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Fakten zur Aufführung 

GAWAIN
(Harrison Birtwistle)
2. August 2013
(Premiere am 26. Juli 2013)

Salzburger Festspiele, Felsenreitschule


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Grausige Zombies aus der Unterwelt

Wir schreiben das Jahr 2021. Nach einer weltweiten Katastrophe herrscht auf der Erde düstere Endzeitstimmung. Die Menschheit kämpft täglich ums nackte Überleben und siecht dahin: Das ist die Ausgangslage bei Harrison Birtwistles Oper Gawain, der Text stammt von David Harsent, bei den Salzburger Festspielen. Deshalb sieht man auf der Bühne der Felsenreitschule eine postapokalyptische Welt: Moosbedeckte, aufeinander aufgetürmte Autowracks, Särge mit Skeletten, völlig verwahrloste, dreckige Menschen, grausigen Kannibalismus, bei dem ein Mensch auserwählt, umgebracht und von den anderen und den Hunden verspeist wird. Einen nicht endenwollenden konvulsivisch zuckenden Tanz der Halbverwesten. Ja, Alvis Hermanis ist zu diesem Thema noch viel Grausigeres als in der eigentlichen Vorlage eingefallen. Offenbar sind dem lettischen Regisseur und Bühnenbildner bei der österreichischen Erstaufführung dieser Oper einige Zombie- und Science-Fiction- Filme wie etwa Der Tag danach dafür Pate gestanden.

Es ist eine mittelalterliche Ritterwelt zwischen christlichen und heidnischen Einflüssen mit Ereignissen, die sich immer wieder wiederholen. Der Titelheld ist angesiedelt zwischen Wagners Parsifal, aber hier ganz ohne Erlösung, das Werk wird Hermanis übrigens 2017 an der Wiener Staatsoper inszenieren, Indiana Jones und dem bildenden Künstler Joseph Beuys, dem er optisch am meisten ähnelt. Der Hof von König Arthur, er selbst sitzt völlig versandelt im Rollstuhl, weist keinen ritterlichen Glanz mehr auf. Die ehemals stolze Burg Camelot hat sich in eine düstere Ruine, einen Art rostigen Bunker verwandelt. Hier ereignet sich die völlig abstruse Geschichte vom moosüberwucherten Grünen Ritter, einer Metapher für die Kraft der Natur, der sich vom Titelhelden den Kopf abschlagen lässt und nach einem Jahr Revanche fordert. Gawain behält zwar seinen Kopf, kehrt aber von einer langen, unergiebigen Erkenntnisreise ohne jegliche Hoffnung zurück.

Viel fängt der Zuschauer nicht damit an. Auch wenn der Regisseur, der letztes Jahr eine fulminante Inszenierung von Zimmermanns Soldaten hingelegt hat, mit Präzision, Ideenreichtum und Drastik die Geschichte noch verschärfen will und virtuos mit allen Haupt- und Nebenhandlungen die überbreite Bühne der Felsenreitschule bespielt, deren Arkaden er auch immer wieder mit beweglichen Lichtstimmungen miteinbezieht und in imposanten Videos einstürzen und in Flammen aufgehen lässt.

Viel fängt der Zuhörer auch nicht mit der Musik des mittlerweile 79-jährigen Komponisten an, dessen Oper Gawain 1991 in London uraufgeführt und 1994 revidiert wurde. Zuerst zwar schon, wenn die homogenen dunkel-düsteren-grausigen Klangflächen mit vielen opulenten, sich untereinander verschiebenden Schichtungen aus dem riesig besetzten, mit unermüdlichem Einsatz und mit Bravour musizierenden ORF-Radio-Symphonieorchester Wien, das mit allerlei, teils auch ungewöhnlichen Zusatzinstrumenten wie auch mit zwei Schlagwerkbatterien erhöht auf Podien auf der Seite der Bühne verstärkt ist, unter dem kompetenten und exakt schlagenden Ingo Metzmacher aus dem Graben erklingen: Das packt erst mal und lässt tüchtig erschaudern. Aber irgendwann wird man der ständig gleichen orchestralen Stimmung überdrüssig, denn Veränderungen finden kaum statt. Die Problemzone ist die Begeisterung des Komponisten für weitläufige Wiederholungen. Das Dickicht der oft atonal-sinnlichen Partitur, deren Kompaktheit, bedarf wohl auch eines mehrmaligen Hörens. Obwohl Dirigent und Musiker glänzende Arbeit leisten, will sich Reiz und Faszination nicht so recht einstellen.

Stimmlich beinahe Übermenschliches müssen auch die Sänger leisten: Christopher Maltman, der wie eine Double des Künstlers Joseph Beuys aussieht, singt die Titelrolle etwas rau, aber expressiv, mit Bravour. Der Grandseigneur John Tomlinson singt den Grünen Ritter wie auch Bertilak de Hautdesert mit mächtigem, urigen Bass. Jeffrey Lloyd - Roberts ist ein rollstuhlfahrender König Arthur mit einem sehr flexiblen Organ. Laura Aikin als Hexe Morgan le Fay schafft immer wieder die beinahe unsingbaren Höhen der Partitur und singt ihr Schlaflied mit magischen, feinen Tönen. Gun-Brit Barkmin ist eine exzellente Guinevere. Jennifer Johnston als Lady de Hautdesert und der Salzburger Bachchor faszinieren uneingeschränkt.

Höflichen, aber kurzen Applaus gibt es zum Finale.

Helmut Christian Mayer

Fotos: Ruth Walz