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Fakten zur Aufführung 

CARMEN
(Georges Bizet)
31. März 2012
(Premiere)

Osterfestspiele Salzburg


Points of Honor                      

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Mit preußischem Pep

Mit zwiespältigem Erfolg neigt sich eine 45-jährige Ära ihrem Ende zu: der Auftritt der Berliner Philharmoniker unter ihrem Chefdirigenten bei den Salzburger Osterfestspielen 2012. Auf dem Programm steht George Bizets Oper Carmen als Koproduktion mit den Salzburger Sommerfestspielen und dem Teatro Real Madrid.

Kein leichtes Unterfangen, eine der meist gespielten Repertoire-Opern auf die Bühne zu stellen. Was kann die Carmen doch alles sein: Primadonna, Femme fatale, die Wunschträume von Sex weckt, mit prickelnder Folklore fesselt und vokalen Gala-Zauber entzündet. Oder ein emanzipierter Typ, der mit selbstbewusster Haltung im Drang nach Freiheit letztlich zum Opfer wird. Man kann die Story herunter nudeln, sie szenisch fantasiereich auskosten wie Peter Brook und Calixto Bieito das realisierten. Möglich ist auch eine Rückblende, wenn – so bei Andrea Breth in Graz verifiziert – die Geschichte erzählt wird aus dem Blickwinkel des Don José kurz vor dem Ende der Tragödie.

Inszeniert und choreografiert hat den Mythos für die Salzburger Osterfestspiele ein britisches Team aus London, die Regisseurin und Choreografin Aletta Collins und Bühnenarchitektin Miriam Buether. Ihrer Meinung nach stellt die Popularität der Oper eine besondere Herausforderung dar. Weil sie jedermann vertraut sei, müsse man in erster Linie darauf achten, nicht aneinander gereihte einzelne Nummern auf die Bühne zu stellen. Vielmehr gelte es, einen frischen Zugang zu dieser Geschichte zu finden. Hat Aletta Collins die von ihr gesetzten Ziele erfüllt?

Sicher gewinnt sie mit ihrer konventionell anmutenden Regie kaum innovative  Einsichten. Geweckt werden Assoziationen aus dem spanischen Bürgerkrieg der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts, aktualisiert mit Vergnügungssüchten einer durch den Krieg entzweiten spanischen Gesellschaft, in der alte Ordnungen zerstört werden und neue sich zu etablieren beginnen. Die Gesellschaft, aufgehetzt vom Konflikt Männer gegen Frauen, befindet sich Umbruch. Wie ein roter Faden zieht sich der Flamenco durch die Handlung. Großdimensionierte Bildkompositionen nehmen die ganze Breite des Bühnenareals im großen Festspielhaus ein. Lärmig ereignet sich der Auftritt der zankenden Arbeiterinnen im Pausenhof der Zigarettenfabrik. Alles steht unter strenger militärischer  Kontrolle. Vieles wird in farbenfrohen pittoresken Arrangements dargeboten – Volksszenen mit Kinderchor, marschierendes Militär. Bedrohliche Augenblicke öffnet die an einem Kanal verlegte Schmugglerszene, und Lillas Pastias Schänke entpuppt sich als schmieriger Edelpuff. Und im dritten Akt gilt ein karnevalesk maskierter Umzug als Stimmungsmacher für den Stierkampf. Auf einem Laufsteg rund um den Orchestergraben ereignen sich die wirbelig stampfenden Einlagen der Flamenco-Tänzer – Szenen, die glamourös aufgesetzt wirken.

Mit stereotyp wirkenden Bewegungen setzt sich die Carmen der Magdalena Kozená schlank, mit rotem Haar, in Szene. Einer glutäugigen Verführerin, einem männermordenden Typ, entspricht sie in ihrer selbstbewusst die Freiheit betonenden Haltung wohl kaum. Wenn sie denn gelegentlich erotische Rundumblicke gewährt, sich im traditionellen Sinn als stolze Carmen offenbart und im dritten Akt dem Schicksal unverdrossen trotzt, dann wünschte man sich eine strahlkräftige leuchtende Stimme, ein suggestiv vielschichtigeres Profil. Das Temperament kann man der Kozená sicherlich nicht absprechen, aber jegliche raffiniert-koketten Nuancierungen ihrer Rollenidentifikation der Carmen. Diesen Anspruch kann die Sängerin mit ihrer schlanken, im barocken Repertoire erfahrenen und tremolierenden Stimme nicht erfüllen. Schon eher entwickelt Kozená das Rollenporträt einer mutigen Frau, die mehr mit ironisch distanzierender Kühle als mit flammender Leidenschaft und Sinnlichkeit zu überzeugen versucht. Gemäßigt verführerische Qualitäten signalisieren allenfalls Habanera und Seguidilla. Auf einem kleinen Podest zwischen Orchester und Publikum gibt sie die Habanera wie vorgeschrieben im Pianissimo ganz nahe beim Publikum. Aus der Hörperspektive der elften Reihe im Rang lassen sich diese Subtilitäten jedoch kaum vernehmen. Wie überhaupt das große Festspielhaus für all die Intimitäten dieser Opéra comique wohl nicht das adäquate Umfeld darstellt.

Als Don José überzeugt als routiniert agierender Gegenspieler Jonas Kaufmann. Die dramatischen Attacken steigert er bis zum tödlichen Ende exzessiv. Seine lyrischen Qualitäten in allen Ehren, doch wirkt die Stimme in tieferen Regionen eher beengt, kehlig. Die Rolle der Micaela gestaltet Genia Kühmeier couragiert mit kraftvoller Stimme. Sie kämpft um den Geliebten mit dramatischer Intention – eine sympathische Ausstrahlung. Kostas Smoriginas gibt einen zuverlässig singenden Escamillo, der alle Meriten des glaubwürdigen Matadors vereinigt. Temperamentvoll singen die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor und der Salzburger Knabenchor.

Simon Rattle und Berlins Philharmoniker entbinden der genial geschriebenen Partitur sowohl den brutalen Realismus, den bedrohlichen Fatumklang als das leichtfüßig-französische Parlieren wie das glamouröse, doch nie vulgäre emotionale Raffinement. Konzertanter Aplomb ist bei den Berlinern, wenn sie im Graben spielen, allerdings immer im Spiel. Die instrumentalen Farben der Holzbläser hört man differenziert, wohltuend aufgelichtet aus dem Graben, auch wohl integriert im Gesamtklang. Ein wenig knallig mit preußischem Pep tönen die Märsche, und dem plakativ wirkenden Vorspiel hätte eine dynamische Feinsteuerung gut angestanden.

Szenisch wie sängerisch ereignet sich nichts Berge versetzendes. Und eine Regie-Geheimwaffe ist die Britin fürwahr nicht.

Der Beifall schwillt zu beachtlicher Stärke an. Keine Buhrufe trüben die Harmonie.

Egon Bezold

 







Fotos: Karl Forster