Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

INTO THE WOODS
(Stephen Sondheim)
11. April 2014
(Premiere)

Theater Oberhausen


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


Vor der Aufführung



Patricia Martin leitet den Studiengang Musical an der Folkwang-Universität der Künste in Essen (7'40).

 


 

zurück       Leserbrief

Mit Theaterdonner in den Wald

1987 am Broadway uraufgeführt, gilt Stephen Sondheims Into the Woods als sein erfolgreichstes und bekanntestes Werk. Derzeit wird das Musical in Hollywood mit Meryl Streep und Johnny Depp verfilmt, um Ende dieses Jahres in die Kinos zu kommen. Das Theater Oberhausen nutzt das als Werbeargument für die eigene Produktion. Und hat das wahrhaftig nicht nötig. Für Kenner ist der wichtigere Hinweis, dass Intendant Peter Carp die Regie führt. Der serviert Opulenz, dass man sogar die drei Stunden trotz aller Längen durchhält.

Eine Besonderheit dieser Inszenierung ist, dass es die erste Kooperation mit der Folkwang Universität der Künste in Essen ist. Auf der Bühne und im Orchestergraben sind daher neben den Ensemblemitgliedern des Theaters auch die Studenten der Fachrichtungen Musical und Jazz zu erleben. Am Pult steht Patricia Martin, die den Studiengang Musical leitet. Mit einer studentischen Aufführung – ohne eine solche abwerten zu wollen – hat das deshalb noch lange nichts zu tun. Die „erste Reihe“ der Solisten absolviert damit gleichzeitig ihre Abschlussprüfung, die „zweite Reihe“ sind die Studenten, die im kommenden Jahr ihren Abschluss erwerben. Das sind also Musicaldarsteller, die ein drei- oder vierjähriges Studium hinter sich haben.

Mit solchem Pfund an Nachwuchskräften darf Carp wuchern – und das macht er auch. Material gibt ihm Sondheim ausreichend an die Hand. Der Komponist hat ein zeitgenössisch-klassisches Werk geschaffen, ohne den typisch amerikanischen Musicalsound zu verraten. Die Texte stammen von James Lapine und werden in der deutschen Übersetzung zu einem nervigen „Reim dich, oder ich fress dich“. Die Grundidee, Grimmsche Märchen wie Aschenputtel, Rotkäppchen, Hans sowie Ein Bäcker und seine Frau miteinander zu verweben, um auch gleich noch ein bisschen Schneewittchen dazu zu mischen und streckenweise an Zehn kleine Negerlein zu erinnern, funktioniert deshalb, weil die Märchen nicht nacherzählt werden, sondern deren Handlung als bekannt vorausgesetzt wird. Die Handlung in Sondheims Werk ist nicht sonderlich erwähnenswert. Es geht ab in den Wald, um dort Abenteuer zu erleben und Erfahrungen zu sammeln, die durchaus nicht immer erbaulich sind. Nach der Pause geht es erneut in den Wald, um (pseudo-)existenzielle Entscheidungen zu treffen.

Auf der Hauptbühne beginnt es zunächst mit drei Wohncontainern vor dem Hintergrund eines Waldes. Ein Erzähler, der auf der Seitenbühne in der typischen Wohnlandschaft der Nachkriegszeit Platz findet – Fernseher auf Sideboard, davor ein Sessel, in dem der Erzähler nebst Schnapsflasche platziert ist, eine Stehlampe mit Schirm und weitere Accessoires – schildert die Ausgangssituation, ehe es dann für alle Beteiligten Ab in den Wald geht. Die Container symbolisieren so etwas wie ein Dorf, was einen originellen Eindruck macht. Die werden später rausgeschoben, und Baumstämme, die einen Wald symbolisieren, sind auf der Drehbühne untergebracht, die Caroline Forisch von nun an in verschiedene Positionen fahren lässt. Viel mehr Überraschungen werden nicht geboten, und das ist auf Dauer schlicht langweilig. Weitaus mehr Einfallsreichtum beweist Sebastian Ellrich, der fantasievoll und mit sehr viel Geschick die Kostüme der Gegenwart in Details immer wieder fließend der Entwicklung der Handlung anpasst. Vor diesem Hintergrund kann Carp Figuren und Effekte entwickeln. Er langt in die Vollen. Sein Theaterdonner ist gewaltig, das Haus bebt, dass man sich unwillkürlich nach herabstürzenden Theaterbauten umschaut. Hier aber bleibt es bei der Illusion. Bei der Personenführung geht ihm auf der Strecke ein wenig die Puste aus. Obwohl Sondheim in der zweiten Hälfte deutlich weniger Musik eingefallen ist, verharren die Darsteller gerade da immer häufiger in der Deklamation. Aber am Ende gibt es noch einmal die große Choreografie von Morgan Nardi. Die hat es auch schon vorher gegeben, ohne dass ihr ein besonderer Pfiff abzugewinnen wäre. Handwerklich alles ordentlich gemacht, von den Darstellern hervorragend umgesetzt, aber das Sahnehäubchen fehlt.

Das allerdings kann man am allerwenigsten den Darstellern vorwerfen. In dem ungeheuer personalintensiven Stück gibt es so gut wie keine Ausfälle. Sehr souverän als Erzähler tritt Ensemblemitglied Jürgen Sarkiss auf, dem zusätzliches Lob zu zollen ist; traut er sich doch auch den Gesang zu und meistert ihn mehr als ordentlich. Unter den zahlreichen Solisten ist insbesondere Jan Bastel zu erwähnen, der Aschenputtels Prinz spielt und singt. Der Mann hat den Groove raus und wird mit Sicherheit in einer der „kommerziellen“ Musical-Compagnien seine Karriere beginnen und ausbauen. Ebenfalls aus dem hohen Niveau der Absolventen herausragend ist Yvonne Forster als Frau des Bäckers. Sie überzeugt wie alle anderen mit unglaublicher Spielfreude, hat aber das Quäntchen mehr an Ausstrahlung, das sie für Höheres empfiehlt. Zählt diese Aufführung tatsächlich als Prüfungsverfahren für den Abschluss zum Studiengang, darf man wohl allen Delinquenten ohne Abstriche zu einer bestandenen Prüfung gratulieren – selbstverständlich, ohne den beurteilenden Dozenten ins Handwerk pfuschen zu wollen.

Die Techniker, die für die Mikrofone verantwortlich sind, haben an diesem Abend alle Hände voll zu tun, denn Patricia Martin, der die musikalische Leitung obliegt, hat die Dimensionen des Theaters noch nicht ganz im Griff. So spielt das Nachwuchs-Orchester sehr differenziert, aber oft etwas heftig den Sondheim-Sound. Aber das wird sich in den Folgevorstellungen auswachsen.

Das Publikum dieses Abends scheint zu großen Teilen aus Besuchern und Besucherinnen der Uni zu bestehen. In der Pause wird gern und oft das Motiv von Ab in den Wald intoniert. Auch entsteht eher der Eindruck eines „Familientreffens“. Dass allerdings dann keiner beim Schlussapplaus „den Arsch hochkriegt“, ist schade. Immerhin gibt es langanhaltenden Beifall. Und die Zugabe von Martin mit ihrem Orchester rundet einen insgesamt sehr gelungenen Abend ab.

Michael S. Zerban

Fotos: Birgit Hupfeld