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Fakten zur Aufführung 

AIDA
(Giuseppe Verdi)
3. März 2012
(Premiere)

Theater Osnabrück


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Der Oscar geht an Radames

Am Anfang der Osnabrücker Aida liegt die graue, leere Bühne, die nach hinten hin schräg zuläuft, vor dem Zuschauer offen. Zwei weiße lange, Festtafeln sowie einige Schädel afrikanischen Wilds sind die einzige Dekoration. Dieses ägyptische Wohnzimmer von Étienne Pluss haut wahrlich nicht um, ebenso wenig wie seine Kostüme mit schwarzen Anzügen bei den Herren und leicht erotischen Roben bei den Damen, die sich zuweilen auch in Unterwäsche zeigen müssen. Ganz offensichtlich dient die Mode nur dazu, die Dekadenz des Systems zu unterstreichen. Womit man auch beim Hauptansatz der Regie wäre: Ägyptische Verortung kann man bei Yona Kim nur in grellen, poppigen Zitaten feststellen, ansonsten ist man zu Gast bei einem beliebigen Militär-System korrupter Macht. Zugegeben ist es recht einleuchtend, wie Oberpriester Ramphis, dessen Verhältnis zu seinem Protegé Radames anfangs auch sehr gut beleuchtet wird, selbst den senilen König als Marionette gebraucht. Zuweilen gerät Ramphis selbst aus der Fassung und wird beinahe Opfer des Mobs, wenn sich die Geschichte verselbstständigt. Ebenso verselbstständigt sich die Inszenierung und stellt gerade in den großen Chorszenen eine Peinlichkeit nach der anderen auf die Bühne. Zum Triumphzug muss der Chor so ziemlich jede abgedroschene Aktion des modernen Regietheaters darstellen. Immerhin beweist die musikalische Beherrschung, wie sicher Holger Krause die Sängerinnen und Sänger auf seine Aufgaben vorbereitet hat. Nicht nur stimmlich werfen sich Chor und Extrachor des Theaters Osnabrück richtig ins Zeug, um die teilweise haarsträubenden Aktionen durchzuführen: Weihrauch wird orgiastisch eingeatmet, blonde Perücken werden im Takt ausgeschüttelt, Gefangene werden mit Brot, Zigarette und Lippenstift gedemütigt, die schönsten Takte von Verdis Musik müssen mit Gekreische unterlegt werden. Das Siegeszeichen, das Amneris Radames nach seinem Sieg überreicht, hat – Zufall? – auffallend Ähnlichkeit mit dem Oscar, der noch vor einer Woche verliehen wurde. Nicht besser steht es um die intimen Momente, was besonders schade ist, da man bei Yona Kim auch hier kluge Ansätze erkennt. Das Verhältnis zwiscehn Amneris und Aida zeigt deutlich, dass die beiden unter anderen Umständen sogar Freundinnen hätten werden können. Aber in den meisten Fällen stehen die Personen sehr unbeholfen nebeneinander an der Rampe. Das wird dem Nilakt zum Verhängnis, der selten so spannungslos war. Das Ende wird von Yona Kim entromantisiert: Aida hilft Radames noch beim Selbstmord, dann tritt sie mit ihrem Vater Amonasro die Flucht in die Heimat an, was etwas verwundert, da man nur wenige Minuten zuvor in der Übersetzungsanlage an den Seiten gelesen hatte, dass Amonasro auf der Flucht getötet wurde. Alles in allem hat die Regie einige kluge Ansätze, die aber letztlich nur so umgesetzt werden, dass Verdis Musik gnadenlos parodiert wird.

Und dabei gibt es so viel zu hören in der musikalischen Umsetzung, teilweise zu viel: Denn die Musiker unter der Gesamtleitung von Daniel Inbal vereinen sich gerne zum großen Forte-Effekt, der durchaus Eindruck macht und vom Publikum auch begeistert honoriert wird. Allerdings grenzt dieses Forte zuweilen an Krach, für die Sänger ist es hörbar nur noch Material singen, und könnte auch zwei Theater mühelos füllen. Dafür entschädigt aber, dass das Osnabrücker Symphonieorchester sich ansonsten in guter Form präsentiert und einen herrlichen Verdi spielt. Vor allem die Blechbläser und die Bläserphilharmonie Osnabrück unter der Leitung von Jens Schröer muss man für die sichere Umsetzung des Triumphmarsches loben. Daniel Inbal dirigiert auswändig und hätte nur das Forte mehr in den Griff bekommen müssen, um eine wirklich dynamisch ausgefeilte Interpretation zu erreichen. Es ist sein Verdienst, dass man Verdis Musik angesichts der szenischen Peinlichkeiten noch ernst nehmen kann.

Unter diesen Bedingungen ist die Leistung der Sänger zu würdigen: Jeniece Goldbourne ist eine leidenschaftliche, stolze Amneris mit einem beachtlichem Brustregister, die jedoch Schwierigkeiten mit den Registerübergängen hat. Ricardo Tamura lässt sich nach einer Erkältung trotz nahezu vorhandener Stimme ansagen und entzieht sich somit sogar der an sich positiven Kritik, die ansich angebracht wäre. Etwas mehr Vertrauen in die stimmlichen Möglichkeiten wäre wünschenswert. Als Darsteller bleibt er allerdings blass und teilt damit das Schicksal der Titelheldin. Lina Liu schafft es nicht mit den unbeholfenen Gesten und mit kaum vorhandener Mimik, der Rolle das Profil zu geben, was ihre Stimme so fantastisch macht. Ihr wunderschön klingender Sopran bricht sich oftmals wie ein Lichtstrahl durch die krachledernen Ensembleszenen, ihre Arien sind ein Traum für den Legato-Gesang. Eine Sängerin für eine Aida-CD. Daniel Moon ist trotz markantem Bariton und grau gefärbten Haaren für den Amonasro zu jung. Mark Sampson klingt als tattriger König auch etwas blass und Genadijus Bergorulko singt und spielt den intriganten Ramphis mit viel Elan, bleibt der Musik aber das bedrohliche Bass-Fundament schuldig.

Im Publikum sitzen einige Lokalpatrioten, die die Leistung der Sänger mit wilden Bravo-Rufen würdigen. Als das Regie-Team nach vorne tritt, wird der Applaus merklich weniger, zwei Bravo-Rufer bedanken sich für die moderne Umsetzung, der Rest wirkt beinahe gelangweilt, einige hören sogar auf zu klatschen. Eine gute Reaktion auf die szenische Über-Interpretation, denn der befürchtete Buh-Sturm hätte der Inszenierung den Ruf eines Skandals erschaffen, was heutzutage ja fast mehr wert ist als eine handwerklich gut gemachte Regiearbeit.

Christoph Broermann







Fotos:
Jörg Landsberg
,
Uwe Lewandowski