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Fakten zur Aufführung 

KÁtja KabanovÁ
(Leoš Janáček)
10. März 2012
(Premiere)

Oldenburgisches Staatstheater


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

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Nach der Premiere

Die Regiearbeit der jungen US-amerikanischen Regisseurin Lydia Steier überzeugt das Oldenburger Publikum bereits zum zweiten Mal. (3'48).


 

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Püppchen, dreh dich

Katja ist eine junge Frau, die durch eigene wie anerzogene moralische und religiöse Ansprüche und die vorgeblich und scheinheilig starren Konventionen der in Wahrheit durch Bigotterie ausgezeichneten Gesellschaft einer Kleinstadt in den Tod getrieben wird.

Lydia Steiers Inszenierung setzt dort an, wo Janáčeks Musik bereits alles offen legt. Sie konzentriert sich auf das Psychogramm Katjas, die – wie eigentlich alle Figuren auf der Bühne – eingezwängt in ein sozial-moralisches Korsett nur wie eine Marionette agieren kann. Psychisch misshandelt durch die Schwiegermutter und missverstanden vom Ehemann, und in dieser Inszenierung dazu noch von der eigenen Tochter entfremdet, lechzt Katja nach Liebe. Die projiziert sie auf den naiv-sentimentalen Boris, der ebenso nur eine wehrlose Puppe in den Händen seines Onkels ist. Während sogar der orthodoxe Priester sich des Nachts sexuell vergnügt und die Schwiegermutter sich mit dem brutalen Onkel von Boris die Zeit vertreibt und tagsüber moralische Verwerflichkeit als Sünde bezeichnet, ist das Paar Katja und Boris naiv und unschuldig, kaum des Ehebruchs fähig. Steier führt wirkungsvoll eine weitere Figur ein – Katjas Tochter, eindringlich und fast beklemmend ernst gespielt von der kleinen Luna Klingspohr. In diesem Kind bahnt sich drohend an, was der Mutter einst selber widerfahren ist. Wie eine Puppe gekleidet und mit einer Puppe als Spielzeug, aus der familieneigenen Puppenmanufaktur, wird sie auf die Rolle als machtloses Objekt patriarchaler Wunschfantasien vorbereitet. So ist es am Ende die Tochter, die die Puppe im Kostüm ihrer Mutter in den Tod fallen lässt.

Genial wird die neue Drehbühne des frisch renovierten großen Hauses eingesetzt. In enger Zusammenarbeit mit den Ideen der Regisseurin setzt Bühnenbildner Flurin Borg Madsen drei Kulissen abwechselnd ein, unterstützt von der Lichtdisposition von Philipp Wiechert: Scherenschnitte vor einer von Kudrjasch gemalten schwarz-weißen Wolgalandschaft, ein trapezförmig nach hinten zulaufendes Wohnzimmer, das einer Puppenstube gleicht und das im letzten Teil der Oper der Wände beraubt ein schwarzes Gerippe übrig lässt; letztlich eine Puppenmanufaktur, in der die Herstellung durch lebendige Puppen-Arbeiterinnen stattfindet. Das Gewitter wird passend zur leblos-künstlichen Lebenswelt durch gemalte Wolken aus Pappe dargestellt. Ergänzt durch die puppenhaft weiß und rosa geschminkten Gesichter und kunstvolle Frisuren, entfalten die fantasievollen Kostüme von Ursula Kudrna aus der Zeit der Jahrhundertwende ihre Wirkung.

In der Titelpartie als Katja spielt und singt Valérie Suty bravourös mit Feingefühl und enormer Hingabe. Mit greifbarer Intensität ihres Spiels setzt sie die Zerrissenheit Katjas stimmlich mit eindringlich markantem Sopran um. Ebenfalls gesanglich und darstellerisch hervorragend Jayne Casselman als grausame Schwiegermutter Kabanicha und der expressive, überraschend helle Mezzo von Stefanie Schäfer als Varvara. Selten findet man drei fast gleichwertige Tenorpartien auf einer Bühne, die dazu allesamt aus dem Hausensemble besetzt sind. Mit agilem und schlankem Tenor überzeugt der junge Michael J. Pegher auch darstellerisch als Kudrjasch, Daniel Ohlmann singt den Liebhaber Boris mit emotionalem Spiel und runder warmer Stimme; anschaulich und wandlungsfähig gibt Alexej Kosarev den Ehemann Katjas Tichon mit eindringlicher Stimme. Daniel Henriks als Dikoj gestaltet seine Partie mit warmem, virilem Bass. Auch die Nebenpartien sind mit Henry Kiichli und der wandelbaren Annekathrin Kupke und Sharon Starkmann passend besetzt.

Der Opernchor unter der Leitung von Thomas Bönisch ist wie gewohnt voll bei der Sache und besticht durch Konzentration und Geduld in der darstellerischen Arbeit. Hervorzuheben ist die beeindruckende Leistung der Sänger, die Oper auf Tschechisch einstudiert zu haben. 

Das Oldenburgische Staatsorchester unter der Leitung von Thomas Dorsch spielt die Musik Janáčeks differenziert und dynamisch variabel mit bilderreichen Passagen, mit kleinen Abstrichen bei den Bläsern.

Das Publikum ist nach dem kurzweiligen Abend überaus angetan und lohnt das mit anerkennendem Applaus und Bravorufen vor allem für Valérie Suty und das Regieteam.

Das Oldenburgische Staatstheater beweist ein weiteres Mal, dass eine (Wieder-)Belebung dieser Oper durch qualitätvolles Regietheater lohnt, um sie so einem breiten Publikum zugänglich zu machen.

Miriam Rosenbohm

Fotos: Andreas J. Etter