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Fakten zur Aufführung 

THE ROCKY HORROR SHOW
(Richard O'Brian)
8. Oktober 2011
(Premiere)

Saarländisches Staatstheater


Points of Honor                      

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XXL

Der Heilige Sebastian, Schutzheiliger aller Schwulen, Lesben und Transvestiten, ziert den barocken  Hochaltar, der sich eines Eco würdig als Rakete für die Extraterrestrischen erweist und am Ende unter großem Geklatsche und Gejohle abhebt. Oben, in dem kleinen Runden über den Marmorsäulen, wo sonst der Herr der himmlischen Heerscharen sein Konterfei abgebildet sieht, prangt nun Tim Curry selig.  Ein Opferaltar, auf und  in dem der arme Eddie in seine Einzelteile zerlegt wird. Eine Kanzel dort, wo sonst die Proszeniumsloge zu finden ist.  Zwei Orgelemporen, hier  singen die Nonnen unzüchtige Lieder, da bieten  Frank Nimsgern und seine Jungs  Rock vom Feinsten. Michelangelos Sixtinische Kapellenschöpfung als Vorlage für die Deckenmalerei, Adam ist der einzige mit Kinderpimmelchen, in Rockys Hose steckt mehr als sichtbar XXL. Mindestens. Nicht einmal Frank N. Furters  Keuschheitsgürtel vermag das Riesenteil, das jede und jeden in Versuchung bringt, wenigstens mal dran zu greifen,  zu bändigen. Höchstens Janet, mit dem Homunkulus allein im Beichtstuhl, deren lustgefärbtes Stöhnen nicht enden will. Zum Verdruss seines Herrn und Schöpfers.

Womit wir bei den Analogien wären. Sakralraum zwischen Kirche und Dom statt Schloss. Die Idee von Regisseur  Sebastian Welker trägt. Nicht nur, weil manches Gottesbild eher als Vorlage für Däniken taugen würde als einer aufgeklärten Gesellschaft würdig zu sein. Auch der Hang zur materiell interpretierten Transzendenz eint Kirche und die Crew vom Stern der unbegrenzten sexuellen Möglichkeiten. Und dass  in der katholischen Kirche Keuschheit gepredigt, latente Homophilie einschließlich Frauenkleider für Bischöfe und andere Würdenträger lustvoll gelebt wird, wusste man bereits vor den Enthüllungen in Irland, Amerika oder Deutschland. Der Unterschied zwischen der Hybris, sich als Gottes Stellvertreter auszugeben, mit dem Kondomverbot sich zur Herrin über Leben und Tod aufzuspielen  oder sich ein Lustobjekt zu erschaffen, Rocky XXL, schrumpft da zur Marginalie.

Das Bühnenbild von Stephan Prattes voller Witz, dem irrwitzigen Tempo und der Dynamik der XXL-Produktion angemessen. Wie die unglaublich erotischen, dann wieder phantasiefüllenden  Kostüme von Susanne Hubrich. Travestiefummel in Lack und mit Strapsen. Ohne ins Vulgäre abzugleiten.

Was für ein Casting! Alle Protagonisten auf  hohem Niveau. Keine Konzessionsbesetzung ans Budget. Randy Diamond, der das Publikum mit einem bewegten und bewegenden Dr. Frank'N'Furter  begeistert. Zwischen Schlampe und Biest, dann wieder Dragon Queen, mit Brechungen, die  seine Kränkungen spürbar werden lassen. Stimmlich unglaublich präsent, rockig, einfühlsam in den Balladen,  eine einzige Offenbarung, um in der Kirchenterminologie zu bleiben. Als Bischöfin mit Mitra und überdimensionalem Mantel ein Bild, das an Magie nicht zu überbieten ist. Ein Rocky, der mehr zu bieten hat als nur das eine. Oder Muskeln, so ansehnlich sie auch sind. Brillant beherrschte Körpersprache von Markus Olzinger, dazu eine angenehme, sauber eingesetzte Stimme. Damit schon qualifizierter als sein filmischer Vorgänger. Eine Janet Weiss wie aus dem Bilderbuch: Jung, schön, sexy, mit einer erotischen, jubelnden Stimme, die einem die Härchen stellen lässt. Corinna Ellwanger. Auch Brad idealbesetzt. Also jung, schön, sexy, mit einer erotischen, juvenilen  Stimme, die  einem.... Dustin Smailes. Andy Kuntz, Frontmann der Band Vanden Plas  und Frank Nimsgern endlich in einem Team. Synergiestrategien seit langem die Forderung des  Saarländers, der für die vorzüglichen Arrangements, die musikalische Leitung und die Band zuständig ist, selbst die Gitarre zur Höchstleistung zwingt. Andy Kuntz in der Rolle des Eddie mit nur einem Auftritt, der genügt, um das Publikum von den Sitzen zu hauen. Die Rockstimme. Frank Fellicetti ein subversiv durchtriebener Riff Raff,   Anke Fiedler eine schrille Margenta. Singen können beide, und wie!  Sue Lehmann mit einer Stimme, so gewaltig wie die von Joy Fleming, als Columbia zeigt sie, dass mollig keineswegs unerotisch sein muss.  Aldo Tiziani ein sonorer, pfiffig interpretierter Dr. Scott,  Rupprecht Braun, Star im Schauspielensemble,  als Erzähler mit seiner einschmeichelnd schönen, distinguierten  Sprechstimme lässt sich vom aufgekratzten Premierenpublikum nicht aus der Ruhe bringen.

Ein Publikum, teils im Fummel, das hingerissen ist und sich mitreißen lässt. Da staunen die Jungen! Wenn die Alten  nicht oft genug boring rufend dem Erzähler ins Wort fallen können, genüsslich das scharfe S zischen, der Name Janet ist noch nicht ganz ausgesprochen. Gefüllte Spritzpistolen, die nach  oben zielen sollten, um  Regen auf die über den Köpfen  ausgebreiteten „The Denton Guardians“ niedergehen zu lassen, stattdessen  aus der Hand von gesetzten  Herren direkt Genick und Frisur der Vorderen beschießen.  Ein entzücktes Raunen geht durch alle Generationen, oben schweben dicke, bunte Plastikfische die Theaterdecke entlang. Jetzt hagelt es Reis, um dann Bierdeckel durchs Theater fliegen zu lassen, das längst von Kilometern von Klopapier zugemüllt ist. Knick, knack, und schon schreiben tausend  Knicklampen Figuren ins Theaterdunkel. Alle springen auf, um mit zu zappeln, zu rocken, sich zu wiegen, um nach dem letzten Lied gleich wieder für die Standings aufzustehen und immer wieder  Zugabe  zu fordern. Das ganze Haus. Darunter Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer. Die ihre Liebe zum Theater nicht mit dem Amt der Kultusministerin ablegt hat. Es gibt wenige Bundesländer, die Kultur so ernst nehmen wie das Saarland und seine oberste Chefin allemal.

Frank Herkommer






 
Fotos: Björn Hickmann/stage picture