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Fakten zur Aufführung 

LA BOHÈME
(Giacomo Puccini)
26. Oktober 2013
(Premiere am 28. September 2013)

Theater Osnabrück

Points of Honor                      

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Mimi minimalistisch

Der niederländische Nachwuchsregisseur Floris Vissier macht in den Niederlanden von sich reden und wird mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. In Osnabrück inszeniert er Puccinis La Bohème und kühlt diese spätromantische Oper auf 0-Grad-Niveau ab.

Dieuweke van Rej ersetzt die übliche Dachkammer, das kümmerliche Zuhause von Mimi, durch eine Flucht zweier kahler grauweißer Wände, die seitlich in die Tiefe der Bühne führen: Abendliche Strasse, Künstlertreff, der legendäre Marktplatz um das Café Momus oder... Eingang in die Welt des Todes? Alles mögliche Interpretationen, die Vissier dem Zuschauer überlässt. Als einziger Farbtupfer erscheint ein Bündel knallroter Luftballons auf den vorweihnachtlich belebten Straßen. Dazwischen agieren und singen die Protagonisten sparsam, oft im Stehgesang, es gibt wenig Bewegung. Das Licht schwankt zwischen kaltem Weiß und noch kühlerem Blau und verleiht der Szene eine unwirtliche, meist düstere Atmosphäre – die Luft, in der die Künstler und Mimi leben? Schwer vorzustellen, dass eine Gruppe von Künstlern selbst unter schwierigen äußeren Bedingungen so freud- und einfallslos mitten in Paris leben soll, von Henri Murgers farbfrohen Künstlerszenen seiner literarischen Vorlage bleibt nichts übrig. Ähnlich sparsam erfolgt die Figurenführung. Ob es die Liebes- oder Verzweiflungsszenen von Mimi und Rodolfo sind oder ein merkwürdiges Duell zwischen Colline und Schaunard , das zu einem hölzernen Fechtkampf gerät – gespielt wird hier wenig.

Das gilt leider auch für die Hauptdarsteller, deren darstellerische Anstrengungen sehr begrenzt bleiben und oft steif wirken. So füllen weder Lina Lui als Mimi noch JunHo You als Rodolfo ihre Rollen aus. Stimmlich steigert sich Lina Lui zu einem dramatischen Sopran, vor allem im zweiten Teil überzeugt und berührt sie mit bewegenden Arien. JunHo Yous Tenor bleibt lange Zeit blass und ohne Glanz, ehe er erst im vierten Akt dramatische Akzente setzen kann. Lediglich Daniel Moon als Marcello und Susann Vent als Musetta ragen stimmlich wie darstellerisch hervor, geben ihren Figuren mehr Leben und Temperament. Auch Michael Dahmen in der etwas dankbareren Rolle des Musikers gefällt mit klarem Bariton. Shadi Torbey mit vollem Bass überzeugt als Philosoph Colline.

Chor und Kinderchor unterstützen die Solopartien mit präzisem und wohlklingendem Chorgesang. Andreas Hotz führt das Osnabrücker Symphonieorchester zu einer zurückhaltenden Interpretation, die den Solisten bis auf wenige Stellen den Vorzug lässt. Die vielfachen Leitmotive werden in wechselnder Farbe und Instrumentierung gefühlvoll herausgespielt.

Der ruhige, aber eindrucksvolle Abgang der sterbenden Mimi an der Hand des Todes in den dunklen Bühnenhintergrund beendet einen Opernabend, dessen Stimmung vor allem der Musik zu danken ist. Vissier hat die Melodramatik der Oper so weit abgekühlt, dass szenisch kaum noch etwas von der Einheit von Musik und Handlung übrig bleibt, die Puccini so wichtig war.

Das Publikum, altersmäßig erfreulich gemischt, hat sich mit diesem Konzept angefreundet und genießt vor allem die musikalischen Leistungen des Abends, die ein gut Stück weit auf das Konto von Chor und Orchester gehen. Sänger und Chor erhalten reichlich Beifall, ob das auch für die Regie gilt, bleibt unklar.

Horst Dichanz

 



Fotos: Jörg Landsberg