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Fakten zur Aufführung 

DIE CSÀRDÀSFÜRSTIN
(Emmerich Kálmán)
18. Januar 2013
(Premiere)

Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin


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Alles nur Schein

Wenn ein Regisseur sich heute entscheidet, eine Operette zu inszenieren, dann bleiben ihm nur zwei Möglichkeiten des Handelns, um nachhaltigen Erfolg zu haben. Er wählt den klassischen Weg und versetzt das Publikum in Operettenseligkeit durch opulente Kostüme, reiche Ausstattung, schwülstige Libretti, champagnerselige Melodien und Pointen, die zum Schenkelklopfen einladen. Oder er fährt einen radikalen Ansatz, befreit das Werk von allem Kitsch und Dünkel, überarbeitet die Sprache und transponiert das Werk zu einer aktuellen oder zeitlosen Aussage. Nicht alle Operetten eignen sich für diesen Schnitt, die Csárdásfürstin zweifelsohne. Entstanden am Vorabend des Ersten Weltkrieges, steht es auch musikalisch als Sinnbild für das „Fin de Siècle“, dem Tanz auf dem Vulkan, dem finalen Zusammenbruch.

Und genau diese Stimmung, diese Atmosphäre fängt Regisseur Hendrik Müller ein, indem er das „Fin de Siècle“ in die heutige Zeit verlegt. Es dominiert eine oberflächliche, auf materielle Vorteile bedachte Gesellschaft, in der tiefergehende Gefühle nichts mehr bedeuten. Es zählt nur der schnelle Erfolg: „the winner takes it all“. Die Welt steht am Rande des wirtschaftlichen Kollapses, immer neue Kriegsschauplätze bestimmen das aktuelle Tagesgeschehen. Die Sylva von heute ist eine erfolgreiche, nicht mehr ganz junge Schlagersängerin. Sie ist ein umjubelter Star, dem die Frauen nacheifern und die Männer zu Füßen liegen. Boni ist kein Graf, sondern ein erfolgreicher Manager, der mit allen Tricks versucht, Sylvas Erfolg zu konservieren. Seine Marketing-Strategien sind brutal, es zählt nur der Erfolg, Privates hat da nichts zu suchen.

Edwin ist ein Schwächling, entstammt dem modernen Geldadel. Als Sohn eines reichen Bankers soll er standesgemäß heiraten, damit das Geld in der Familie bleibt und sich vermehrt. Seine wahren Gefühle gegenüber Sylva kann er nicht wirklich artikulieren. Edwins Familie wahrt jedoch den Schein, arrangiert pompös auf einem glitzernden Maskenball die Verlobung mit einer standesgemäßen Braut. Aus Comtesse Stasi von Eggenberg wird hier die schwangere und etwas durchgeknallte Anastasia von Rohnsdorff, die auserwählt ist, Edwin und damit das Familienvermögen an die Familie zu binden. Der Schein für die Gesellschaft muss gewahrt bleiben. Am Schluss kollabieren die Börsen, alles bricht zusammen. Sylva und Edwin setzen sich über die Konventionen hinweg und entfliehen dem Chaos. Doch ob ihre Liebe von Dauer sein wird, bleibt offen.

Das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin präsentiert eine von den gängigen Klischees radikal entstaubte, befreite Operetteninszenierung in einer völlig überarbeiteten Textfassung von Kriss Rudolph. Regisseur Hendrik Müller  zeigt die Csárdásfürstin ohne rührseliges Pathos als großes Theater par excellence. Die Sprache ist derb, manchmal sogar vulgär und schlüpfrig. Da wird die Chansonette schon mal als Schlagertussie bezeichnet, und die Figur des Bankiers Lippert-Weylersheim ähnelt verdächtig dem abgestürzten ehemaligen IWF-Direktor Strauss-Kahn. Ist Sylvas erster Auftritt in einer halboffenen Discokugel noch verführerisch schön und unschuldig, so zeigt uns das darunter tanzende Ballett die Kehrseite des Scheins. Das Ballett, vorzüglich choreographiert von Andrea Danae Kingston, ist flippig und schrill, modern und eindeutig.

In einer vom Gefühl des Weltuntergangs geprägten Wendezeit bleibt der unbedingte Drang danach, glücklich zu sein, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Sylvas Handeln wider jede Konvention changiert zwischen pulsierender Lebensfreude und Depression. Es sind zwei Welten, wie sie unterschiedlicher nicht sein können: das oberflächliche Dasein als Star und die kalte, von ökonomischen Konventionen regierte Atmosphäre einer dem Geld verpflichteten Gesellschaft. Und doch haben sie eins gemeinsam: „the show must go on!“

Matthias Werne hat zu diesen Szenen die passende Ausstattung gefunden. Steht zu Beginn eine leere, requisitenlose Theaterbühne, ausschließlich durch Licht und Schattenspiel belebt, so haben wir im zweiten Aufzug einen kristallenen Spiegelpalast, der am Schluss in sich zusammenfällt wie die Börse in Tokio. Auch die Kostüme sind bunt, lässig, keinem besonderen Stil zuzuordnen. Die Kostüme auf dem Maskenball sind opulent und dekadent im besten Sinne.

Die Mecklenburgische Staatskapelle Schwerin unter der Leitung von Manfred Mayrhofer spielt einen leichten, beschwingten Kálmán, mit Dynamik und Leidenschaft. Schon das Vorspiel klingt schmissig, ja jazzig. Auch hier ein durchaus moderner musikalischer Interpretationsstil, der aber im Einklang mit der Inszenierung steht. Ulrich Barthel hat den spielfreudig agierenden Opernchor bestens eingestellt.

Márta Kosztolányi ist eine leidenschaftliche, nach Liebe und Anerkennung suchende Sylva Varescu. Mit großer Intensität singt und spielt sie die Csárdásfürstin. Die dramatischen Ausbrüche bewältigt sie mit Leichtigkeit, und ihre warme Mittellage erzeugt die Sinnlichkeit, der Edwin verfallen ist. Kerem Kurk gibt den Edwin mit sicherem Tenor und baritonalem Timbre, wobei in den Höhen seine Stimmführung manchmal etwas zu eng gerät und sein Spiel gelegentlich etwas zu behäbig wirkt. 

Lars G. Neumann gibt den windigen Musikmanager Boni als Widerling, der nur auf den schnellen Erfolg aus ist, mit großem Nachhall. Kein Buffo, sondern ein ebenbürtiger Tenor mit einer sauberen und sicheren Stimmführung. Katrin Hübner ist als Anastasia von Rohnsdorff eine eigene Persönlichkeit mit einem starken Willen, und nicht nur das liebreizende und naive Anhängsel. Ihr leichter Sopran kommt vor allem im Schwalbenduett mit Kerem Kurk wunderbar zur Geltung. Markus Vollberg überzeugt als unkonventioneller Konzertveranstalter Feri von Kerekes mit wohltönendem Bariton und intensivem Spiel und verleiht dieser Rolle großen Ausdruck.

Gottfried Richter mimt vorzüglich den Bankier von Lippert-Weylersheim mit dem Habitus des alternden, notgeilen Geldsackes. Brigitte Peters als seine Frau Anhilte strotzt nur so vor Zynismus und Sarkasmus. Bernhard Meindl gibt den exaltierten von Rohnsdorff mit großer Theatralik, und André Schmidtke als Notar Kiss lässt stimmlich aufhorchen.

Das Premierenpublikum im ausverkauften Schweriner Staatstheater spendet am Schluss großen Applaus für alle Beteiligten, besonders das Ballett wird frenetisch umjubelt. Insgesamt wird die Inszenierung sehr positiv aufgenommen, und das Konzept von Hendrik Müller, das er konsequent durchgezogen hat, ist voll aufgegangen. Schwerin kann man zu dem Mut zu dieser Inszenierung nur gratulieren. Und auch mit eingeschränkten finanziellen Mitteln ist eine moderne und diskussionswürdige Inszenierung möglich. Auf den Genius kommt es an.

Andreas H. Hölscher

Fotos: Silke Winkler