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Fakten zur Aufführung 

LA BOHÈME
(Giacomo Puccini)
2. Januar 2013
(Premiere am 10. Juni 2012)

Staatstheater Oldenburg


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Die Poesie des Mülls

Die „Poesie der kleinen Dinge“, die im Programmheft des Staatstheaters als eines der Merkmale des Librettos hervorgehoben wird, ist auf dem Weg von der Premiere im Juni 2012 bis zur Wiederaufnahme der Oper irgendwo verloren gegangen. Vom ersten Aufzug bis zur eigentlich gefühlvollen Schlussszene überwiegen die starken Striche, die heftigen Akzente, das dick Aufgetragene – manchmal bis zur Peinlichkeit. Ob es die Mischung aus Glühweinstand und Currybude ist, die zum geistigen Treffpunkt der herunter gekommenen Künstler wird, die Einkaufsorgie im weihnachtlichen Café-Kaufhaus mit reichlich Schampus und Hummer, die unsägliche Mülldeko des Bühnenbildes, wirklich nicht mehr originell als Symbol für Menschen am Rande der Gesellschaft - das alles wirkt mehr gewollt als gekonnt. Der Stern von Bethlehem, ein Überbleibsel aus der Vorweihnachtszeit, aufgehängt über der Bretterbude, bleibt noch nachvollziehbar, wenn man in ihm die nie versiegende Hoffnung der brotlosen Künstler auf ein besseres Leben sieht. Befremdend aber die merkwürdige Anlage und Ausstattung der beiden weiblichen Rollen Mimi und Musetta oder die kurz vor ihrem Tod noch einmal aufbrechende Begierde der sterbenden Mimi, die ihr ein halbe Entkleidungsszene abnötigt - viel Ratlosigkeit oder wachsendes Desinteresse bei den Zuschauern. Selbst wenn man die Regieabsicht Lorenzo Fiorinis akzeptiert, einen „größtmöglichen Kontrast zwischen Besitz und Nichtbesitz, zwischen Reichtum und Armut“ darzustellen, bleiben die inszenierten Ideen und Realisierungen ohne roten Faden, merkwürdige Ein- und Zufälle. Ärgerlich ist auch, dass ein Grossteil der entscheidenden Szenen in der rechten Bühnenecke spielt, die für Zuschauer auf den rechten Rängen kaum noch einsehbar ist.

Paul Zollers Bühnenbilder bewegen sich aktuell und real zwischen der minimalistischen Bretterbude als Zentrum der Künstlergruppe von Dichter, Maler, Musiker und Philosophen und dem optischen Kaufrausch im Momos oder der ausgedehnten „gesellschaftskritischen“ Müllkippe der Überflussgesellschaft. In diese Bühnenbilder fügen sich die von Katharina Gault entworfenen Kostüme realistisch ein, lediglich das vorweihnachtliche Momos enthält einige phantastische Elemente. Während die männlichen Künstlerrollen ihr Leben als arme Schlucker auch äußerlich widerspiegeln, sind die Figuren der Mimi und Musetta undurchsichtig: Mimi, in entsetzlich tantenhaftem Kostüm und Maske geht jeglicher Liebreiz in ihrer Rolle ab, sie wirkt über weite Strecken „tumb“. Musetta gibt eine unfertige Mischung aus Luder, Hure, Vamp und besorgter Freundin. Sie wirkt in Ausstattung und überzogenem Spiel fremd zwischen den anderen Figuren. Philipp Wiechert hat vorwiegend kalt-graue Licht- und Nebeleffekte gesetzt, die die Trostlosigkeit der Szene unterstützen.

Zumindest in den ersten beiden Bildern bleibt nach einem von Sängern und Orchester verpatzten Einsatz der Eindruck feiertäglicher Ermüdung erhalten. Orchesterpassagen und Solisten klingen über längere Strecken belegt, grau. Erst nach der Pause scheinen sich Orchester und Sänger gefangen zu haben und können sich deutlich steigern. Nun erklingen auch Arien und Duette strahlender, das Orchester hat deutlich an Dynamik zugelegt - schließlich finden die Musikpartner zum überzeugenden Zusammenklang von Puccinis herrlicher Musik.

Daniel Ohlmann gibt mit immer freier werdendem Tenor einen besorgten bis leidenschaftlichen Rodolfo, der gut mit Paul Bradys etwas dunklerer Stimmlage harmoniert. Auch die beiden weiteren Künstlerrollen, der Musiker von Peter F. Bauer und der Philosoph von Benjamin Leclair gesungen, überzeugen. Angela Bic, inzwischen vielfach ausgezeichnet, gibt mit weichem, sicheren Sopran eine gefühlvolle, oft ratlos wirkende Mimi, die sich zum Schluss zurückhaltend dramatisch steigert. Mareke Freudenberg lässt ihre Musetta spielerisch und stimmlich häufig überzogen durch die Szenen stöckeln und zeigt erst in den Schlussszenen ihr dramatisches Talent. Die Chöre mit Kinder- und Jugendchor kommen vor allem bei den Auftritten aus den Rängen oder dem Parkett nur schwer zu einem gemeinsamen Klang, von der Bühne aus klingen sie kräftig und harmonisch. Nach der Pause zeigen Chor und Orchester unter der Leitung von Roger Epple ihre Qualitäten, schließlich gelingt ihnen ein harmonischer und spannungsgeladener Klang, der viele Zuschauer wieder an „ihre“ La Bohème erinnert. Vermischt mit einigen Bravo-Rufen bedanken sich die Besucher eher zurückhaltend vor allem für den musikalischen Teil dieses Abends.  

Horst Dichanz

 

Fotos: Andreas J. Etter