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Fakten zur Aufführung 

VANDA
(Antonín Dvořák)
24. April 2014
(Premiere am 15. März 2014)

Theater Osnabrück

Points of Honor                      

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Gesang

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Die Naive und der Rocker-Ritter

Welch eine Musik, mitreißend, vielfarbig, zart ausgebreitet oder kraftvoll intoniert die Szene beherrschend. Ein Bühnenbild, das wuchtig überwältigend doch genügend Spielraum für die Phantasie der Zuschauer lässt, ein Chor mit jederzeit präsenter Klangfülle. – Und doch bleibt die Handlung entfernt, bleiben die Charaktere kühl, ein wenig jenseitig entrückt, wirken die reichlich vorhandenen dramatischen Verwicklungen in der Darstellung häufig aufgesetzt.

Vanda, die Königstochter, ist eine Prinzessin „von der traurigen Gestalt“. Ihre Naivität und politische Unerfahrenheit macht Regisseur Lehmeier „zum Schlüssel der Erzählung“ und wählt damit einen eher schwachen Angelpunkt. Der Fürstin von Krakau und Tochter des vom Volk verehrten polnischen Königs Krak gibt Lina Liu durchgehend weltentrückte melancholische Züge. Vanda wartet vergeblich auf den Ritter Slavoj, ihren „Richtigen“, der leider politisch der „Falsche“ ist, weist den politisch „Richtigen“, den fordernden Herzog Roderich zurück, der für sie der Falsche ist. Sie schwört den Göttern einen verhängnisvollen Schwur, um das Kriegsglück für ihr Volk zu wenden, und muss dann, „Schwur bleibt Schwur“, wie ihr der zwielichtige Hohe Priester versichert, in die kalte Weichsel steigen – für immer.

Die Figur der Fürstin Vanda spukt seit etwa 1200 durch die verschiedenen polnischen Legenden, Sagen und Anekdoten, ist mehr Mythos als reale Figur. In Literatur und Musik hat sie bis in die neueste Zeit unzählige Bearbeitungen in Dichtung und Musik erfahren und dabei zahllose Schattierungen erhalten. In einem Beitrag über das Vanda-Libretto spricht die Musikwissenschaftlerin Jarmila Gabrielová von bis zu 200 Variationen, die sich in der polnischen Tradition zur Figur von Vanda finden lassen. Kein Wunder, dass es für Dvořák schwierig war, ein „gültiges“ Libretto zu finden. Er greift auf die Texte zweier tschechischer Dichter zurück, die auch der Osnabrücker Aufführung zugrunde liegen. Diese Fassung betont das tragische Dilemma Vandas zwischen ihrer politischen Verpflichtung und ihrer verbotenen Liebe. Diese zwischen Historie und Mythos changierende Version wählt Lehmeier und stellt damit die Figur der Vanda in den Mittelpunkt.

Dvořáks selten gespielte Oper erfährt mit der Inszenierung in Osnabrück ihre deutsche Erstaufführung. Sie präsentiert Figuren, die alle in einem Bruch zur Wirklichkeit stehen. Lina Liu singt und spielt eine leicht weltfremd wirkende Königstochter mit großer Eindringlichkeit und einem hellen tragenden Sopran mit melancholischer Note. Per Hakan Precht gibt einen etwas bräsig-rockigen Ritter Slavoj, dessen klare Tenorstimme häufig hart wirkt. Daniel Moon mit weichem Tenor in der merkwürdigen Gestalt des dandyhaft gezeichneten deutschen Herzogs Roderich mit goldblond behaartem Schopf kann auch weiß-golden befrackt Vandas Herz nicht erweichen. Standesgemäß besiegt ihn in Rittermanier Slavoj, aber schenkt ihm ritterlich das Leben. Im Laufe des Abends immer eindrucksvoller und stimmlich sehr präsent spielt Susann Vent die Bozena, die Schwester Vandas. Sie ist insgeheim wohl mehr an der Krone interessiert als ihre vom Vater auserwählte Schwester Vanda. Doch beim Griff nach der Krone zittern ihr die Hände – sie greift vergeblich. Oleg Korotkov zeugt mit voluminösem Bass von der Unergründlichkeit und Verschlagenheit des Hohen Priesters, der sein wahres Gesicht hinter einer Maske verbirgt.

Besonderes Lob gilt dem Einsatz des Chores. Sowohl darstellerisch wie klanglich wird er zu einer wichtigen Stütze der Aufführung. Tom Musch kleidet den Chor durchgehend schlicht, aber wirksam, die Damen im „kleinen Schwarzen“ und Pumps, die Herren im schwarzen Anzug und schwarzem Hut. Als schwarzer Block ist der Chor auf diese Weise zeitlos präsent und bildet häufig, stimmlich bestens eingestellt, einen wichtigen Kontrast zum Bühnenbild. Auch hier kann Musch voll zugreifen und kombiniert Bühnen beherrschende Dekorationen mit verrückten Stücken und Einfällen. Den Mittelpunkt der Bühne bildet ein großer Granitblock – Königsthron, Opferstein oder Tor zur Hölle – je nach Bedarf. Eine riesige OP-Lampe beleuchtet mal grell und scharf, mal blutrot rätselhaft die Szene. Beeindruckend im dritten Akt die abgedunkelte Bühne mit schwarzen Schattenfiguren während einer Messe zu Ehren des Schwarzgottes Tschernobog und seiner Priesterin Homena , in deren finstere Welt durch einen Türspalt ein scharfer Lichtstrahl fällt. Polen ist noch nicht christianisiert, die Götterwelt vielfältig. Davor eine Zylinderfigur mit Kelch – ein Stimmungsaufheller, Christi Blut oder der Giftbecher…? Stimmungen, Andeutungen, Phantasien genug. Vieles bleibt rätselhaft, wird nicht aufgelöst.

Kein Zweifel, Kern- und Angelpunkt dieser phantasievollen Inszenierung ist die wundervolle Musik Dvořáks. Sie entschädigt für manche Ungereimtheiten auf der Bühne. Mino Marani, der in dieser Aufführung das Osnabrücker Symphonieorchester leitet, präsentiert ein bestens vorbereitetes Ensemble, das mit Spiellust Dvořáks neue, moderne Klänge ausbreitet, manches klassische Zitat wiederholt und mit Tempo böhmische Tanzweisen anspielt. Ob die transzendenten fernen Klänge der Ouvertüre oder die unvermutet herein brechenden Gewitterdonner – Marani und sein Orchester präsentieren einen Dvořák, von dem man sich gern mehr wünscht.

Das empfindet auch das Publikum so und bedankt sich – westfälisch zurückhaltend – mit intensivem Beifall und manchem Bravoruf für einen Dvořák-Abend, der vor allem seiner Musik wegen gewinnt.

Horst Dichanz

 



Fotos: Jörg Landsberg