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Fakten zur Aufführung 

ATTILA
(Giuseppe Verdi)
31. Mai 2012
(Premiere am 25. Mai 2012)

Teatro dell'Opera di Roma,
Teatro Costanzi

Points of Honor                      

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Regisseur im Graben

Seit einiger Zeit hat sich die römische Oper auf eine ganz eigene Gattung spezialisiert: die des lebendigen Tableaus mit Musik und Gesang. Im Programmheft werden zu solchen Gelegenheiten zwar immer meist ältere Regisseure genannt, die sogar „Regie-Konzepte“ in langen Interviews darlegen, aber es ist schlichtweg keine „Regie“ zu sehen. So auch bei diesem Attila im Teatro Costanzi, dem „großen Haus“ der römischen Oper. Natürlich mögen Italiener die Oper allgemein szenisch eher konservativ-dekorativ, mit aufwändigen Kostümen und ohne viele konzeptionelle Einwirkungen von außen. „Bello“ ist die Richtmarke, wenn der Vorhang aufgeht, und dass die Regie die Musik nicht „stört“. Aber etwas mehr als eine historisierende Modenschau auf Marmorstufen sollte eben doch auch in Italien zu sehen sein, zumal von einem Großen der Oper, wie Pierluigi Pizzi, der Attila heuer zum vierten Mal, nach Florenz, Nimes und Ravenna, auf die Bühne bringt. Dafür gibt es diesmal ein mehr als 200 Seiten umfassendes in Leinen gebundenes Hardcover-Programmbuch, mit einer kompletten Attila-Ikonographie vom Mittelalter bis heute und einem theologisch-philosophischen Beitrag vom Kardinal Gianfranco Ravasi, dem Präsidenten des Päpstlichen Kulturrates.

Weit mehr als Nabucco war der am 17. März 1846 im Teatro La Fenice in Venedig uraufgeführte Attila eine Risorgimento-Oper, seine vielen Chöre und markigen Arien die beste Geheimwaffe der Italiener gegen die österreichischen Besatzer im Norden. Die wussten sehr wohl, welches explosive Potential darin steckte. Die österreichische Zensur wachte mit Argusaugen über jede auf den ersten Blick noch so harmlos erscheinende Liebesgeschichte im antiken Gewand, vor allem wenn sie von Giuseppe Verdi vertont werden sollte. Die Umstände der Uraufführung spielen für Pizzi, der auch für die Ausstattung zeichnet, aber keine Rolle. Er bringt den Römern die in der Nähe von Rom angesiedelte, spätantike Handlung sozusagen direkt in ihre gute Stube, inspiriert sich für seine beweglichen Bühnenbildelemente an antiken römischen Prachtbauten, Marmortreppen und den in Rom allgegenwärtigen Ziegelsteinmauern. Im Sommer wird die Oper in den Caracalla-Termen wiederaufgenommen.

Die Kostüme der Hunnen sind schwarz, prachtvoll und pelzverbrämt, mit viel blanken Musikeln bei der männlichen Statisterie. Rheinländer erinnern sie unweigerlich an die berühmte Hunnenhorde im Karnevalszug. Die unterlegenen Römer tragen graues Sackleinen; nur ihr Anführer Ezio zeigt sich in an den Film Der Gladiator gemahnender Uniform mit schwarzem Brustpanzer. Allein Odabella und Attila werden im Laufe des Abends in flammendem Rot optische Akzente setzen. Attila rettet gleich zu Beginn eigenhändig Papyrusrollen aus den Lagerfeuern seiner unkultivierten Mannen, indem er die Flammen mit seinem Umhang erstickt. Damit erschöpft sich aber auch schon die vom Regisseur im Programmbuch erläuterte Deutung von Attila als einem „Idealisten“. Es ist alleine dem in jeder Hinsicht hervorragenden Ildar Abdrazakov zu verdanken, dass dem Titelhelden trotzdem Interesse und Sympathien des Abends gehören. Er ist ein idealer Kavalier-Attila, mit kraftvoller und doch samtig warmer Stimme, imposanter Statur, ungemeiner Bühnepräsenz - und berückender Brustmuskulatur. Sein Gegenspieler Ezio, dargestellt von Nicola Alaimo, bleibt indes trotz enormer Körperfülle seltsam unpräsent und auch stimmlich matt. Tatjana Serjan gibt eine schlichtweg grandiose Odabella, von der Regie freilich dazu verdammt, ständig symbolschwer Attilas Schwert mit sich herum zu tragen und damit herumzufuchteln. Auch Giuseppe Gipale ist ein glänzender Foresto mit schöner Höhe, auch wenn er stimmlich wie szenisch oft in der puren Masse des 100-köpfigen Chores unterzugehen droht. Als szenische Höhepunkte gibt es die Errichtung eines gigantischen Kreuzes bei Sonnenaufgang im Prolog, an der Grenze zum Sakralkitsch, und den surreal-gleißendhellen Auftritt Papst Gregors des Großen, der sich Attila statuenhaft weiß wie weiland der Komtur in Don Giovanni entgegenstellt.

Im Graben scheint Riccardo Muti indes all das wettmachen zu wollen, was die Bühne den Zuschauern versagt. Ein Schelm der Absicht dahinter vermutet? Tatsache ist: die wahre Regie findet im Orchestergraben statt. Zum einen bringt Muti diesen frühen Verdi trotz all der martialischen Chor- und Gewitterszenen auch wieder dorthin, wo er herkommt: in die Nähe Vincenzo Bellinis. Und er zeichnet dabei minutiös und doch mit unerschütterlichem drive die verblüffende Vielseitigkeit und Spannung dieser Partitur auf, mit manch psychologischem Zwischenton im heroischen Gehabe und mit fast avantgardistisch anmutenden Ensembleszenen. Seit Muti regelmäßig an der römischen Oper dirigiert, haben Chor und Orchester dort einen gewaltigen Qualitätssprung gemacht. Vor allem das Orchester läuft bei Attila wieder zu Hochform auf, allen voran die fantastischen Bläser. Das altersmäßig gut gemischte Publikum dankt der Musik – natürlich - mit frenetischem Applaus.

Sabine Radermacher



Fotos: Silvia Lelli