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Fakten zur Aufführung 

DIALOGUES DES CARMÈLITES
(Francis Poulenc)
10. April 2011 (Premiere)

Staatsoper Stuttgart


Points of Honor                      

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Köpfe rollen trotz der Ideale

Große französische Oper. Da denkt der Kunde unmittelbar an Meyerbeer, an Gounod, an Massenet. Aber auch das 20. Jahrhundert hat in Frankreich große Oper hervorgebracht. Francis Poulenc heißt der geniale Mann, dem die Welt die Dialoge der Karmeliterinnen verdankt, ein wunderbares, dichtes und zutiefst verstörendes Werk, das auf hiesigen Bühnen viel zu selten zu entdecken ist. In Dortmund hat es John Dew 1994 vorgestellt, Hamburg, Berlin und Münster zeigen es gerade. Soeben präsentiert die Staatsoper Stuttgart das Werk, das eine (wahre) Geschichte aus der französischen Revolution erzählt.

Adel und Klerus sind geächtet, denn die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit haben die feudale Gesellschaft überrannt und ausgehebelt. Und das war gut so, wenn nicht eine Menschen verachtende Ideologie von angeblichen Staatsfeinden jene zerstörerische Kraft entwickelt hätte, die alle Glück verheißende Ideen auf den Kopf stellt. Die Geschichte ist voll von solchen Verwirrungen und Verirrungen, aber die französische Revolution kristallisiert die Kontraste und Komplementärfarben deshalb so brutal heraus, weil mit ihr Hoffnungen quer durch Europa verbunden waren. Was übrigens auch Napoleons Erfolg und Idealisierung erklärt, ehe er sich als Tyrann mit Weltmachtswahn entpuppte.

Langer Rede kurzer Sinn: Francis Poulenc hat mit Dialogues des Carmélites eine tief berührende Oper geschrieben, weil er ein Szenario der Angst auf wenige Figuren fokussiert. Die adelige Blanche flüchtet, von Ängsten traumatisiert, in die gläubig-vermutete Sicherheit des Klosters. Doch auch dort wird die Unruhe immer stärker spürbar. Sie kommt von außen, was Regisseur Thomas Bischoff schon dadurch zeigt, dass zuerst scheinbar gleichgültige Jakobiner im Hintergrund immer Grenzen abstecken. Dadurch wird auch die offene Bühne von Michele Canzoneri gewissermaßen psychisch eingeengt. Es entsteht ein ergreifendes Tableau von hohem künstlerisch-ästhetischem Anspruch, das die inneren Konflikte der Figuren offen legt.

Denn im Kloster herrscht der Widerstreit, der Dialog also, ob sich die Schwestern dem Martyrium anheim geben werden, oder ob sie Rettung durch innere Emigration und äußere Anpassung an die neuen, „bürgerlichen“ Zeitumstände suchen werden. Der Beichtvater geht diesen Weg und wird geköpft, auch die Karmeliterinnen erleiden dieses Schicksal.

Mit einem Kunstgriff verdeutlicht das Inszenierungsteam das dramatische Geschehen. Eine adrett uniformierte Sensenfrau – so bildhaft schön kann Revolution sein mit der Heil versprechenden Rosette am Hut – ist die Todesbotin. Genialisch böse choreographiert, vielleicht dem Todesengel der Revolution Saint-Just nachempfunden. Wehe, wenn sie losgelassen, auch im guten Namen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Das ist die Botschaft dieser Oper.

Dass sie an der Staatsoper Stuttgart grandios auf die Bühne kommt, verdankt sie natürlich dem Inszenierungsteam und gleichwertig der musikalischen Umsetzung des Staatsorchesters Stuttgart unter dem scheidenden GMD Manfred Honeck. Er bringt spätimpressionistische Farben, plakative Leitmotive und die bei Poulenc so gerne drängende Metrik zu perfekter Emphase, die zwischen zarter Innerlichkeit und brutaler Bosheit changiert. Aus dem großen Solisten-Team sei niemand hervorgehoben, aber Jutta Böhnert als Blanche stellvertretend für alle genannt.

Ein großer Abend, der Stuttgart im ach so beliebten „Ranking“ wieder weit nach vorne bringen dürfte.

Eckhard Britsch

 







Fotos: © Martin Sigmund