Diener changiert. Es ist kaum auszumachen, ob Leporello Clown oder Narr sein will, wenngleich seine stimmlichen Fähigkeiten überzeugen. Das gilt auch für die Baritonpartie des Masetto, den Ronan Collett überzeugend singt.

Die Ankerfigur des Komtur und steinernen Gastes verliert durch ihre Anlage als Kavalier deutlich an dramaturgischem Gewicht, das Matthias Hölle allerdings ohne Mühe stimmlich auffangen kann. Sein im doppelten Sinne „finales“ Herumhantieren mit einer Pistole wirkt aber unmotiviert und ungeschickt.

Antony Hermes hat mit dem Staatsorchester Stuttgart ein versiertes und spielfreudiges Orchester zur Hand, das er mit sicherer Hand und angenehmer Zurückhaltung gegenüber den Arien führt, wenngleich kraftvolle Akzente nicht fehlen. Besonders einfühlsam gelingen die Duette, Terzette und Quartette der Hauptfiguren.

Christian Wehles Bühnenausstattung versetzt die Protagonisten mit einem drehbaren Zentralelement an die Bar oder in die Fluchten eines Hotels oder – aus anderer Perspektive vielleicht – in die Treppengänge eines Kreuzfahrtschiffes. In zeitnahen Kostümen treten Don Giovanni und seine Damen vorwiegend elegant auf, Chorherren und -damen nach Bedarf mal als drohend schwarzer Schlägertrupp oder als bunte Abendgesellschaft.

Das Publikum dieser Aufführung, das höchstens in der Pause einen Blick auf den Großbildschirm im Schlosspark mit Interviewausschnitten werfen kann, ist mit der Inszenierung hoch zufrieden und spendet minutenlang begeisterten Beifall.

Die Stuttgarter Don-Giovanni-Aufführung hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: Orchester, Sänger und Chor präsentieren einen stilgenauen, fröhlichen und klangvollen Mozartabend, in dem die klassischen Arien und Passagen authentisch präsentiert werden. Das in dieser Oper angelegte Verwirrspiel ist folgerichtig und beabsichtigt. Die vom Theater angekündigte heiter-ironische Note gelingt nur selten.

Ein Multi-Media-Ereignis? Kein Zweifel. Ein gelungenes Experiment ebenfalls, das den Stuttgartern einen traumhaften Sommerabend beschert, dem Staatstheater ein volles Haus und einen vollen Schlosspark - sicher auch mit neuem Publikum. Wie groß die Fernseh-Gemeinde war, lässt sich nur vermuten. Und ob dieses Multi-Media-Ereignis eine neue Form der Präsentation von Opern oder Musiktheater sein kann, lässt sich noch nicht entscheiden. Bei Stuttgarter Schnürgelregen oder sommerlichen „Normal“-Temperaturen dürfte das Fazit schon anders aussehen. Neben den inzwischen weltweit zugänglichen Aufführungen der Metropolitan Opera New York im Kino zeigt ein solches Experiment eine weitere Möglichkeit, das klassische Theater nach außen zu öffnen. Ob dann solche Verbreitungsformen Auswirkungen auf die Inszenierungen, gar auf neue Opernproduktionen oder Kompositionen haben, wird interessant sein zu beobachten. Immerhin – ein Fenster wurde in Stuttgart geöffnet.

Horst Dichanz

Fotos: A. T. Schäfer