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Fakten zur Aufführung 

NORMA
(Vincenzo Bellini)
17. Mai 2013
(Premiere)

Salzburger Pfingstfestspiele,
Haus für Mozart


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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„Liebesopfer“ Norma – ein musikalisches Wunder

„Opfer“: vielschichtig, ja bedeutungsschwanger ist dieses Wort. Genauso sieht das Cecilia Bartoli, die es zum Motto der diesjährigen Salzburger Pfingstfestspiele gekürt hat. Vom „Frühlingsopfer“ über „Religiöses Opfer“ bis hin zum „Versöhnungsopfer“ hat die künstlerische Leiterin dieses Festivals, das sie im zweiten Jahr verantwortet, klug zum Programm passend jede einzelne Aufführung bezeichnet: „Liebesopfer“ naheliegend als Devise für Vincenzo Bellinis Norma.

Es kommt nicht von ungefähr, dass diese 1831 an der Mailänder Scala uraufgeführte Belcanto-Oper schlechthin als schwer inszenierbar gilt. Die Geschichte der Oberpriesterin, den Druiden und den ganz Gallien erobernden Römern zu Zeiten Julius Caesars strotzt ja auch nur so von Ungereimtheiten und erstarrt inszenatorisch meist in Statik und großem antiken Ausstattungstheater. Nicht so, wenn Moshe Leiser und Patrice Caurier Hand daran legen. Das Regieduo, das schon bei den letztjährigen Salzburger Pfingstfestspielen Händels Giulio Cesare in Egitto erfolgreich inszeniert hat, lässt das Werk rund 2000 Jahre später im von den Nazis besetzten Frankreich spielen.

Es herrscht Krieg. Im Gebäude einer ehemaligen, devastierten Schule mit wenig Mobiliar, für die Bühne zeichnet Christian Fenouillat verantwortlich, hat sich ein Widerstandsnest der Résistance gegen die Besatzer formiert. Bewaffnete Männer und Frauen in abgetragenen, schäbigen Gewändern, von Agostino Cavalca kreiert, wollen gegen diese losschlagen. Als sie einen erwischen, wird er gleich einmal brutal zu Tode geprügelt. Aber neben der Wut herrscht nackte Angst. Man versteckt sich, ist übernervös, wenn es nur an der Türe klopft. Spannend, beinahe wie ein Krimi, wirkt die Regie. Und es entstehen immer wieder starke Bilder: Etwa wenn Norma, durch den Liebesverrat des Pollione in psychische Verzweiflung getrieben, mit einem gezückten Messer vor einer schwarzen Wand, wo man sie auch als großen Schatten sieht, ihre Kinder töten will, entsteht beinahe Horrorstimmung. Oder wenn sie zum Finale gefesselt mit Pollione im Schulhaus eingesperrt, dieses als Ganzes in Brand gesteckt und von grellen, riesigen Flammen umzüngelt wird. Man erlebt beinharten Realismus, auch beeinflusst vom damaligen neorealistischen Film. Mystik sucht man allerdings vergeblich.

Bei der Personenführung konzentriert sich die Regie auf die zwischenmenschlichen Beziehungen und das Dreiecksverhältnis von Norma, Adalgisa und Pollione. Hier werden die inneren Vorgänge von Liebe, Leidenschaft und Verrat gekonnt nach außen gekehrt. Und so entfaltet das intime zweite Bild mit dem Auftreten von Normas Kindern, dem Offenkundigwerden der Wahrheit und des Treuebruchs sowie den „rosenkriegartigen“ Reaktionen der drei Protagonisten die stärkste emotionale Wirkung.

Cecilia Bartoli selbst singt die mörderisch schwere, wahrscheinlich die anspruchvollste Belcanto-Partie überhaupt, der Norma als Mezzosopran, wie vom Komponisten für die Uraufführung erdacht, und bricht mit vielen bisherigen Gewohnheiten, die Rolle mit einem Sopran zu besetzen: Sie zeigt mit sehr präsenter, intensiver Gestaltung die Druidenpriesterin als temperamentvolle, verzweifelte, zerrissene Frau, Geliebte und Mutter. Sie ist Verräterin und wird verraten. Sie schwankt zwischen Pflicht und ihrem Herzen. Auch wenn sie für einige Zuhörer für die Partie der Norma keine Idealbesetzung sein mag, ist und bleibt sie ein stimmliches Phänomen. Sie singt mit technischer Brillanz, die Koloraturen sprudeln immer perfekt. Auch ihre berühmte Casta-diva-Cavatine wird keinesfalls als Primadonnen-Arie sondern als schlichtes, unaufdringliches Gebet zum Ereignis. Mit großer Innigkeit öffnet sie dabei ihr Herz.

Rebeca Olvera ist kein Mezzo, sondern singt die Adalgisa mit hellem, mädchenhaften Sopran. Sie ist zwar ebenso koloraturensicher, aber ihre Stimme ist für die Partie viel zu leicht. Trotzdem mischen sich die beiden Frauenstimmen beim berühmten Duett zu einer idealen Einheit. Diese veränderte Gewichtung der Stimmen durch die neue Lesart des Stücks bewirkt viele andere Klangfarben. Der untreue Römer Pollione, eine von Bellini als sehr undankbar und diffizil gestaltete Partie, wird vom phänomenalen John Osborn strahlend, durchschlagskräftig und höhensicher gesungen. Als Oroveso, Normas Vater, erlebt man den versierten, warmstimmigen Michele Pertusi. In kleineren Rollen hört man noch untadelig Liliana Nikiteanu als Clothilde und Reinaldo Macias als Flavio. Auch der Coro della Radiotelevisione Svizzera Lugano, der von Diego Fasolis und Gianluca Capuano einstudiert wurde, erweist sich als Gewinn für Salzburg.

Ein Ereignis sind auch die ungewöhnten Klangmischungen und -farben, die aus dem Graben ertönen, etwa mit den präsenteren Bläserstimmen. Denn man hat intensiv geforscht und, zum Original zurückkehrend, eine quellenkritische Neuedition zur Grundlage genommen und musiziert auf alten Instrumenten in stilsicherer und kundig historischer Aufführungspraxis. Dabei kommt es nicht darauf an, dass alles bis zum letzten perfekt ist, und dass sich da und dort Unschärfen in Intonation und Zusammenklang einschleichen. Denn dem souveränen Giovanni Antonini am Pult und dem Orchestra La Scintilla gelingen es, ungemein durchsichtig kammermusikalisch zu musizieren, mit vielen unerwarteten und unbekannten, feinsten Piani, wodurch die Sänger immer gut durchhörbar sind und nie forcieren müssen. Dabei erfreuen feinste dynamische Abstufungen und unendlich viele Zwischentöne.

Die Produktion gerät beim Publikum zum Triumph: Es spendet jubelnden Applaus und spontane stehende Ovationen, als Cecilia Bartoli erstmals zum Schluss allein die Bühne betritt.

Helmut Christian Mayer







Fotos: Hans Jörg Michel