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Fakten zur Aufführung 

LUCIO SILLA
(Wolfgang Amadeus Mozart)
24. Januar 2013
(Premiere)

Mozartwoche Salzburg,
Haus für Mozart


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Die Kreativität des jungen Mozart

Viel Ehrfurcht brachte das winterliche Musikfest, Salzburgs Mozartwoche, bisher den Jugendopern des Genius entgegen. Bereits 1970 begann die Kooperation der Internationalen Stiftung Mozarteum mit dem Österreichischen Rundfunk (ORF) mit dem Ziel, die Jugend-Opern systematisch zu erschließen und sie sowohl konzertant zur Mozartwoche im Januar vorzustellen als auch im Studio für die Schallplatte aufzuzeichnen. Als Glanzstück galt bisher die Wiederaufführung der 1770 entstandenen Opera seria Mitridate, Re di Ponto im Jahre 1974. Die Publikumsresonanz bestärkte die Initiatoren, es mit weiteren Opernpartituren aus der Jugend des Genius zu probieren: Ascanio in Alba, Bastien et Bastienne schlossen sich an. Mit Il re pastore und La finta gardiniera und Lucio Silla begann dann – zum Teil in Kooperation mit dem Théatre Royal de la Monnaie – die szenische Einrichtung im Salzburger Landestheater. Jetzt feiert die Kreativität des frühen Mozart mit Lucio Silla im Haus für Mozart anlässlich der diesjährigen Mozart-Woche einen glänzenden Erfolg.

Keine Frage: Jede Jugendoper Mozarts, auch Lucio Silla, Dramma per musica in drei Akten, enthält in ungekürzter Version einige Dürrestrecken. Es erstaunt aber doch, wie differenziert und variabel der 16-jährige Mozart diese Oper ausstattete - mit abwechslungsreichen instrumentalen Gruppierungen und farbigen Rezitativen zu den Arien und Ensembles, die kontrastreich auf die psychologischen Gegebenheiten der handelnden Personen reagieren. Intrige, Unterdrückung, Hass, Liebe und letztlich die großherzige Clemenza wie bei Mozarts Titus bilden den Konfliktstoff in der frühen Seria-Oper Lucio Silla. Hier wird gegen den römischen Diktator Lucio Silla eine erotisch-politische Verschwörung in Gang gesetzt. Der begehrt eine bereits anderweitig Verlobte, treibt Paare ins Unglück, bleibt jedoch bei Anschlägen verschont und lässt, von „treuer Liebe“ gerührt, Gnade walten – ein im Grunde wenig glaubwürdiges „Lieto fine“. Es ist Mozarts letzte in Italien geschriebene Oper, die schon eine eigene Handschrift zeigt, vor allem bei der Charakterisierung der Frauengestalten, insbesondere die der Giunia, der von Diktator Lucio Silla begehrten Geliebten des Lucio Cinna, des römischen Patriziers. Für die noch viel Seria-Konvention atmende Oper mit im Kern bocksteifem Libretto von Giovanni de Gamerra choreografiert der vom Tanztheater kommende Marshall Pynkoski, Leiter des Opera Atelier Toronto, symbolkräftig Bildkreationen im Rückblick auf die Mozart-Zeit. Pynkoski favorisiert eine Gegenposition zu den aktuellen Inszenierungen im Stil unserer Tage. Die Protagonisten agieren in Kostümen des 18. Jahrhunderts. Entscheidend sei für den Regisseur nicht der modische Aspekt, nicht die mit römischen Säulen historisch stilisierte Bühne, sondern die seelischen Befindlichkeiten der Protagonisten, deren authentische Gefühlswelt und psychologisch motivierten Perspektiven. Damit hat Mozart seine Typen überaus kontrastreich charakterisiert.

Ein enthusiasmiert singendes, dynamisch schwungvoll geführtes Ensemble führt treffliche Stimmkultur vor, brilliert koloraturengewandt, gestisch-affektiv, stürzt sich in abgründige dynamische Wege. Es überrascht die Vielfalt der Arientypen. Ob Dacapo-Arie, Bravour-Arie, Cavatine – die Gestaltungsprinzipien sind ein gefundenes Fressen für „die geläufigen Gurgeln“ in diesem Ensemble. Villazón meint: „In Mozart kann man sich nicht verstecken, man hört alles.“ Logischer Fixpunkt dieser Staatsaktion ist der „aufgewertete“ Diktator, der in dem wiedergenesen franko-mexikanischen Opernsänger und Publikumsmagnet Rolando Villazón singdarstellerisch eine fabelhaft rollendeckende Figur findet. Die wirbelt auf der Bühne im schwarzen Gewand. Welch diabolisches Outfit. Dass er in emotionale Abgründe eintaucht, wird auf burleske Art konterkariert. Die Figur des Silla, fürwahr kein Sympathieträger, findet Villazon „dramatisch sehr interessant“, weil er nicht nur als Tyrann agiere, sondern als Mann, der in Liebe entbrannt sei, aber mit diesen Gefühlen nicht umzugehen wisse. Am Ende findet Silla, dass es sinnvoller wäre, generös zu sein. In der Tat befindet sich Villazón auf der Höhe seines vokalen Könnens. Und als gewiefter Sänger von überspringender Musikalität und Ausdrucksdisziplin macht er die Titelfigur zum Ereignis. Dafür darf er denn auch zum Finale das blässliche Original seiner Schlussarie durch eine anspruchsvollere Arie aus Johann Christian Bachs Lesart des Lucio Silla ersetzen. Untadelig gibt Inga Kalna die Hosenrolle des Lucio Cinna, virtuos in den nicht enden wollenden Sechzehntelketten. Olga Peretyatko klettert dank fulminanter Atemtechnik souverän auf der Leiter der Koloraturen, mit denen Mozart die komplizierte Rolle der Giunia zu einem irrwitzig schweren vokalen Prunkstück geformt hat. „Es ist die schwierigste Partie, die ich je gesungen habe“, verrät Peretyatko. Ausdrucksvoll mit beachtlicher Stimmkultur schlüpft Eva Liebau in die Rolle der Celia, während Marianna Crebassa der Figur des Cecillio prägnantes Profil gibt. Um der Statik des An-der-Rampe-Stehens aus dem Weg zu gehen, lässt Marshall Pynkoski auf der von Filmausstatter Antoine Fontaine gestylten Bühne immer wieder Figuren in den verschiedensten Formationen vorüber tänzeln. An Verve und eminenter Agilität mangelt es im Bewegungsrepertoire nicht.

Weil Marc Minkowski, der künstlerische Leiter der Stiftung Mozarteum Salzburg, mit einem funkenstiebenden Konzept aufwartet und sein Orchester, Les Musiciens du Louvre, Grenoble, zu dramatischem Drive und kontrastgeschärftem Klangprofil anhält, bringt der die Musik auf mitreißende Art zum Leuchten. Verharmlosende Schönfärberei ist bei Minkowski strikt untersagt. Vielmehr sorgt er für belebende Akzente, wählt zügige Tempi und überrascht mit jähen Hell-Dunkel-Kontrasten. Gestisch-affektiv flitzen Sechzehntelkoloraturen vorüber. Der Dirigent ist ein Glücksfall für diese Oper. Kein Wunder, dass bei dieser variantenreichen Lesart Leben in das virtuose Arienkonzert kommt. Da wird in flotten Durchläufen manches, was der damaligen Zeit entsprechend schematisch konventionell komponiert wurde, durch akzentreich historisch informiertes Spiel so herausgehoben, dass bereits der spätere dynamische Musikdramatiker Mozart wetterleuchtet.

Ein hochmotiviertes Ensemble und eine durch Geschlossenheit und abwechslungsreiche Choreografie jegliche Einförmigkeit und Statik meidende Regie machen den „neuen“ Lucio Silla zu einem sehenswerten Opernereignis. Vor allem das Gesangsensemble wird vom Publikum stürmisch gefeiert. Die Oper soll nach drei Aufführungen in ganzer Länge sowohl bei den Salzburger Sommerfestspielen als auch beim Musikfest Bremen gezeigt werden.

Egon Bezold

Fotos: Matthias Baus