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Fakten zur Aufführung 

EUGEN ONEGIN
(Peter I. Tschaikowski)
2. Juni 2012
(Premiere)

Saarländisches Staatstheater

Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Türen des Lebens

Es sind Bilder von lyrischer Anmut, die in der Inszenierung von Immo Karaman auf die Bühne gebracht werden, die sowohl Puschkins Intention als auch Tschaikowski gerecht werden. Onegin und Lenski werden nicht, wie so oft, auf den Seziertisch der Psychoanalyse gelegt, um in zwei Köpfen den selben Komponisten und sein alter ego im Ringen mit der eigenen Homosexualität zu finden. Jeder der beiden männlichen Protagonisten zeigt unterschiedliche  Facetten bei der Schwierigkeit zu lieben. Aber auch die Frauen tragen das ihre mit dazu bei, dass es zu Versagungen und letztlich letalen Verletzungen kommt. Die russische Seele verschafft sich Ausdruck, mit ihrem Hang zur  Wehmut und zur Tragik, mit ihrem Gefühl für die unglücklich Liebenden, aber auch ihrem Gespür für Häme und Niedertracht. Tratsch und Intrigen, das leidende Volk ist rachsüchtig. Karaman überhöht nicht das arbeitende Volk. Armut, Unbildung, ländliche Indolenz und Gehässigkeit wohnen gerne unter dem selben Dach. Ein Lenski, der im Rollstuhl  auftritt, der seiner Olga körperlich offensichtlich nicht das geben kann, wonach sie sich sehnt, das wiederum  Onegin verkörpert, der strahlende  Lebemann.  Dessen seelische Verkrüppelungen und Wachstumsdefizite ihn am Ende in den Rollstuhl der Irrenanstalt bringen. Türen begleiten jede Szene, mit ihrem ganzen Spektrum, Träume anzustoßen, der Phantasie Eintritt zu verschaffen, mit Botschaften zu spielen.  Türen als Raumgestalter, deren Lichteinfälle mehr als naturalistische Stimmungen schaffen. Verschiebungen, die mal schützen, dann wieder hemmen, die der Hoffnung einen Riegel vorschieben und dann wieder dem Pöbel Einlass gewähren. Die den Zugang zu anderen Welten anbieten, um dann wieder der Verwundbarkeit Einlass zu gewähren. Jede Bewegung der Türen korrespondiert mit Seelenbewegungen. Eine Inszenierung, deren ergreifende Schlichtheit und Geradlinigkeit nicht verwechselt werden darf mit Unbedarftheit. Deren Raffinesse im Nebenbei zu entdecken ist. Karaman selbst ist mitverantwortlich für das Bühnenbild, die Lichtspiele sind sein Werk. Durchgängig ein hoher, kahler Raum, in dem tausend Räume zu finden wären, mit einer atmosphärischen Düsternis, die von „oben“ kommt, von der kulturellen Verhaftung des Einzelnen wie der Gesellschaft. Mit dem Regisseur für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet Aída-Leonor Guardia. Ein Sessel und eine Kiste im ersten Akt genügen, die Türen erzählen visualisiert den Rest. Der erste und der zweite Akt werden zusammengezogen, die Theaterpause beginnt erst nach dem Duell. Eine kluge, tragende Entscheidung.

Bei den Kostümen zeigt Fabian Posca unendlichen Einfallsreichtum und die Fähigkeit zu Typisierungen. Köstlich, wieviel Mangel an Geschmack er in die Kostüme legt, mit denen das Volk sich fein zu machen versucht. Dann wieder Eleganz, die Onegin und Tatjana auszeichnen. Die Arbeiter, die an Szenen aus Doktor Schiwago und sozialistischen Einheitlichkeitskult erinnern. Zudem zeichnet Posca für die Choreografie verantwortlich. Erstaunlich, zu welcher Präzision er  die Statisterie und das Chorensemble anleitet. Der Chor mit erschütternd schönem Gesang, großer Spielfreude, einstudiert von Jaume Miranda.

Einen großen Tschaikowski-Abend bietet das umjubelte Saarländische Staatsorchester unter Leitung von Andreas Wolf. Die vielfältigen Farben der Musik werden hörbar, eine differenzierte und differenzierende Interpretation.

Mit Eung Kwang Lee in der Rolle des Eugen Onegin und Elena Guseva  als Tatjana gelingen zwei Idealbesetzungen. Zwei ergreifend schöne Stimmen, zwei in Körpersprache und Ausdruck vollendete Mimen.  Bei Judith Braun ist zu spüren, dass sie über das Spiel zur perfekten Intonation gelangt. Sie interpretiert auf souveräne Weise die Rolle der Olga und hat in der wehmütigen, lyrisch gefärbten  Auslegung des Lenski, die Algirdas Drevinskas gelingt, einen absolut ebenbürtigen  Partner.  Als Larina, die Gutsbesitzerin, setzt  Sanja Anastasia ihren kultivierten Mezzosopran ein, Ortrun Wenkel wird überschüttet mit  Ovationen für ihre großartige Darbietung als Amme Filipjejewna. Jiri Sulzenko in der Rolle des Fürsten Gremin, Stefan Röttig als Hauptmann und Saretzki, Janos Ocsovai als Triquet und Chang-Kyu Lim komplementieren ein ausnahmslos begeisterndes Ensemble. Dessen Russisch einfach nur verblüfft, so muttersprachlich, wie es klingt.

Das Publikum ist außer sich  und feiert alle: Von der Statisterie bis zum Regieteam.   Es wird noch reichlich Schampanski fließen in dieser Nacht.

Frank Herkommer



Fotos: Björn Hickmann/stage picture