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Fakten zur Aufführung 

DIE VERSUCHUNG DES HEILIGEN ANTONIUS
(Ulrich Kreppein)
21. Juni 2012
(Premiere am 8. Mai 2012)

Oldenburgisches Staatstheater


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Das Weltall ist leer

Es ist schon viel, was sich dieser Antonius, der später der Heilige wird,  alles zumutet. Er zieht sich als Eremit zurück in die Wüste, quält sich mit Selbstkasteiungen und Schuldvorwürfen, stolpert durch verschiedene Religionsirrgärten, ohne einen Weg zu finden, sucht nach dem Übergang der irdischen Götter zur himmlischen Materie - und begegnet trotzdem dem übergroßen Teufel, wird seinen Hang zur Wollust nicht los. Er sieht die Götter sterben und stürzt nach einem Flugversuch zu den Sternen zur Erde zurück, ohne sich wie ersehnt mit der Materie zu vereinen – ein krudes Knäuel wirrer Gedanken, Ideen und Assoziationen, aus denen sich nur schwer ein Libretto formen lässt.

Dass der Zuschauer zuerst dem Teufel begegnet, ist folgerichtig und dramaturgisch geschickt. Vielleicht bilden die zwei rot erleuchteten Teufelshörner den einzigen roten Faden, den die Regie von Alexander Fahima zulässt. Einen Handlungsfaden, gar sich entwickelnde Plots oder eine Handlungslogik sucht der Zuschauer vergebens - die Gedankensprünge des Antonius irrlichtern durch eine Welt voller Fragen und Täuschungen, die keine Antwort zulassen. Auch der Flug ins Weltall, videotechnisch geschickt umgesetzt,  zu dem der teuflische Hilarion Antonius „verführt“, erreicht die himmlischen Sphären nicht, die Antonius zu hören hofft. Er stürzt enttäuscht der Erde und seinem Ende entgegen.

Die Librettisten Patrick Hahn und Martina Stütz und Regisseur Alexander Fahima haben keine andere Wahl, als Entwicklung, Spannung und  einzelne Phasen durch die Partien vor allem von Antonius, Hilarion  und dem Chor zu entwickeln, anders lässt sich die „hypertrophe Fülle“ der Phantasmen des Antonius gar nicht darstellen. Das führt, fast unvermeidlich, zu einer Überladung der eingeblendeten Textpassagen, die zu lang,  zu komplex und obendrein optisch zu klein geraten sind. Andere Regieeinfälle überzeugen unmittelbar: Der gläserne Käfig, in den sich Antonius als seine Höhle freiwillig verkriecht, erlaubt zwar den Blick auf den verzweifelten Eremiten, verstellt ihm selbst aber den Blick auf die reale Welt. Mit dem Auftritt der Königin von Saba verwandelt sich der Glaskasten in einen Schrein, in dem die Königin wie eine Madonna auftritt, schließlich reicht er zur Andeutung eines brennenden Scheiterhaufens.

Paul Brady gibt mit angenehmer Bariton-Songstimme einen überzeugenden Antonius, dem vor allem in den dramatischen Phasen die Erfahrung anzumerken ist. Er ist der Anker dieser Inszenierung. Spitzfindig und windig spielt und singt Michael Pegher in Tenorlage den teuflischen Hilarion in vielen Varianten, ergänzt durch kleinere Teufel-Partien, in denen Peter Felix Bauer und Henry Kiichi überzeugen.  Rene Schack als Appolonius und René Oley  als Damis zeigen eine  merkwürdige Mischung aus Teufel und Bischof, sie sind leider schwer zu verstehen.

Herausragend aus den weiteren kleineren Partien ist Marcia Parks als Alte beziehungsweise Tod, die mal hinterlistig-gruselig, mal in klarer Diktion ihre Gestalten leben und sterben lässt. Das Vokalensemble, das Ute Biniaß und Anja Rabsilber vorbereitet haben, setzt zuverlässige Akzente oder breitet romantische Klänge aus. Die Musik von Ulrich Kreppein bedient sich aller Klangmöglichkeiten des modernen Musikschaffens, um die Versuchungen und Desorientierungen des Antonius musikalisch zu interpretieren: Von schrill-dramatischen Dissonanzen über die sphärischen Himmelsklänge bis zu romantischen Passagen ergänzt das gut eingestellte Orchester unter Lennart Dohms und Barbara Kler die häufigen Stimmungswechsel des Stückes.

Die Interpretationen der Geschichte des Heiligen Antonius reichen in der Kunstgeschichte bis ins 10. Jahrhundert zurück und haben Maler, Dichter und Komponisten immer wieder beschäftigt. Am bekanntesten dürften die bildlichen Darstellungen von H. Bosch, Salvatore Dali  und Max Ernst, musikalisch Paul Hindemiths Symphonie Mathis 1934 und literarisch Flauberts Roman von 1874 geworden sein. Hieran orientieren sich Patrick Hahn und Martina Stütz bei ihrer  Textfassung. Aus dem überladenen Roman einen Bühnenstoff zu schaffen, erweist sich allerdings als kaum möglich. Die geballte Selbstreflexion, die grenzenlosen Zweifel und religiös-philosophischen Träumereien des Antonius lassen sich nur schwer darstellerisch fassen und sind deshalb auf überladene Texte und Gesangspartien angewiesen, denen der Zuschauer kaum folgen kann.

Es ist eigentlich ein spannendes Projekt, einer Gruppe von musikalisch arbeitenden Kunststudenten die Aufgabe zu stellen, einen Stoff, den der französische Romancier Gustave Flaubert 1874 zu einem szenischen Roman niederschrieb, eine musikalische Bühnenfassung zu geben. Der haben sich Studierende der „Akademie für Musiktheater“ gestellt und sich dabei ein wenig übernommen. In einer Zeit, in der Konsum und Vergnügen zu wertähnlichen Matrices geworden sind, ausgerechnet einen scheiternden Eremiten zum Hauptprotagonisten eines Bühnenwerkes zu machen, muss entweder einer präzisen Regieidee mit klarer Aussage folgen oder ein buntes Allerlei anbieten. Den Zuschauern fällt es schwer, eine solche Regielinie zu erkennen, experimentoffen bedanken sie sich mit reichlichem Beifall, der vor allem den Sängerinnen und Sängern gilt.

Horst Dichanz

 

Fotos: Hans Jörg Michel