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Fakten zur Aufführung 

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL
(Wolfgang Amadeus Mozart)
26. August 2013
(Premiere)

Salzburger Festspiele,
Hangar-7, TV-Übertragung


Points of Honor                      

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TV-Oper mit viel Werbung

Vor der Aufführung lehnt sich Intendant Alexander Pereira weit aus dem Fenster und behauptet: Diese Inszenierung wird ein außergewöhnliches mediales Abenteuer. Dementsprechend wird für Mozarts Entführung aus dem Serail auch einiges aufgefahren. Nicht in den berühmten Opernhäusern an der Salzach findet die Aufführung statt, sondern im Hangar-7 am Flughafen. Der ist vor allem als Ausstellungsort bekannt. Doch an diesem Abend drängen sich die Zuschauer nicht vor den Exponaten aus der Luftfahrt sondern darum herum und bilden Gassen für die Sänger. Denn sie sind Publikum und Bestandteil der Inszenierung in Personalunion. Vor allem der Zuschauer vor dem Fernseher nimmt sie so wahr, denn die Entführung wird live als erste TV-Oper von dem österreichischen Sender ServusTV übertragen. Was die Gäste vor Ort nur in Stücken wahrnehmen, setzt sich mit Hilfe der Kameras am Bildschirm zu einem Gesamterlebnis zusammen.

Regisseur Adrian Marthaler verbindet geschickt Stadt, Ambiente, Zuschauer und Oper, indem er die Handlung in die Welt der Haute Couture verlegt. Bassa Selim ist ein Modezar, der von der jungen Konstanze besessen ist und sie in sein gigantisches Studio holt, wo die ganze Zeit mit Blitzlichtgewitter diverse Models fotografiert werden. Das Künstliche steht vor dem Natürlichen. Ein Laufsteg und die vielseitigen Kostüme von Lena Hoschek, die zwischen Glamour und Geschäftswelt wechseln, unterstreichen das. Auch die Geräuschkulisse des abhebenden Flugzeugs passt perfekt zur Atmosphäre. Das Publikum nimmt dabei die Rolle der alles begaffenden Medien ein und wird gleichzeitig mit den Sängern von den TV-Kameras eingefangen. Die Sänger absolvieren einen Spießrutenlauf nach dem anderen durch die Mengen, um die nächste Spielstätte zu erreichen – und gespielt und gesungen wird doch überall. So kann man die Kontrolle eines Serails auch übersetzen oder modern gesagt: Big Brother is watching you. Auch das Internet spielt seine Rolle im Hintergrund perfekt mit. Per Live-Stream ist die Oper zu sehen, der von Social-Net-Nutzern kommentiert wird. Nicht nur denen fällt die große Werbestrategie in der Aufführung auf.

Auch die wohlvorbereitete Fernsehregie von Felix Breisach trägt für die Wirkung der Aufführung eine große Verantwortung und wird ihr weitgehend gerecht. 18 Kameras fangen das Geschehen überdimensional ein, nur zum Ende hin wird der Schnitt etwas hektisch. Der Blick weg von den agierenden Personen dorthin, wo beobachtet wird, wird sparsam, aber effektiv eingesetzt. Sehr schön die Dame, die die Belmonte-Arie gleich mitsingt. Auch für die Handlung gibt es schöne Nebeneinsichten: So sieht man Belmonte auf der Suche nach Konstanze mit dem Taxi auf dem Gelände ankommen.

Bei so viel Eindruck schindender Technik rutschen schnell die Kleinigkeiten der Oper unter den Tisch. Der in der Handlung angelegte Konflikt der Religionen wird komplett ausgeblendet. Das Alkoholverbot hat Osmin vom Bassa. Und auch das aufgeklärte Ende der Oper will nicht so recht in diesen Modebetrieb passen. Aber was soll’s, Hauptsache ist ja, dass die beiden Paare mit dem Hubschrauber nebst großer Werbung in den Nachthimmel entschwinden können. Fast gerät dabei ins Hintertreffen, dass das Ganze ja ein Traum Konstanzes ist. Zwei Einspieler zu Beginn und zum Ende zeigen sie mit ihren drei Freunden im Theater, wo sie den geheimnisvollen Bassa Selim entdeckt, der sie beobachtet. Am Ende der Vorstellung wacht sie wieder auf, der Bassa ist weg.

Wie sehr das eigentliche Kammerspiel der Entführung an dieser großen Dimension zu knacken hat, zeigt die Figur des Bassa in der Darstellung von Tobias Moretti. Den Gesang hat Mozart ihm verweigert. Bei Marthaler muss er viel schreien, das Extravagante herauskehren, die große Diva spielen. Was Konstanze an dieser Figur fasziniert, kann in diesem Rahmen nicht deutlich werden. Doch davon abgesehen fasziniert Moretti mit einer erfreulich unvoreingenommenen Darstellung eines zerrissenen Charakters. Die Sänger haben es einfacher, denn Mozarts Musik nimmt es auch mit großen Bildern auf. Die Künstler müssen es aber auch gleichzeitig noch mit den recht abenteuerlichen, ungewohnten und anstrengenden Umständen aufnehmen. Javier Camarena macht auf dem Bildschirm eine gute Figur und sein Belmonte hat auch stimmliches Format in jeder Hinsicht. Groß in der Ausstrahlung, fein differenzierend mit der Technik. Für die Kamera mit ihrer natürlichen Spielfreude geboren und für die Blonde mit ihrer Stimme prädestiniert, setzt die grandiose Rebecca Nelsen viele Ausrufezeichen unter diese Produktion. Thomas Ebenstein als lebendiger, sehr sicher singender Pedrillo kann zum Glück mithalten. Urgestein und Osmin-Veteran Kurt Rydl ist über seinen stimmlichen Zenit hinaus, rettet sich in manche Deklamation und wirkt dennoch irgendwie einfach authentisch. Da stimmt die Wirkung des Künstlers. Desirée Rancatores Konstanze leidet im ersten Akt sicht- und noch mehr hörbar unter ihrer Einspringersituation. Sie muss recht kurzfristig Diana Damrau ersetzen, die aus privaten Gründen abgesagt hat. Technische Mängel, die sich in äußerst grenzwertigen Höhen äußern, kann sie erst ab dem zweiten Akt kompensieren und so die Aufführung zu einem guten Ende bringen. Trotz der überwiegenden Technik verlässt sich das Orchester der Camerata Mozart nicht auf reines Begleiten, sondern setzt Mozarts Musik als schönen Gegenpol zur Szene. Dirigent Hans Graf und seine überall im Publikum positionierten Assistenten sorgen dafür, dass die Balance zwischen Orchester und Sänger stimmen.

Dank einer sehr sicheren und leistungsstarken Tontechnik kann man sich von den akustischen Leistungen überzeugen. Kaum zu glauben, dass die Veranstalter nicht in der Lage sind, auch die Reaktion des Publikums hörbar zu machen. Was man davon verstehen kann, hört sich sehr zufrieden an. Ebenso unverständlich ist die Tatsache, dass man bei so viel Technik auf Untertitel verzichtet hat. Noch unglücklicher macht Sunnyi Melles als Moderatorin. Ihre pseudo-dramatischen Ansagen mit aufgerissenen Augen wirken ebenso unecht und gekünstelt wie ihre Interviews mit Intendant Pereira. Immerhin liegt der mit seiner Aussage von einem medialen Abenteuer richtig. Denn trotz aller Einschränkungen ist diese TV-Oper ein spannender Hingucker, dem man gerne folgt und der einen Weg öffnet, um Oper noch öfter, wenngleich noch etwas durchdachter, auf den Bildschirm zuhause zu bringen.

Christoph Broermann