|
Ars amandi
So inszeniert man Oper! Dagmar Schlingmann, Intendantin am Saarbrücker Staatstheater, gelingt mit ihrer Butterfly-Inszenierung gleich zu Saisonauftakt ein fulminanter und bejubelter Wurf. Sängerinnen und Sänger, denen eine subtile und respektvolle Personenführung erlaubt, ihre Stimmen optimal zum Klang zu bringen. Keine dramaturgische Zumutungen auf Kosten der Atem- und Gesangstechnik. Ausrichtung zum Publikum, ohne den Hauch von Unnatürlichkeit oder Standbild. Im Gegenteil! Die Charaktere treten nur um so deutlicher hervor. Man nehme ein bewegendes Duett der beiden Hauptprotagonisten, stelle sie zu keinem Augenblick auf gleiche Höhe, und schon wird die offensichtlich unaufhebbare kulturelle, geschlechtsspezifische - Schlingmann überlässt diesbezüglich die Interpretation dem mündigen Zuschauer - und reifemäßige Distanz, in diesem Falle zu Gunsten der Jüngeren, sichtbar. Ohne jedes Richten, ohne Parteilichkeit, denn in dieser Inszenierung ist die Unfähigkeit, den anderen zu verstehen, beidseitig. Die ars amandi scheitert an Überhöhungen, Verklärungen, Überfrachtungen, Ausblenden der Erwartungen des jeweils anderen. Spürbares Verständnis für beider Sehnsüchte. Klischees, die nicht bedient werden, Butterfly nicht nur das Opfer, auch weil sie sich selbst aus dieser Rolle befreit. Ihr Suizid ist kein Akt der Verzweiflung, sondern Ausdruck letzter, verteidigter Autonomie. Er nicht nur der erotomanische Täter, nur zu schwach, um gegen den heimatlichen Strom zu schwimmen, wie wir meisten, am Ende gereift und bereit zur Verantwortung. Die Regisseurin arbeitet mit sinnuntermalenden Dia- und Videoeinblendungen aus dem Hause Florian Penner und Nils Pollum. Keine zweite Geschichte, die damit erzählt wird, nichts lenkt ab, nichts wird künstlich implementiert, sie verstärken den Text, illustrieren, verleihen den Emotionen ein Gesicht, geben der Poesie bildlichen Ausdruck. Eine Texttreue, die begeistert, der die Inszenierung zuarbeitet. Eine Geschichte wird so spannend und vereinnahmend erzählt, als habe man sie noch nie vernommen. Eine versteinerte Butterfly, einer Kassandra gleich das Unheil antizipierend, schweigend und verstört zur Zwischenmusik dastehend, zur Salzsäule erstarrt, dazu Video-Überblendungen, mit denen Schlingmann eine parabelhafte Deutung anbietet, nicht aufdrängt. Den Bildern haftet bewusst etwas Schwebendes, Offenes an. Wenn in Nagasaki, dem Ort, an dem Amerika eine zweite Nuklearwaffe „testete“, der Rauch die Sonne verdunkelt, im - atomaren? - Sturm flatternde Stofffetzen eine Ahnung geben von namenlosem Leid, schemenhafte Ruinen von der - nuklearen? - Katastrophe Kunde ablegen. Amerikanische Unreife als tertium comparationis, die den japanischen Müttern und nicht nur Cio- Cio- San ihre Söhne - und Töchter - nimmt.
Die Kostüme, aus der Kreativabteilung von Inge Medert, unterstreichen gekonnt das Regieanliegen. Ein Team, das sichtlich harmoniert, mit Sabine Mader als Bühnenbildnerin. Doppelte Botschaft: Kulturelle Differenzen beschränken sich nicht nur auf unterschiedliche Kulturkreise. Tausend Jahre Ungleichzeitigkeit innerhalb einer Gesellschaft werden sichtbar, wenn bei der gesprengten Hochzeitsfeier der Japantourist von heute neben der klassischen Kimonoträgerin auftritt. Zum anderen wird durch die Verweigerung, die Geschichte eindeutig zeitlich zu verorten, die mythologische Bedeutung des Stoffes, der Antagonismus und die Versöhnung der beiden stärksten Seinsmächte, Liebe und Tod, phantasievoll zum Ausdruck gebracht. Das Bühnenbild von Sabine Mader zeichnet sich aus durch Klarheit, Stringenz und kühle Ästhetik. Kleine Accessoires mit großer Wirkung. Mader verweigert sich jeder Affinität zur rührseligen Operette für Gebildete. Eine exzellente Raumbeherrschung, die allen Erfahrungen und Emotionen eine Plattform ermöglicht.
Das Orchester unter Leitung von Toshiyuki Kamioka, dem beides an diesem Abend gelingt: Puccini in seiner lautmalerischen, gerne ein wenig pathetischen italienischen Verspieltheit wiederzugeben und zugleich einen Hauch von Nippon hörbar werden zu lassen. Feine Zwischentöne, große Musik!
Die Sängerinnen und Sänger. Mit Hye Won Nam wächst eine ganz Große heran! Die junge Koreanerin verzaubert das verwöhnte Saarbrücker Publikum. Zarte Piani, lyrisch, dann wieder ungeheuer expressiv, dramatisch, eine Stimme ohne Pathos und Süßlichkeit, von bühnenfüllender Präsenz. Körpersprache und Singstimme in atemberaubender Kongruenz. Anmut und Leichtigkeit, dann wieder bedrängende Verzweiflung und düstere Bitterkeit. Eine Stimme, die nachklingt bis in die letzten Tiefen der Seele. Eine Schönheit in der körperlichen Ausstrahlung, die das Begehren eines Pinkerton nachvollziehen lässt. Gewaltig die Stimme von Alexandru Badea in der Rolle des Pinkerton. Ein strahlender Tenor mit mächtiger Stimme,von herrlicher baritonaler Färbung, bei der man sich in eine Arena versetzt fühlt. Endlich ein Liebhaber mit erotischer Ausstrahlung. Auch die Nebenrollen brillant besetzt. Judith Braun in der Rolle der Dienerin Suzuki unterstreicht einmal mehr, über welch differenzierte und klangreine Mezzosopranstimme sie verfügt. Der man in den Höhen zutraut, auch eine Sopranpartie ausfüllen zu können. Gefeiert wie Guido Baehr in der Rolle des Konsul Sharpless, der den „anderen“, nachdenklichen Amerikaner repräsentiert. Obama in weiß. Technisch ausgereift, eine Stimme, die in Bann schlägt. Tereza Andrasi überzeugt in der kleinen Rolle der Kate ebenso wie Janos Ocsovai als Goro, Jevgenij Taruntsow als Yamadori und Sung Wo Kim als kahlköpfiger Onkel Bonze. Ausgezeichnet der Opernchor unter Leitung von Jaume Miranda. Ein Flirren und ein düsteres Ahnen liegt in der Luft, ein Anklagen und Aufkündigen. Stimmungsmalerei vom Feinsten.
Das Publikum mit Tendenz zu guten bürgerlichen Tugenden, fein gekleidet, bereit, sich auf die Inszenierung einzulassen, spendet begeisterten langanhaltenden Applaus. Nicht erst zum Schluss. Es kommt nicht oft vor in deutschen Theaterlanden, dass ein Regieteam mit Ovationen überhäuft wird. Aber das Saarland hat sich ja schon immer gerne vom „Reich“ abgehoben.
Frank Herkommer
|
|