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Fakten zur Aufführung 

DER BAJAZZO
(Ruggero Leoncavallo)
15. Juni 2012
(Premiere)

Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

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Symbiose aus Gesang und Zirkusakrobatik

Es ist tatsächlich eine Weltpremiere, die die Zuschauer der diesjährigen Schlossfestspiele erwartet. Ruggero Leoncavallos Der Bajazzo wird nicht als Open-Air-Spektakel vor der malerischen Kulisse des Schweriner Schlosses inszeniert, sondern in einem Zirkuszelt gespielt, die Manege als Bühne. Die Spielstätte ist der berühmte Circus Roncalli von Bernhard Paul mit seiner Artistentruppe, die diese Aufführung gemeinsam mit dem Ensemble des Mecklenburgischen Staatstheaters zu einem unvergleichlichen Erlebnis machen.

Leoncavallos Wunsch war es, eine größtmögliche Wahrhaftigkeit der Handlung zu erzielen, obwohl er wusste, dass Theater die Wirklichkeit nur abbildet, aber nicht erreichen kann. Was also liegt näher, als diese Oper im Zirkusmilieu zu spielen und den Zuschauer unmittelbar am Geschehen teilhaben zu lassen.

Diese schlüssige Idee wird von Regisseur Peter Lotschak gemeinsam mit Zirkusdirektor Bernhard Paul kongenial umgesetzt. Es entsteht eine wunderbare Symbiose aus Musik, Gesang und Akrobatik. Die Dramaturgie der Oper und die akrobatischen Auftritte der Artisten bilden eine harmonische Einheit. Da werden keine Nummern aneinandergereiht, sondern hier ergänzen sich zwei Kunstformen. Durch die klassische Inszenierung Lotschaks ohne Rückgriff auf moderne Stilelemente überträgt sich die spannungsgeladene Atmosphäre auf die Zuschauer im Zirkusrund, die Zeugen einer tragischen Geschichte werden. Sogar der Chor, in historischen Gewändern von Giselher Pilz gekleidet, singt und agiert von den Zuschauerrängen und ist damit Teil des Publikums. Die Manege ist die Bühne, es bedarf keinerlei Extra-Kulissen, alles ist echt und authentisch. Und zum Schluss, als die Komödie beendet ist, dürfen die von Canio erstochenen Nedda und Silvio wieder aufstehen. Es ist doch nur ein Spiel, kein bitterer Ernst. Eine Variante des Regisseurs, die zu der heiteren und farbenprächtigen Inszenierung passt und vom Publikum auch goutiert wird.

Die Sänger scheinen sich in dieser für sie doch eher ungewohnten Umgebung zuhause zu fühlen. Ricardo Tamura als Canio/Bajazzo ist ein Verismo-Sänger der Extraklasse. Mit tenoraler Stahlkraft meistert er die dramatischen Stellen seiner Rolle, ohne dabei auf Belcanto zu verzichten. Sein Rezitativ und die Arie im ersten Aufzug singt er hochemotional mit einer derartig intensiven Leidenschaft, dass man seine Qual körperlich zu verspüren meint. Das Publikum dankt es mit langanhaltendem Jubel.

Eva Lind als Nedda/Colombine gibt an diesem Abend ihr Rollendebüt. Sie legt die Partie sehr leicht an, was ihr in den dramatischen Ausbrüchen wiederum Schwierigkeiten bereitet. Ihre Stimme ist für diese Passagen einfach zu klein, insbesondere im Duett mit Tonio. Ferner fehlt ihr das Fundament in der Mittellage. Ihre Stärke ist die lyrische Ausgestaltung der Rolle, wenn ihr geschmeidiger und heller Sopran zur Geltung kommt.

Einen ganz starken Eindruck hinterlässt an diesem Abend der dramatische Bariton Konstantin Rittel-Kobylianski als Tonio/Taddeo. Mit markanter Stimme und eindrucksvollem Spiel gestaltet er die Partie. Musa Nkuna gibt den Peppe/Harlekin mit schönem Tenor, und Markus Vollberg überzeugt mit schmeichelndem Bariton als Neddas Liebhaber Silvio.

Die von Ulrich Barthel formidabel einstudierten Chöre sowie der Rachwal-Chor, Extra- und Kinderchor beeindrucken durch ihre Ausdrucksfähigkeit. In ständiger Bewegung durch das Zirkuszelt flanierend oder von den Zuschauerrängen agierend sind sie immer im Einklang mit Orchester und Solisten.

Vor einer ganz besonderen Herausforderung steht die Mecklenburgische Staatskapelle Schwerin, die außerhalb der Manege nicht nur mit Chor, Solisten und Artisten zusammenfinden muss, sondern auch gemeinsam mit dem Roncalli Royal Orchester den Wechsel zwischen Opernpartitur und modernen Filmmusikkompositionen von Nino Rota und Ennio Morricone zu bewältigen hat. Beides ist hier unter der Leitung von GMD Matthias Foremny auf beeindruckende Weise gelungen. Georg Pommer, der musikalische Leiter des Roncalli Royal Orchester am Klavier, garniert die Auftritte der Artisten mit Eigenkompositionen und Arrangements. Der Spagat zwischen E- und U-Musik ist an diesem Abend geglückt, beides hat nebeneinander seine Berechtigung und ergänzt sich mit den Darbietungen der Sänger und Artisten zu einem Gesamterlebnis der Sinne. Ein großes Kompliment ist der Technik zu machen, die durch feine Aussteuerung die schwierige Akustik im Zirkuszelt beherrscht und dem Publikum so ein fast ungetrübtes Hörerlebnis beschert.

Die Artisten des Circus Roncalli begeistern mit sensationeller Akrobatik, die den Zuschauern manches Mal den Atem raubt. Für einen furiosen Auftritt sorgt Maestro Oktay Novruzov. Der als Dirigent auftretende Seilartist verzückt gleichermaßen durch seine Virtuosität und seine Komik, während der Handstandakrobat Oleg Izossimov in seiner Performance klassische Elemente des Bolschoi-Balletts mit anspruchsvoller Equilibristik vereint. Sämtliche Shownummern der Artisten beeindrucken durch überwältigende Körperbeherrschung und Bewegungskunst.

Das Experiment, Oper und Zirkus zu vereinen, ist auf einzigartige Weise geglückt. Der Mut, in finanziell schwierigen Zeiten ein derartiges Wagnis einzugehen, wird vom Publikum mit langanhaltendem Jubel und standing ovations für alle Beteiligten gewürdigt.

Andreas H. Hölscher



Fotos: Silke Winkler