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Fakten zur Aufführung 

DON GIOVANNI
(Wolfgang Amadeus Mozart)
22. März 2014
(Premiere)

Teatr Wielki Poznan


Points of Honor                      

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Gruppenbild mit Sofa

Der italienische Film- und Theaterregisseur Pippo Delbono ist bekannt für seine verstörenden, radikalen Kino- und Bühnenarbeiten, die so starke Titel wie Die Lüge, Angst oder Nach der Schlacht tragen. Es sind gesellschaftskritische, rätselhafte Performances, die zum Assoziieren auffordern – geprägt vom Tanztheater Pina Bauschs, in deren Ensemble er kurz engagiert war. Meist realisiert er die Stücke mit seiner eigenen, 1986 gegründeten Künstlergruppe aus Laienschauspielern, Behinderten und Menschen am Rande der Gesellschaft. Denen gehört sein Herz, besonders Bobó, ein psychisch Erkrankter, den Delbono in einer Anstalt kennenlernte und der für ihn ein unverzichtbarer Darsteller in seinen Inszenierungen geworden ist – auch dann, wenn Delbono an Staatstheatern engagiert ist, wie 2012 bei Erpressung im Münchner Residenztheater und bei Cavalleria rusticana im Teatro San Carlo Neapel oder, aktuell, bei der Posener Neuproduktion des Don Giovanni, seiner zweiten Operninszenierung.

Die Idee von Renata Borowska, der mutigen, um Internationalität bemühten Intendantin des Teatr Wielki, den Theatermacher für Mozarts Musikdrama zu gewinnen, ist angesichts dessen künstlerischen Hintergrunds nur folgerichtig. Dementsprechend waren die Erwartungen hoch, dass der Italiener Mozarts Schwerenöter aus dem Blickwinkel eines Außenseiters, der keine Grenzen kennt, betrachten würde. Der Beginn ist stark. In einem gesprochenen Prolog vor der Ouvertüre erzählt Delbono von Mozarts Tod und Begräbnis in einer Armengruft. Zeitgleich wird erst dessen Porträt und dann ein weiteres Bild eingeblendet – es ist Bobó, zurechtgemacht als alter Mozart – auf den Vorhang projiziert. Als der sich öffnet, sieht man eine Reihe von Körpern nebeneinander liegen, wie Leichen in einem Massengrab. Man ist eingestimmt auf eine Auseinandersetzung mit dem Tod, dem Thanatos, der bei Giovanni mit dem Eros symbiotisch verknüpft ist. D och dann folgt eine konventionell anmutende Inszenierung, die zunehmend enttäuscht, weil sie in oratorischer Statik abläuft und mit den Figuren scheinbar nichts anzufangen weiß. Die Personen stehen beziehungslos nebeneinander, von Emotion selten eine Spur, selbst in Momenten höchster Erregung, wenn etwa Donna Anna den toten Vater findet. Der Einfall, Don Giovanni und Leporello in gleicher Kleidung auftreten zulassen, was wohl die zwei Seiten des Wüstlings spiegeln soll, wird nicht wirklich nachvollziehbar gestaltet. Und warum ständig ein Sofa herein- und wieder herausgetragen wird, auf dem die Personen in abwechselnden Gruppierungen Platz nehmen, bleibt unerfindlich. Nur gelegentlich entstehen Bilder, die sich einprägen: hauptsächlich bei kleinen choreografischen Sequenzen der Solisten und des Chores . Und bestechend ist die Ausstattung: von kühler Schönheit der von Delbono selbst entworfene Raum – ein leeres Gemach, das in immer neuen grauen Tönen exquisit und stimmungsvoll ausgeleuchtet ist; von erlesenem Geschmack die historischen Kostüme von Natalia Kolodziej.

Die szenisch unterforderten Sänger müssen sich weitgehend auf ihre eigene Darstellungskraft verlassen. Das gelingt zu allererst Wioletta Chodowicz, die mit überrumpelndem Furor ihre erste Arie angeht und auch im weiteren Verlauf mit ihrer expressiven Gestaltung der Elvira einen nachhaltigen Stempel aufdrückt. Über einen sehr schönen, ausgeglichenen und warmen Sopran verfügt Iwona Hossa, die der Donna Anna wenigstens stimmliches Gewicht gibt. Jeongki Cho singt den Ottavio so belcantistisch und kernig, dass man bedauert, dass er nur eine seiner beiden Arien vortragen darf. Als Giovanni ist Stanisław Kuflyuk szenisch nicht die Zentralfigur, die er sein sollte, doch zieht sein viriler, markanter Bariton wenigstens vokal in Bann, während sein Alter Ego Leporello in Gestalt von Wojciech Śmiłek auch in der Registerarie zurückhaltender bleibt. Natalia Puczniewska ist eine hübsche, junge Zerlina mit süßem, freilich nicht immer sauber intonierendem Sopran, Krysztof Bączyk ein sympathischer Masetto mit ansprechendem Bassbariton. Rafał Korpik verbreitet als Komtur mit schwarzer Basstiefe seine furchteinflößenden Mahnungen.

Gabriel Chmura scheint am Pult von der szenischen Statik angesteckt worden zu sein. Denn aus dem Ochestergraben klingt es seltsam gemäßigt, bei den Übergängen wackelt es manchmal erheblich, wie überhaupt die Koordination zwischen Bühne und den Instrumentalisten nicht immer klappt. Wie packend Chmura in der Regel zu dirigieren weiß, hört man erst im dramatisch zugespitzten zweiten Finale.

Die Premiere im Teatr Wielki, zu der zahlreiche Zuschauer von außerhalb erschienen sind, ist fast ausverkauft. Die Sänger werden bejubelt, der Regisseur muss viele Buhs einstecken.

Karin Coper







Fotos: Katarzyna Zalewska