Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

WERTHER
(Jules Massenet)
22. Februar 2014
(Premiere)

Saarländisches Staatstheater Saarbrücken


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Aktuelle Gefühle

Wer kennt sie nicht? Die Leiden des jungen Werther? Unglücklich verliebt in eine verheiratete Frau, zu Zeiten seines Schöpfers zwar auch keine Ungewöhnlichkeit, dafür eine Unmöglichkeit, die den Ruf von Verliebtem und Geliebter immens schädigte. Gefangen in einer Dreiecksbeziehung, bestehend aus dem angebeteten Wesen, dem ehrenhaften Ehemann und dem empfindsamen, leidenden Verliebten. Schlussendlich Selbstmord und damit Vorbild für viele junge Zeitgenossen Goethes. Die Leiden des jungen Werthers berühren bis heute, weil sie bis heute aktuell sind und immer waren. Nicht umsonst inspirierte das Werk immer wieder zu "Neuauflagen", Umgestaltungen, Modernisierungen. Die Leiden des jungen W., Die neuen Leiden des jungen Werthers und sogar eine Oper namens Werther, um nur ein paar zu nennen. Um letztere geht es nun im Saarländischen Staatstheater Saarbrücken.

Die Oper Werther von Jules Massenet, mit einem Libretto von Edouard Blau, Paul Milliet und Georges Hartmann, wird in Saarbrücken von Regisseurin Jetske Mijnssen auf die Bühne gebracht. Der Inhalt ist nach der berühmten Vorlage von Goethe und entsprechend wohl bekannt: Der junge Werther lernt die Tochter des Amtsmannes kennen, Charlotte heißt das anmutige Wesen, und es ist natürlich Liebe auf den ersten Blick für den verträumten jungen Mann. Doch noch mehr als das. Werther verfällt in eine geradezu anbetende Schwärmerei, selbst die kurz bevorstehende, der Mutter am Totenbett versprochene Eheschließung Charlottes mit Albert, einem braven Biedermann, kann ihn nicht von seinen tiefen Gefühlen abbringen. Auch Charlotte ist hin und hergerissen, zwischen ihrem musterhaften, wenn auch etwas stockfischigen Ehegatten und dem maßlos verträumten, wenn auch hoch anziehenden Werther. Wieder und wieder kämpft sie dagegen an, um ihre Pflicht gegenüber Albert nicht zu vergessen. Schließlich kommt es, wie es kommen musste. Nach einer leidenschaftlichen Annäherung der beiden, verweist sie Werther mit Bestimmtheit aus ihrem geordneten, pflichtbewussten Leben. Werther sieht nur noch einen Weg, um seiner leidenden Seele endlich Ruhe zu verschaffen: den Weg ins Grab.

Werther greift in der verwicklungsreichen Geschichte Goethes wenige zentrale Punkte auf: Die Begegnung Werthers mit Charlotte und ihre, mehr oder weniger gemeinsame Nacht, zeitgleich mit Alberts Rückkehr. Charlottes erste Bitte um Abstand, nachdem sie und Albert drei Monate verheiratet sind, aber Werther dennoch der ständige Begleiter der beiden ist. Charlottes und Werthers leidenschaftliches, aber verhängnisvolles Wiedersehen an Weihnachten. Und ihre finale Begegnung, als der bereits verwundete Werther seinen Verletzungen erliegt.

Regisseurin Mijnssen greift diese Bilder auf und gestaltet mithilfe des grandios-abstrakten, weil schlicht gehaltenen und nicht überfordernden Bühnenbildes von Ben Baur eine Oper im Schaukasten. Wenige Mittel reichen der Inszenierung, um ihre ganz eigene Stimmung zu erzeugen: ein Tisch, ein paar Stühle, ein Spiegel, eine Tee-Ecke. Die Sänger agieren auf einer schmalen, erhobenen, fahrbaren Bühnenkonstruktion. Die Kostüme, ebenfalls von Baur, sind dabei zeitgenössisch gehalten, hier entdeckt man viel Feingefühl für die Situation. Denn während das Bühnenbild abstrakten Charakter aufweist, erwecken die Kostüme den Eindruck, „realen“ Personen in ihrer aktuellen Lebenssituation über die Schulter zu schauen.

Schnell bekommt man das Gefühl in ein Diorama zu blicken. Das Gefühl, das dabei erzeugt wird, ist ein ganz eigenes: ein Gefühl der Hilflosigkeit, Ausweglosigkeit. Alles was ist, ist so gestellt und unverrückbar. Klein und eng. Die Bühne öffnet sich erst, nachdem Charlotte und Albert in ihrer Enge zerbrochen sind. Die Bühne teilt sich und enthüllt die weite, kalte Friedhofsatmosphäre, die man noch vor dem ersten Vorhang gesehen hat. Es schneit. Ein leeres, frisch geschaufeltes Grab, davor Werther, blutverschmiert, bereits steif, entrückt. Er hat seinen Ausweg gefunden.

Einen Ausweg für Charlotte gibt es dabei nicht. Weder in der Ehe mit dem braven Biedermann Albert, der sie verehrt als madonnenhafte Heilige, noch in der leidenschaftlichen Liebelei mit dem schwärmerischen Werther, kann sie als Figur eine Bestätigung und ein Erkennen finden. Beide Männer lieben und verehren nur das jeweilige Bild, welches sie auf sie projizieren. Das wird bei dem natürlichen Perspektivwechsel der Oper nach der Pause deutlich. Während die erste Hälfte dem jungen Werther und seiner leidenden Verliebtheit gewidmet ist, zeigt Mijnssen in der zweiten Hälfte die verliebte leidende Charlotte und ihren inneren Konflikt. Mijnssen wählt dabei ein starkes Mittel: Sie lässt in den ersten beiden Bildern Werther und in den letzten beiden Bildern Charlotte mit einem Doppelgänger ihrer selbst auftreten. Dabei sind die singenden Parts diejenigen, die die Innenwelt, die wahren Gedanken und Gefühle der beiden darstellen. Die schauspielernden Parts diejenigen, die auch vor den anderen Figuren schauspielern. Eine Charlotte sitzt scheinbar ruhig neben ihrem langweiligen Gatten, die andere Charlotte schaut, den Rücken zum Publikum gewandt, in einen blinden Spiegel. Beide leiden. Sind sie zusammen und alleine auf der Bühne ergibt sich eine besondere Spannung. Die Schmerzen der einen Charlotte sind auch die Schmerzen der anderen. Der eine Werther hindert den anderen Werther daran, der beleidigten Charlotte hinterher zu laufen. Am Schluss versöhnen sich die beiden Werther im Tod: der singende stirbt, der schauspielernde empfängt ihn mit tröstenden Armen.

Hier zeigt sich nicht nur die Brillanz der Aufführung, sondern auch die der Sänger. Mickael Spadaccini als Werther und Tereza Andrasi als Charlotte erschaffen mit einer Mischung aus unerträglicher körperlicher Spannung und gleichzeitiger Langsamkeit eine fast tranceartige Dichte in der Inszenierung. Spadaccini erntete bereits während der zweiten Hälfte minutenlangen Applaus für seinen sicheren, in den Höhen klaren, besonders kraftvollen, alles übertönenden Tenor. Andrasis ausgereifter, warmer Mezzosopran gibt sich farbenfroh und vielfältig besonders in den mittleren und hohen Tonlagen. Beide meisterlich und souverän. Unter den Kollegen sticht zudem Sopranistin Herdís Anna Jónasdóttir als jüngere, lebenslustige Schwester Sophie hervor. Jung und frisch, nicht nur in ihrer Spielweise, auch stimmlich erscheint sie auf einer magischen Grenze zwischen Ausgereiftheit und jugendlicher Leichtigkeit. Lupenrein und voluminös erreicht sie fast spielerisch die doch schwierigen Höhen. James Bobbys Albert ist ein Mustergatte vor dem Herrn, gradlinig, ohne nennenswerte Ecken und Kanten, der zuerst willentlich übersieht, dass sein Hausgast seine Frau liebt und dann zunächst willentlich übersieht, dass auch seine Frau Gefühle für den Nebenbuhler hat. Als er das erkennen muss, zwingt er seine Frau in selber Gradlinigkeit, dem Werther die Waffen zum Selbstmord überbringen zu lassen. Sein Bariton ist solide, kraftvoll, wenn auch in dieser Inszenierung natürlich nicht im Fokus der Aufmerksamkeit. Reizend erarbeitet ist der Kinderchor des Saarländischen Staatstheaters unter der Leitung von Hans-Joachim Hofmann, sowohl gesanglich, als auch als Teil der Inszenierung. Großes Lob auch an die Kleinen für die stimmliche Spitzenleistung.

Das Orchester, unter der Leitung von Thomas Peuschel, zwar wunderbar schwämerisch gemeinsam mit den hervorragend vorgetragenen Stimmen, wirkt alleine fast etwas träge. Da erscheint das Dirigieren eher wie ein Herausziehen aus dem Energieloch nach der Mittagsstunde.

Die Publikumsreaktionen genügen als Fazit: Minutenlange stehende Ovationen, großer Beifall, enorme Begeisterung für den Werther in Saarbrücken.

Stefanie Braun

Fotos: Björn Hickmann