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Fakten zur Aufführung 

PARSIFAL
(Richard Wagner)
10. März 2012
(Premiere)

Staatstheater Saarbücken


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Glaubenskrise

Das Bühnenbild ist bereits fertig, als der vorgesehene Regisseur ausfällt und Staatsintendantin Dagmar Schlingmann einfällt, dass da ein junger Mann eben noch erfolgreich die Rocky-Rockoper am Haus inszeniert hat. Sebastian Welker ist 28 Jahre jung und schon so unglaublich weit, äußerst kreativ, mit der Fähigkeit, in eine hoch komplexe Materie einzudringen, ihr dramatische Gestalt zu geben, ohne ihr dabei Gewalt anzutun. Das ist Regietheater, bei dem der Begriff nicht das Gemeinte bereits verhunzt. Welker ist ein Glücksgriff und für Saarbrücken ein Glücksfall. Gemeinsam mit Operndirektor Berthold Schneider wird in Rekordzeit das neue Konzept entworfen, um von dem jungen Regisseur in Szene gesetzt zu werden. Das Bühnenbild fungiert als Passepartout.

Unten, in der Welt der Triebe und ihrer Bändigung, liegt die scheinheile Welt der Gralsritter. So klinisch rein sieht es in einer Zentrale für Erweckungen aus, oder in einer Großküche kurz vor dem angekündigten Besuch des Ordnungsamtes. Kartons mit Bekehrungshandzetteln. In der Kiste für die  Projektionsflächen liegt der Gral verborgen, in diesem Fall konsequenterweise jener Speer, in dem sich Libido und Aggression traut vereinen, wie im wahren Leben. Das sind die Antagonismen von Eros und Todestrieb,  die sich durch die ganze Welkersche Erzählung ziehen. Die Knappen putzen, sie sind zwanghaft, was den Zugang zum Glauben schon im Allgemeinen erleichtert. Sie wollen nichts sehen, sagen, hören, was von draußen eindringen könnte. Man glaube an Kreativismus statt an Evolution. Über der Welt leuchtet das  Signal „GLAUBE“. In ihm sind alle Sehnsüchte, Utopien, Aporien, Ideologien, unduldsame Rechtgläubigkeiten und liebevollen Häresien vereinigt. Sebastian Welker spielt mit dem Chargieren zwischen Individuum und Kollektiv. Mal ist es eine konkrete Person, die handelt und leidet, dann stellt er alle eben noch niedergestreckten Männer um den Einen, um das exemplarische in der Existenz des Parsifal herauszustellen. Sein Klingsor muss nicht sterben, weil die Macht ihm visualisiert entgleitet. Seine Blumenmädchen verlieren den Glauben an die bürgerliche Ehe. Die Bräutigame am Boden, die Bräute ganz in Weiß sind auf der Suche nach neuen Formen der Liebe. Keine religiösen Symbole, Welker säkularisiert, existentialisiert und philosophiert, ohne dem Mythologischen an Kraft zu nehmen. Die Erlösung und Taufe besteht in einem langen Kuss. Die Fußwaschung ist nicht Ausdruck der Demut, sondern hoch erotisch. Aus Parsifal und Kundry wird ein Paar. Letztendlich triumphiert der Todestrieb über die Libido. Doch dieses unerwartete Finale sollte jeder selbst sehen.

Für das dann doch wieder schlüssige Bühnenbild verantwortlich ist Andreas Wilkens. Die Welt draußen ist in Schieflage, der Glaube ambivalent, wie die Färbung der Buchstaben unterstreicht; Vorhänge, die verschleiern und enthüllen. Lydia Kirchleitner, zuständig für die ansprechenden Kostüme, versteht es, heutig zu kleiden, ohne trivial zu werden, mit viel Liebe zum Detail und zur Farbpsychologie.

Das Orchester unter Leitung von Toshiyuki Kamioka differenziert fein, spielt ohne Pathos, gerade in den leisen Passagen einfühlsam und flirrend, eine ansprechende Wagnerinterpretation, die vom Publikum entsprechend gefeiert wird. Der Chor unter der Leitung von Jaume Miranda zeigt sich choreografisch versiert, der Herausforderung Wagnerscher Musik gewachsen, wobei man sich wünscht, dass der eine oder andere Sänger mehr dem Chor noch mehr Nachdruck verliehen hätte.

Hans-Georg Priese singt einen glaubhaften Parsifal, unverbildet und mit jugendlicher Finalität, dessen elegante und gebildete Stimme mit ihrer einzigartigen Färbung ihm eine beeindruckende Ausdruckskraft ermöglicht.  Gefeiert wird Gurnemanz Hiroshi Matsui, mit all der Virilität und Bestimmtheit seiner Stimme. Immer noch, mit 70, faszinierend ist Bayreuthsänger und Regisseur-Vater Hartmut Welker als Amfortas, an dessen Wunden sich alle weiden. Nichts wirkt im pejorativen Sinn routiniert, konzentrierte Präsenz einer Ausnahmestimme.  Birgit Beckherrn lässt als großartig spielende Kundry spüren, warum Wagner die Partie für Sopran geschrieben hat. Das dramatische Moment tritt gewollt zurück. In den  Passagen, in denen sie sich für das dramatische Potenzial ihrer Stimme entscheidet, wird sichtbar, wie weit gespannt ihre sängerischen Möglichkeiten sind. Titurel wird von Jiri Sulzenko dargestellt, die Maske schafft es zwar nicht, ihn älter als seinen Sohn erscheinen zu lassen, was man schnell vergisst, so anrührend, wie er singt. Olafur Sigurdarson wird  bejubelt für seine Klingsor-Interpretation von dämonischer Urgewalt.  In den weiteren Rollen singen Sang Man Lee und Markus Jaursch Gralsritter sowie Anne Kathrin Fetik, Judith Braun, Janos Ocsovai und Rupprecht Braun als Knappen; als vorzügliche Blumenmädchen agieren Sofia Fomina, Sofia Soyoung Lee, Tereza Andrasi, Alexandra Steiner, Judith Braun und Anne Kathrin Fetik.

Das Publikum im Haus, mit einigen leeren Plätzen, ist sachverständig und äußerst angetan von der Inszenierung. Viele prophezeien dem jungen Regisseur eine große Zukunft auch als Wagnerinterpret. Standing ovations nach minutenlangem Beifall, darunter nur ein Buhrufer, dafür zahlreiche bravi für eine mutige Inszenierung. Der Crémant floss entsprechend reichlich bei der Premierenfeier.

Frank Herkommer

Fotos: Björn Hickmann