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Fakten zur Aufführung 

NEW ANGELS
(nach Edgar Allan Poe)
11. Juni 2013
(Premiere)

Ruhrfestspiele,


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Katzenfieber

Nach längerer Suche haben die Ruhrfestspiele eine Industriehalle - wieder - gefunden, in deren Nähe 1947 die Ruhrfestspiele entstanden. Die ehemalige Fördermaschinen-Halle der 1965 geschlossenen Zeche König-Ludwig in Recklinghausen eignet sich für Aufführungen kleinerer Formate und besonderer Formen der Inszenierung. Im Rahmen ihrer Uraufführungen präsentieren die Ruhrfestspiele hier das Musiktheater New Angels, das Motive aus der Kurzgeschichte The Black Cat von Edgar Allan Poe aufnimmt. Das krude Dreiecksverhältnis Ehemann – Ehefrau – Kater Pluto endet in einem Fiasko, in dem nur der – jetzt – einäugige Kater übrig bleibt.

Wenn schwarze Katzen durch eine verlassene Industriehalle streichen, kann das auf empfindliche Gemüter durchaus unheimlich wirken. Sind diese Katzen dann auch noch mehr als menschengroß und tauchen immer wieder auf, sind wir mitten in der Story, die der Engländer Edgar Allan Poe, der Frühmeister der Gruselromane, in seiner Story The Black Cat erzählt. Auf diese absurde Schauergeschichte greifen Martin Haselböck, Frank Hoffmann und Virgil Widrich in New Angels zurück, in der ein Mann, seine Frau und Katzen sich zu einem schwarzen Horrortrip treffen, bei dem schließlich nur der Mann ins Gefängnis geht und eine einäugige Katze übrig bleibt, reichlich Stoff für ein finsteres Bühnenklangbild. Doch das Regiekonzept von Hoffmann abstrahiert diese düstere Geschichte eines langweilig gewordenen Ehealltags und verkrachter, versoffener Existenzen und gibt ihr eine abstrakte Deutung, ohne auf wuchtige Bildsymbolik zu verzichten. Die reicht von der schnurrenden, die Beine des Mannes gierig umspielenden Katzenfrau über den Katzengalgen bis zur bühnenbreit lodernden Feuersbrunst. Bühnenbildner Virgil Widrich und Oleg Polheim, der für die Animation zuständig ist, haben drei hohe Leinwände aufgebaut, die sie zur Projektion realer und abstrakter digital paintings nutzen. Ein sparsames, aber wirkungsvolles Licht unterstreicht vielfach den rätselhaften Charakter der Spielorte. In einem interessanten Mix spielt ein Kammermusikensemble Musik von Johannes Sebastian Bach und David Sylvian.

Die Musik wirkt wie ein spielerisches Verbindungsmittel. Die Songs von David Sylvian geben den passenden Background für die Tänze von Sylvia Camarda und Jean-Guililaune Weis, die sich geschickt als Katzen bewegen. In anderen Passagen erklingen Kantaten von Bach und geben dem gedachten Geschehen eine große Eindringlichkeit. Diese Kombination erweist sich als überaus tragfähig und spannt einen sicheren Spannungsbogen durch die gesamte Aufführung.

Camarda spielt und tanzt eine Katze mit hoher Genauigkeit der Bewegungen und verhalten-verführerischem Sex. Sie wie ihr männlicher Kater-Gegenpart Weis haben die Bewegungen von Katzen genauestens studiert und bringen sie bis auf das kurze Abknicken einer Hand oder den sichernden raschen Seitenblick überzeugend echt auf die Bühne. James Oxley als der Mann bringt mit weichem, schön artikuliertem Tenor berührende Kantaten auf die Bühne, das kleine Orchester spielt diese Kantaten mit großer Eindringlichkeit, um in schnellem Rhythmuswechsel zu der flotten Musik von David Sylvian Tanzsequenzen zu begleiten. Als schwarze Schattenmänner mit dem obligatorischen Agentenhut treten sie daneben noch detektivisch auf.

Die Interpreten des Titels New Angels schwanken zwischen einem Bezug zu einem Bild von Paul Klee und dem Sturm der Zukunft, dem der Engel den Rücken zuwendet, oder einem Abendgebet, das andere Deutungen der Bachkantate Es erhub sich ein Streit zuordnen. So bleibt der Titel wie manche Andeutungen des Bühnenbildes und der Handlungslinien durchaus schemenhaft und lassen der Phantasie der Zuschauer viel Spielraum, etwa wenn der einsame Mann vor seiner Flasche zwei riesigen, ihn aus dem Dunkel anstarrenden Katzenaugen gegenüber sitzt. Gleichwohl sind optischer und musikalischer Eindruck des Stückes zwingend und fesseln bis zum Schluss die Aufmerksamkeit.

Das entspricht dem Gesamteindruck, den die Inszenierung hinterlässt. New Angels lässt sich keinem Genre klar zuordnen, es enthält Musicalelemente ebenso wie Schauspielmerkmale, Bachsche Kantatenklänge ebenso wie Soft-Rock-Passagen, Balletttänzer treten ebenso auf wie ein Operntenor. Das Überraschende ist: die Inszenierung wirkt am stärksten durch ihr hohes Maß an Vereinfachung, Konzentration und ihre sparsamen Mittel, sie wirkt überzeugend und bewegend durch ihre konzeptionelle inszenatorische Geschlossenheit. Selbst animalisch angelegte Erotikszenen bleiben fast kühl abstrakt und dadurch besonders wirksam.

Das offenkundig theatererfahrene Publikum, das sich in dieser rauen Industriehalle trifft, ist begeistert. Es feiert die Darsteller, das Regieteam und das kleine Orchester mit rauschendem Beifall und Bravorufen, die kaum enden wollen.

Horst Dichanz







Fotos: Bohemil Kostohryz