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Fakten zur Aufführung 

DIE SOLDATEN
(Bernd Alois Zimmermann)
20. August 2012
(Premiere)

Salzburger Festspiele, Felsenreitschule


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

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Räumliche Entgrenzung

Nach dem der Komponist aufgrund der Absagen zunächst eine gleichnamige Vokal-Sinfonie für eine konzertante Teilaufführung schuf, erlebte die zurückgewiesene Oper schließlich durch Michael Gielen 1965 an der Kölner Oper ihre Geburtsstunde – fürwahr eine epochale Tat. In der Folgezeit mangelt es nicht an Aufführungserfolgen, sowohl an großen Häusern wie Wien, Basel, München, Dresden, Frankfurt. Auf exemplarische Weise stellten auch mittlere Häuser wie Nürnbergs städtische Oper 1974 unter dem damals besonders innovationsfreudig agierenden Musikchef Hans Gierster das hypertrophe Werk auf die Bühne. In guter Erinnerung bleibt auch die spektakuläre Regie des Altmeisters, des Briten David Pountney, der 2006 bei der Ruhrtriennale in der Jahrhunderthalle in Bochum Publikum wie Kritik zum Jubeln brachte. Die Inszenierung wurde auch nach New York verfrachtet. Jetzt machen sich Salzburgs Festspiele in der ersten Saison von Alexander Pereira ans Werk, um das „unmögliche Kunstwerk“, Zimmermanns Zwölftonkaliber, nach der Vorlage von Jakob Michael Reinhold Lenz in der Felsenreitschule zu inszenieren und dessen musikalische Reize zu enthüllen. Da wird einem wieder plastisch vor Augen geführt, wie Zimmermann in seinem „opus magnum“ der Idee von der „Kugelgestalt der Zeit“ auf die Spur kommt, dort wo sich Raum und Zeit aufheben und Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit quasi austauschbar werden sollen. Das evoziert „totales Theater“, ein Erleben von Simultaneität, von Gleichzeitigkeit. Zimmermanns Oper handelt von der Verführung der Bürgerstochter Marie durch einen adligen Offizier, der sie zur Soldatenhure macht. Unaufhaltsam ereignet sich im Umfeld des sexgeilen sittenlosen Treibens der Soldateska der Niedergang, der damit endet, dass - im Gegensatz zur Vorlage von Lenz - der Vater im Schlusstableau die sterbende Bettlerin nicht kennt.

Im Fluss dieser simultanen Szenen werden die Ereignisse dargeboten, in gebrochener Form verlaufend, so dass ein Bau von Schichten mit einmontierten Zitaten entsteht – ein stilistischer Pluralismus, bestehend aus Collagen von Bach-Chorälen, jazzigen Anklängen, rhythmisierten Geräuschen, Marschtritten und höllisch lärmenden Exaltationen. Dieses explodierende multimediale Spektakel nimmt Züge eines Pandämoniums an.

Im Graben der Felsenreitschule versammeln sich die hellhörig von Günter Metzmacher gelotsten disponierten Wiener Philharmoniker, die ganz im Sinne des Straussischen Elektra-Orchesters agieren, um die Schönheiten und Schrecken von Zimmermanns Klänge zu enthüllen. Mit einem ausgefuchsten riesigen Ensemble mit eruptiv zupackenden Schlagwerkern und moderner Free- Jazz-Combo, entsteht im permanenten Taktwechsel eine enorme Spannungsdichte. Ein Teil der Instrumente, soweit sie nicht mehr im Graben Platz finden, werden zu beiden Seiten der Bühne untergebracht. Dass im Gesamtklang trotz ohrenbetäubender Energien auch kammermusikalische Transparenz erreicht wird und immer wieder einzelne Instrumente hörbar werden, spricht für eine fabelhaft ausbalancierte Klangregie. Man hört die Musik buchstäblich wie im Surround-Format aus verschiedenen Richtungen, mal von vorne ganz nah, dann von beiden Seiten, auch von oben und wie aus der Ferne gerückt von hinten.

Die Bühne der Felsenreitschule wird panoramahaft zum Spielfeld der sechs Tenöre, drei Soprane, Solosänger. Es sind kolossale gesangstechnische Probleme zu lösen, da Zimmermanns Anweisungen bei angedeuteter Tonhöhe eine den Text halb gesungene, halb gesprochene Deklamation verlangen. Dafür leistet das von Eva Dessecker kostümierte riesige Salzburger Ensemble Mirakulöses.

Großes Format, lupenreine Intonation, führt die Marie der Laura Aikin vor, die ihre irrsinnig schwere mit Koloraturen gespickte Partie fabelhaft beherrscht. Der edelmännische tenorale Verführer von Daniel Brenna führt stimmlich akrobatische Beweglichkeit vor. Fesselnd die beiden Mezzosoprane: Tanja Baumgartner als Schwester Charlotte und die Gräfin de la Roche von Gabriela Benackova. Mit jugendlichem Bariton hält der Tuchhändler Tomasz Konieczny als unglücklich Liebender um die Hand Mariens an. Rühmenswert in den weiteren Rollen die mit dramatischem Alt die Rolle von Stolzius‘ Mutter gestaltende Renée Morloc, während Alfred Muff prägnant die Anliegen des Galanteriehändlers in Lille vertritt. In die Zimmermannschen Simultanszenen mischt sich noch Militärpersonal in verschiedenen Rängen: Hauptleute, junge Offiziere, ein Feldprediger und andere handelnde Personen.

Alvis Hermanis zielt auf eine realistisch aufgezogene Regie, die den technizistischen Bombast, die spektakuläre Soldateska, nicht ausschließt. Dazu kreiert der Regisseur passende Bilder, enthüllt schonungslos mit beißender Ironie die Welt der Soldaten. Hermsnis - Intendant des Neuen Theaters in Riga, auch an der Burg und im Akademietheater Wien aktiv - treibt Marie in einen psychotisch sich steigernden Furor, lässt sie von zwanghaft geil sich gebärdenden Soldaten in einem Glaskasten umtanzen und im Stroh mit Freiern balgen, bis der Tod ihrem erbärmlichen Dasein ein Ende bereitet. Mit einem Schreiklang endet die Oper.

Sicher verstrickt sich der Regisseur nicht in ein martialisch explodierendes Höllenspektakel, mögen auch manche akkurat durchgezeichnete Genreszenen überfrachtet wirken, wie die militanten Schrecksymbole der Gasmasken, die gefallenen Soldaten oder die auf dem Hochseil über die ganze Bühne balancierende Artistin Katharina Dröscher – alter ego für die unglückselige Marie, die hin und her gerissen zwischen dem Vater, dem Verlobten Stolzius und Baron Desportes über Strohballen hüpfend nach Halt sucht. Keine Frage: Man fühlt sich in den Strudel dieser situativ zwanghaft neurotisch agierenden Figuren hineingezogen.

Wie Hermanis die vom Komponisten intendierte „räumliche Entgrenzung“ gestaltet und in geradlinig erzählten Bildern die sukzessive Entehrung und brutale Vergewaltigung, Mord und Selbstmord suggestiv auf die Bühne stellt, wirkt auch siebundvierzig Jahre nach der Uraufführung in Köln höchst eindringlich. Dem Schlüsselwerk des neuen Musiktheaters, diesem Manifest des „totalen Theaters“, spendeten die Zuhörer jubelnden Beifall. Nur eine Aufführung dieses Formats macht einen Besuch in Salzburg zum Erlebnis. Mit Wellness atmenden Inszenierungen wird man künftig das Profil dieses luxuriösen Festivals wohl kaum mehr schärfen können.

Egon Bezold

Fotos: Ruth Walz