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Fakten zur Aufführung 

FAUST (MARGARETE)
(Charles Gounod)
18. März 2012
(Premiere am 7. März 2010)

Oldenburgisches Staatstheater


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Die Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft

In der Inszenierung von Elisabeth Stöppler geschieht etwas Eigenartiges: Die Interpretation verselbstständigt sich, und es entsteht eine kaum trennbare Symbiose von Szene, Libretto und Musik. Gepaart mit der außerordentlich schönen Musik Gounods überzeugt die keinesfalls konventionelle und trotzdem nicht destruktive Inszenierung selbst Gegner des Regietheaters. Statt erwarteter Massen-Ballettszenen und angestrengter Darstellung des mephistophelischen Reichs, reduziert Stöppler das Personal wirkungsvoll, ohne an den falschen Stellen zu sparen. So wird beispielsweise die Walpurgisnacht mit der mal pompösen, mal spielerischen Musik auf einen subtil choreographierten Striptease auf der Theke begrenzt, der – nicht nur – Faust die Sinne rauben soll. Dabei sind überraschenderweise auf so manchem Gesicht im Publikum nicht empörte, sondern überaus wohlwollende Blicke über die gelungene Darbietung festzustellen. Denn Viktoria Rust tanzt als Essenz der Verführung keineswegs „billig“, sondern grazil und geschmeidig, mit perfekter Körperbeherrschung. Eine weitere gelungene Umdeutung der Musik geschieht in den Szenen der Soldaten, in denen die Marschmusik zu einem ironischen Kommentar der Kriegsschrecken wird. Hier passiert eine punktgenaue, stichhaltige Aktualisierung, bei der die Frage aufkommt, ob Gounod nicht genau diese Ironisierung ausdrücken wollte. Eingebettet ist die Geschichte um den unzufriedenen Faust in eine Rahmenhandlung, die noch vor dem Vorspiel mit zunächst Verwirrung stiftender jazziger Musik vom Band eingeleitet wird: der wohlhabende Faust steckt in einer eingefahrenen und unbefriedigenden Ehe. Das Ehebett, das die erste Szene beherrscht, bleibt kalt, seine Frau teilnahmslos. Der Kreis schließt sich, wenn der letztlich gescheiterte und von Reue gebrochene Faust von Mephisto wieder seinem alten Leben an der Seite seiner Frau zugeführt wird. Ein logischer Kunstgriff, der alles Erlebte in Frage stellt und einen zyklischen Neubeginn ermöglicht. Der eigentliche Fokus Stöpplers liegt aber auf dem Schicksal Margaretes, die als Frau an den Konventionen ihrer Zeit zerbricht. Sie endet als Kindsmörderin, als Folge ihrer aus heutiger Sicht natürlichen Liebesaffäre und dem Druck der Gesellschaft, die außerehelichen Sex ablehnt. Die Kritik an den Missständen der sexuellen Aufklärung und den damaligen Frauenrechten wird dadurch geübt, dass Goethe Margaretes perspektivloses Handeln durch die himmlische Rettung relativiert und sie nicht noch im Tod den Mächten der Hölle ausliefert, im Gegensatz zum realen Fall der Susanna Margaretha Brandt, deren schreckliches Schicksal Goethe Zeit seines Lebens beschäftigte. Stöppler inszeniert die seelischen und körperlichen Qualen Margaretes packend und erschütternd, unterstützt von der verstörend schönen Musik Gounods, so dass mancher Zuschauer die Oper wohl ein bisschen feministischer verlässt.

Das Bühnenbild von Rebecca Ringst besticht durch Funktionalität und wirkungsvolle Effekte. Es lässt Raum zur Differenzierung der Figuren. Ein wichtiges Element ist ein schwarzer fahrbarer Kasten, der als Fenster, als Sitzfläche für den Chor, als Gretchens Zimmer und als Theke seinen Zweck erfüllt. Farblich je nach Notwendigkeit bunt angestrahlte Vorhänge begrenzen die Bühne. Nach der Pause bleibt der nackte, weiße und durchscheinende Vorhang, der mit einem aufschreckenden Knall auf den Boden fällt und so die dämonische Kirchenszene einleitet. Dem Publikum wird durch den Effekt von bewusst blendenden Scheinwerfern die brutale Szene zwischen Mephisto und Margarete unwirklich und furchteinflößend vorgeführt. Die Kostüme von Ingo Krügler schwanken wie Stöpplers Inszenierung zwischen obligatorisch konventionellen Elementen, wie Schmuck und Kleid für Margarete, und frischen Ideen wie den knallbunten Ballkleidern der Damen.

Fast allgegenwärtig und sicher einer der Höhepunkte des Abends sind Chor und Extrachor des Oldenburgischen Staatstheaters unter der Leitung von Thomas Bönisch. Nicht nur musikalisch ist es eine Choroper, auch darstellerisch überzeugt der Chor durch Engagement und spürbare Spielfreude. Besonders rührende Momente, die Teile des Publikums schlucken lassen, gelingen mit den Chorälen nach dem Tod Valentins und zum Schluss der Oper, als die himmlische Antwort auf den Fluch des Satans überraschenderweise vom dritten Rang aus in den Zuschauerraum dringt.

Das Oldenburgische Staatsorchester, ebenfalls von Bönisch geleitet, setzt die bilderreiche Sprache Gounods feinfühlig um, obwohl stellenweise ein akkurateres Spiel wünschenswert wäre.

Rolf Romei als Faust singt die schwierige Partie solide mit schönen Passagen. Dem Publikum besonders ans Herz gewachsen ist Mareke Freudenberg als Margarete. Sie singt mit jugendlich klarem Sopran und beeindruckt durch ihren darstellerischen Einsatz. Passenderweise teuflisch böse im Spiel und gesanglich ausdrucksstark ist Andrey Valiguras in der Rolle des Mephistopheles. Linda Sommerhage in der Hosenrolle des Siébel, die wunderbar innig mit rundem Volumen ihre Solopassagen singt, sticht stimmlich positiv hervor. Paul Brady singt den Valentin mit schönem piano und überzeugt besonders als Darsteller, ebenso wie Annekathrin Kupke als Marthe mit ihrem trashig-koketten Spiel für den ein oder anderen Lacher sorgt. Insgesamt scheint es den Akteuren auf der Bühne durch die harmonische Personenführung leicht zu fallen, natürlich und gefühlvoll zu spielen. Stöpplers Faust ist ein Beispiel für nahezu perfekte Regiearbeit.

Im nicht ausverkauften Zuschauerraum ist es zunächst etwas unruhig, nach der Pause ist das Publikum aber wie gebannt und spendet herzlichen Applaus für alle Beteiligten.

Miriam Rosenbohm







Fotos: Andreas J. Etter (auf den
Fotos ist Daniel Ohlmann als Faust
abgebildet)