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Fakten zur Aufführung 

TELEMACO
(Christoph Willibald Gluck)
22. Mai 2011
(Premiere: 20. Mai 2011)

Schwetzinger Festspiele


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Eingesperrt im Dschungelcamp

Es gibt Opernaufführungen, da läuft die Regie neben der Musik her und umgekehrt, und der Kunde muss sich entscheiden, was ihm nun besser gefällt. Die Oper Telemaco von Christoph Willibald Gluck aus dem Jahre 1765 ist in der Umsetzung bei den Schwetzinger Festspielen so ein Fall. Der junge Regisseur Tobias Kratzer, der schon in Heidelberg eine Zauberflöte ohne Flöte, dafür mit einer illusionistisch zersägten Jungfrau Pamina auf die Bühne gebracht hat, zerlegt Homers Stoff um Odysseus, Penelope und Sohnemann Telemach sehr eigenwillig.

Das aber gut. Im raffinierten Bühnenbild von Rainer Sellmaier verschränken sich die Spielebenen auf fast dramatische Weise. Penelope wartet auf ihren Göttergatten, halbseidene Freier plustern sich vor ihr auf; um sie herum wird stumm gestrickt, und es „riecht“ in der braven Wohnstube gewaltig nach Blut- und Boden-Atmosphäre. Der Bub spielt mit dem Aeroplan, der geht kaputt, und plötzlich öffnet sich die Szene konträr: Gefangen sind die Protagonisten im Dschungelcamp, wo die zur erotisch-attraktiven Zauberin Circe mutierte Penelope die Opfer ihrer Begierde zwar nicht zu Schweinen verwandelt hat, doch die einsame Insel ist für die Gestrandeten Gefängnis. Es geht ums nackte Dasein am Gängelband jener Circe.

Das ist sehr gut gemacht, effektvoll und mit großer Wirkung, auch nimmt man der Inszenierung keinesfalls den Zeitsprung übel oder die Umbiegung der Figuren von Glucks eher idealistisch braver Barock-Sicht hin zu egozentrischen Überlebenskämpfern. Die Fragezeichen gelten der parallel laufenden Musik, die zwar von der jungen estnischen Dirigentin Anu Tali gemeinsam mit dem eher auf Geste denn auf Feinzeichnung bedachten Freiburger Barockorchester affektiv und aufgeraut ausformuliert wird, aber mit dem Stück nun rein gar nichts zu tun hat. So wirkt plötzlich ermüdend, was die Szene befeuern könnte, und uniform, was aus Feinzeichnung heraus Durchblick für die Figuren gewähren sollte.

In Agneta Eichenholz findet Circe/Penelope eine ausgezeichnete Sänger-Darstellerin; ihre wunderschöne Stimme scheut bei Bedarf auch nicht dramatische Kanten; die Schwedin darf als Idealbesetzung für diese Inszenierung gelten. Counter David DQ Lee lässt als Telemaco seine Phrasen gelegentlich flackern, was wiederum der Psychologisierung dieser von den Eltern vereinnahmten Figur gut ansteht. Tenor Tomasz Zagórski profiliert den Ulisse als harten Machtmenschen; Maya Boog zeigt Wandelbarkeit vom koketten Dienstmädchen hin zur traumatisierten Asteria, die erst über ein wundersames Zeichen in den Kreis der Herrschenden aufrückt. Hoffentlich wird sie mit Telemaco glücklich. Solenn’ Lavanant-Linke singt und spielt die Merione in burschikoser Hosenrolle; mit Lasso und Machete bewaffnet, will sie den Befreiungsschlag von jener Insel, auf die es die Mannschaft wahrscheinlich per Flugzeugnotlandung verschlagen hat.
Das hätte sich der gute, alte Gluck nicht träumen lassen.

Eckhard Britsch