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Fakten zur Aufführung 

TSCHICK
(Gregor Praml)
7. Juni 2013
(Premiere)

Theater Oberhausen


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Die Walachei am Kaisergarten

Das Theater Oberhausen wagt mit Tschick ein weiteres Außenprojekt und hat Glück, strahlende Sonne. In einem alten Fahrzeugschuppen des ehemaligen OGM-Betriebshofes, am Rhein-Herne-Kanal und schließlich im Niederrheinstadion des SC Rot-Weiß Oberhausen lässt sich an diesem Abend gut sein. Karsten Dahlem kann für seine Inszenierung des komischen Jugend-Pubertätsstücks die Eigenheiten und Möglichkeiten dieser ungewöhnlichen Spielorte nutzen. Das gelingt bestens. Wo sonst kann man einen geklauten alten Lada, knallrot, mit donnerndem Auspuff, bis vor die Zuschauer fahren, wo sonst eine Pott-Loreley im Kanu anlanden, wo sonst einen (fast) echten Polizisten einen verdächtigen Russen-Lada kontrollieren lassen. Möglichkeiten für solch schräge Regie-Einfälle sind hier reichlich vorhanden.

Maik ist eigentlich ein netter Junge, fast gut erzogen, jedenfalls besser als seine Eltern: Seine Mutter säuft sich durchs Leben, der Vatter ist ein kleiner Dandy-Immobilienhai, der gern den großen Makler mimt. Sie schlagen sich als Edel-Prollis so durchs Leben und möchten aus ihrem Maik gern etwas Besseres machen. Wenn der Sohn doch nur mitmachte. Er ist nicht gerade faul, nur ein bisschen renitent, hats aber nicht mit Mädchen. Er träumt vom „erotischen Ort Krankenhaus“, in dem ihm vor Kurzem nach einem Autocrash eine „süße Krankenmaus“ den Gips verpasst hat. Und er hat falsche Freunde, den falschen Freund: ausgerechnet Andrej Tschichatschow, genannt Tschick, der rüpelt, falsche Klamotten trägt und statt nach Knoblauch nach Alkohol stinkt - kein Wunder, dass er als Neuer in der 8b ein Außenseiter ist. Sergej Lubic singt und spielt diesen Tschick mit Lust und reichlich Rapattitüden und natürlich mit einer groben, ordinären Sprache. Und weil Gerüche, Gerüchte und schlechte Manieren abfärben, ist auch Maik ein Außenseiter. Eike Weinreich spielt diesen halb erwachsenen Schüler glaubwürdig, klar, auch einen Hauch naiv. Zusammen lassen sie sich ihr überschaubares Leben nicht vermiesen, sehen in Erwachsenen die Vertreter einer langweiligen Welt zwischen „Waschbeton und Merkel“ und hauen gern mal großmäulig auf den Putz.

Das alles erfahren die Zuschauer in einem alten Fahrzeugschuppen, in dem ihnen die zwei begegnen. Dann kommt noch Hannah dazu, ein herrliches Pott-Mädchen, das noch nicht alles gerafft hat, aber weiß, wie ein Zungenkuss im Lada geht. Eigentlich hat sie ein Auge auf Maik geworfen und versucht, ihn zu umgarnen - wenn Maik nur wüsste, was das ist. Er möchte lieber mit Tatjana gehen, die allen den Kopf verdreht.

Maik und Tschick machen sich auf den Weg zur Walachei, das Publikum kommt mit. Auf seinem Weg, zuverlässig und sicher durch einige Helfer und zahlreiche Kopfhörer geführt, liegt der erste Stopp an der Beach des Rhein-Herne-Kanals. Und da kommt sie, die Pott-Loreley im Kanu des TC Sterkrade 1869 herangeschifft, gold-glitzernd mit Flamingo-Leggins schwebt sie fast ans Ufer und entzündet eine lilarote Bengalenfackel. Sie lächelt, winkt und verabschiedet sich mit einem Song, bevor sie wieder über die Wasser entschwindet - ein herrlicher Gag.

Weiter geht’s in das große, frisch gemähte Niederrheinstadion, in dem auch gleich die Walacheifahrer auftauchen, der Lada rauscht durch die Nordkurve, Reifenquietschen geht nicht - rote Asche. Maik und Tschick müssen ihre Alltagsprobleme lösen, die sie auf ihrer Spontanreise in die Walachei heimsuchen. Sie schaffen es, ihr größtes Problem, den Spritmangel, mit Hilfe eines „geliehenen“ Schlauches und der technischen Hilfe von Hannah, die mal mit Maik „ging“… Situationskomik, die genau in dieses Stadion, zum Kanal und zum alten Betriebshof passt, zu Tschick und Maik sowieso.

Gregor Praml hat für die Mädels und für Tschick die passenden rockigen Songs komponiert, die mit Off-Musik mal verträumt-romantisch, mal mit dem nötigen Rockpep die Geschichte musikalisch garnieren. Erwähnenswert: Der Ton ist überall ausgezeichnet, ob in der kleinen Fahrzeughalle oder im großen offenen Stadionrund.

Zurück im Betriebshof haben die Besucher, nachdem ihnen Maiks Eltern und die beiden Walacheireisenden nochmals ihre Weltsicht erläutert haben, Gelegenheit, sich für diese abenteuerliche Reise vom Kaisergarten in Oberhausen in die Walachei zu bedanken. Sie tun das mit reichlichem Applaus, in bester Stimmung und Vorfreude auf das abendliche Bier, das Darsteller und Besucher nach dieser prallen Aufführung redlich verdient haben.

Horst Dichanz

Fotos: Brigitte Kraemer