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Fakten zur Aufführung 

SCHÖNE TAGE
(Kornél Mundruchzó/
Viktória Petrányi)
13. Januar 2012
(Uraufführung)

Theater Oberhausen


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Nach der Premiere

Zärtlichkeit und Verletzlichkeit sind immer zu spüren, sagt Peter Carp, Intendant des Theater Oberhausens, über die eher drastische Aufführung (3'50).

 

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Drastisch in die Endzeit

Kornél Mundruczó ist eigentlich Filmregisseur, preisgekrönter Jung-Filmregisseur aus Ungarn, um genau zu sein. Vor einem Jahrzehnt entsteht sein erster abendfüllender Spielfilm Pleasant Days. Daraus entwickelt er mit Viktória Petrányi, die an allen seinen Drehbüchern und Theatertexten mitarbeitet, den Stoff für ein Endzeit-Stück, das jetzt in Oberhausen zur Uraufführung kommt.

Im Jahr 2030, nach dem Zerfall der Europäischen Union, wird Peter, ein junger griechischer Einwanderer in Deutschland, aus dem Gefängnis entlassen. Schon beim ersten Besuch seiner Schwester entdeckt er ein schwerwiegendes Geheimnis. Maria hat einer jungen deutschen Frau, die in Schwierigkeiten steckt, ihr uneheliches Neugeborenes in der Hoffnung abgekauft, durch das Kind ihr Familienglück zu begründen und an legale Aufenthaltspapiere zu gelangen. Peter ist überzeugt, dass die Erde von Außerirdischen regiert wird, die ihre Zerstörung planen. Die einzige Rettung wäre, auf die Akropolis zu fliehen, am liebsten mit Maja, der Mutter des Kindes, dorthin, wo die Götter wohnen.

Es geht deftig zu in dieser proletarischen Operette, die in einem dieser Käfige spielt, die in Amerika als Basketball-Courts dienen. So ist die Bühne von Márton Ágh durch eine Gitterwand vom Zuschauerraum abgetrennt. Im Innenraum des Käfigs findet sich linker Hand die Wäscherei von Maria, im mittleren Hintergrund das Wohnzimmer verschiedener Wohnungen und rechts der Schrottplatz von Thomas. Im Hintergrund rechts hat Otto Beatus als musikalischer Leiter sein Reich, Gitarrist Serge Corteyn sucht sich einen Platz im Raum hinter der Wäscherei.

Zusätzliche Spielebenen eröffnet eine Leinwand über der Bühne, auf die Spielsituationen auf und abseits der Bühne projiziert werden.

Mundruczó und Petrányi zeigen angeblich ein Science-Fiction-Stück, aber schon nach Minuten geraten die Ebenen durcheinander, und der Zuschauer fragt sich, ob hier wirklich eine Endzeitvision oder die Zustandsbeschreibung real existierender Bevölkerungsschichten gezeigt wird, die sich am unteren Ende der sozialen Skala bewegen. Wasser wird zur Kostbarkeit, Alkohol, Gelegenheitsaufträge und Abhängigkeiten regieren den Alltag. Das kleine Glück steht im Vordergrund. Sich im heißen Sommer eine Dusche mit anschließendem Sonnenbad gönnen, ist für Maja und ihre Freundin Claudi  das Größte. Gesellschaftliche Konventionen sind längst passé. Da diskutieren die beiden gern schon mal die richtige Frisur ihrer Schamhaare, während sie sich gegenseitig nackt abduschen. Eine eher heitere Episode im Vergleich zur sonst herrschenden Gewalt: Vergewaltigungen jeglicher Art sind an der Tagesordnung. Àgh unterstreicht die Atmosphäre mit Kostümen der Gegenwart – Wermutstropfen sind die Masken der Aliens, die allzu kirmeskonform daherkommen; da hätte man sich ein wenig mehr Fantasie statt 08/15 gewünscht. Mehr Mut beweist Alexandra Sommerkorn beim Licht: Die Extreme von vollständiger Dunkelheit bis zu unangenehmer Neonhelligkeit werden in drastischen Wechseln ausgereizt, unterstreichen aber immer treffsicher die Atmosphäre.

Während die Sprache eher bei Charles Bukowski angesiedelt ist, erinnert die Musik von Janós Szemenyei an Tom Waite. Bei den Liedern handelt es sich fast ausschließlich um Cover-Versionen, die vom Ensemble atmosphärisch angepasst wiedergegeben werden. Unterstützt werden die Schauspieler vom musikalischen Leiter Otto Beatus an Klavier und Keyboards und Serge Corteyn an der Gitarre mit sattem Sound. Auf den Ton wird bei dieser Produktion überhaupt viel Wert gelegt: Heiko Jooß hat gleich drei Assistenten an seiner Seite, die für ein perfektes Ergebnis sorgen.

Schauspielerinnen und Schauspieler überzeugen von Anfang bis Ende ohne Ausfall mit einem glaubwürdigen Auftritt. Sergej Lubic zeigt einen Peter, der sich hilflos-ängstlich durch die Gegenwart bewegt, seine scheinbaren Verwirrungen wie selbstverständlich darstellt. Anja Schweitzer lebt die Existenzängste der Maria mit einem leichten Hang zur Hysterie der Verzweifelten aus. Maja, die Haltlose, die zwischen den Welten Herumirrende, die – freiwillig – Gedemütigte wird von Nora Buzalka authentisch verkörpert. Herrlich überdreht, ohne albern zu werden, verleiht Angela Falkenhan der Claudi die übertriebene Freude an den kleinen, unwichtigen Dingen des Lebens, verliert ihre Farbe gekonnt angesichts größerer Gefühle. Die hilflose, ins Groteske reichende Brutalität des Thomas wird in Michael Wittes Spiel drängend echt. Torsten Bauer als Josef, Mohammad-Ali Behboudi in der Rolle des Jafar, Jürgen Sarkiss als Mesut und Klaus Zwick als Fritz unterstreichen die Hoffnungslosigkeit, die düstere Atmosphäre auf der Bühne. Die stimmlichen Anforderungen der Gesänge halten sich in überschaubaren Grenzen und werden sowohl in den Einzelleistungen als auch im Chor glänzend gemeistert.

Der hilflose, mutlose Aufschrei, ob dort draußen, jenseits des Käfigs, im Universum noch irgendjemand sei, verhallt ungehört. Während die Gesellschaft ihrem ziellosen, sinnentleerten Ende entgegen trudelt, unfähig zum wahren Gefühl, erkennen die Außerirdischen (warum sollen die eigentlich immer intelligenter als wir sein?) die Nutzlosigkeit der Ressource Mensch und wenden sich ab.

Gewiss, ein düsteres Stück, aber auch eines, das verdeutlicht, mit welcher Energie wir uns in Richtung Agonie bewegen. Ein Stück, das aufrütteln kann, und eines, das man mehr als ein Mal anschauen kann, um es in seiner Komplexität und Dichte zu erfassen. Das Publikum johlt, applaudiert und bleibt noch lange im Theater an diesem Abend.

Michael S. Zerban